Aussichten
Interessenkonflikte beschränken Unabhängigkeit und Freiheit

Diese zum Teil unvermeidbare Interessenverflechtung zwischen Hochschulen und Wirtschaft darf keinesfalls dazu führen, dass sich Spezialisten aus der Akademie nicht kritisch äussern.

Monika Roth
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Monika Roth.

Monika Roth.

Im Januar 2022 soll Pierin Vincenz vor Gericht stehen. Ob er kriminell ist, weil er insbesondere Vermögensdelikte begangen haben soll, wird sich noch zeigen. Das entscheidet nicht die Öffentlichkeit, sondern ein Gericht.

Dabei wird es auch die Rolle des Verwaltungsratspräsidenten und der weiteren willfährigen Verwaltungsräte zu würdigen und zu hinterfragen haben, namentlich ob diese bereit waren oder zumindest in Kauf nahmen, gewisse Risiken einzugehen und Transaktionen zu dulden. Der Verwaltungsrat kannte seinen CEO, die von der Finanzmarktaufsicht peinlicherweise abgesegnete Rolle seiner Frau in der Bank und die mit seiner Selbstinszenierung verbundenen erhöhten Risiken. Ob das sonnenkönighafte und unter dem Aspekt einer Gewähr für eine einwandfreie Geschäftsführung zweifelhafte Verhalten des CEO allenfalls strafwürdig wäre, ist das eine. Ob es strafbar ist, ist jedoch das andere. Selbst ein Freispruch würde im Übrigen nichts an der Einschätzung ändern, dass es letztlich um die Frage von Charakter und Werten geht.

Es ist vor allem Lukas Hässig, der seit 2011 den Blog Inside Paradeplatz betreibt, seiner Unabhängigkeit, Unerschrockenheit und Hartnäckigkeit zu verdanken, dass wir in den Abgrund sehen konnten, der sich hinter dem «letzten Gut-Banker» (so Hässig) verbarg. Im gleichen Jahr hatte der Journalist Bruno Schletti im Tages-Anzeiger davon berichtet, dass Vincenz seine Frau als oberste Rechtschefin bei Raiffeisen im Einsatz hatte und dass diese ihren als Anwalt tätigen Bruder mit Mandaten der Bank bedachte. Der Journalist hatte mich damals kontaktiert. Ich habe mich entsprechend kritisch geäussert und wurde im Tages-Anzeiger zitiert. Schliesslich bin ich als Rechtswissenschafterin spezialisiert auf solche Fragen.

An «meiner» Hochschule war man darüber nicht erfreut, dass ich von Interessenkonflikten sprach und das ganze Setting als unhaltbar erachtete. Denn Raiffeisen war ein sehr guter Kunde dieser Institution, buchte ganze Lehrgänge. Hochschulen allgemein haben bei solchen Konstellationen einen Interessenkonflikt. Das ist offensichtlich, denn Forschungsgelder und Kursgebühren sind für sie wichtige Einnahmequellen - als Unternehmen wollen sie die Wirtschaft nicht verärgern.

Man muss keine spezielle Fantasie haben, um zu vermuten, dass das Problem der Unabhängigkeit ebenso an anderen Hochschulen existiert. Das betrifft nicht nur die Frage der Finanzierung von Lehrstühlen oder von Verwaltungsratsmandaten von Professoren etwa bei Banken, sondern auch die Vergabe von Gutachten, die Erteilung von Aufträgen zur Schaffung von ganzen Kursen usw. Diese zum Teil unvermeidbare Interessenverflechtung darf keinesfalls dazu führen, dass sich Spezialisten aus der Akademie nicht kritisch äussern. Viele wagen es nicht, begründete Kritik vorzutragen, aus Angst um die eigene Karriere. Vor Jahren hat mir eine junge Rechtswissenschafterin, die im Finanzbereich spezialisiert ist, geschrieben, man habe ihr an der Uni im entsprechenden Institut nahegelegt, sich kritischer öffentlicher Äusserungen zu Banken zu enthalten, wenn sie die universitäre Karriere fortsetzen wolle. Es handelt sich um eine Art vorauseilender Gehorsam. Das ist einer der Gründe, warum es oft dieselben kritischen Experten sind, die zu Wort kommen, wie Prof. Dr. Peter V. Kunz.

Das ganz grundsätzliche Problem lässt sich sicher nicht dadurch lösen, dass keine Gutachteraufträge von privaten Unternehmen mehr von den Hochschulen angenommen werden sollten. Es geht um Transparenz und es geht darum, nicht käuflich zu sein. «Universitäten sind aus der Idee entstanden, der freien Forschung, Bildung und Lehre einen geschützten und nicht käuflichen Ort zu schaffen» (Zitat aus dem «Zürcher Appell» von 2013). Genau: Freiheit.

Monika Roth ist Professorin und selbstständige Rechtsanwältin.