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Wirtschaft
Am Donnerstag gibt Peter Brabeck sein Amt als Nestlé-Präsident an Paul Bulcke weiter. Ein streitbarer Kämpfer für die Wirtschaftsfreiheit tritt nach 50 Jahren im Dienst für das Unternehmen ab.
Für die Nestlé-Aktionäre hat Peter Brabecks bevorstehender Abgang als Verwaltungsratspräsident nur noch eine symbolische Bedeutung. Der Übergang zum Belgier Paul Bulcke ist längst eingefädelt, und mit dem Deutschen Mark Schneider sitzt auch der neue Konzernchef bereits im Sattel. Immerhin darf der 72-jährige Österreicher am kommenden Donnerstag an der letzten Generalversammlung in Lausanne noch einen tüchtigen Schlussapplaus für die «hervorragenden und unschätzbaren Dienste» aus 50 Jahren Arbeit für Nestlé erwarten, wie der Konzern in der Einladung schreibt.
So viel hat Nestlé-Lenker Peter Brabeck zeitweise in seiner Doppelfunktion als Präsident und Konzernchef als Jahressalär erhalten.
Brabeck hinterlässt seinen Aktionären in der Tat eine seltene Erfolgsgeschichte: Der Unternehmenswert hat sich in seiner 20-jährigen Zeit als Chef und Verwaltungsratspräsident von 55 auf 240 Milliarden Franken erhöht. Jahr für Jahr wurden Dividenden in Milliardenhöhe ausgeschüttet. Allein in den nächsten Tagen werden wieder 7 Milliarden Franken an die Eigentümer fliessen. Diese Wertsteigerung ist umso spektakulärer, als Brabeck bei seiner Ernennung zum Chef 1997 unter dem damaligen Präsidenten Helmut Maucher bereits das Steuer des weltgrössten Nahrungsmittelmultis in die Hände bekam. Das Unternehmen konnte sich über zwei Jahrzehnte hinweg in dieser führenden Position behaupten.
Mächtige Leute wie Peter Brabeck sind natürliche Zielscheiben für Kritik. Und diese hat der Kärntner bisweilen geradezu angezogen. Sein Jahresgehalt von über 17 Millionen Franken, das er zwischen 2005 und 2008 bezog, als er neben seiner Funktion als Konzernchef auch noch das Verwaltungsratspräsidium innehatte, bezeichnete er im offenen Widerspruch zu seinen vielen Kritikern trotzig als «gerechtfertigt». Schliesslich habe er 1968 selber als Glaceverkäufer mit einem Monatsgehalt von 1500 Franken angefangen.
Auf die Meinung, Unternehmen müssten der Gesellschaft etwas zurückgeben, reagierte Brabeck stets empfindlich bis wütend: «Was soll ich der Gesellschaft zurückgeben? Ich habe der Gesellschaft nichts gestohlen oder weggenommen, und es wurde mir auch nichts geschenkt», liess sich der Manager in der 2010 erschienenen Biografie «Gemeinsam Werte schaffen» zitieren. «Die einzige Grundverpflichtung einer Firma gegenüber der Gesellschaft ist es, Arbeitsplätze zu schaffen und nützliche Produkte auf sinnvolle Weise herzustellen», sagt Brabeck.
Solche Aussagen wird man nach seinem Rückzug in die Pension nur noch selten zu hören bekommen. Mit Brabeck verlässt ein prominenter und streitbarer Kämpfer für die Wirtschaftsfreiheit die Bühne. Im Unterschied etwa zum ehemaligen Novartis-Präsidenten Daniel Vasella, dessen harte Positionen zum offenen Bruch mit der Schweizer Wirtschaftselite geführt und den Bündner zeitweilig ins amerikanische Exil trieben, kann der Nestlé-Präsident in weitgehender Minne mit seiner nahen und entfernteren Umwelt den Abstieg in Angriff nehmen.
Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass es Brabeck verstanden hatte, schwierige Momente auszusitzen und die Medien bisweilen auch zu ignorieren. Eine kritische Haltung gegenüber den Medien habe er sich in den 17 Jahren als Nestlé-Manager in Lateinamerika angeeignet, erklärte er seinem Biografen Friedhelm Schwarz. Tatsächlich waren Brabecks Erfahrungen und Erfolge in dieser Weltgegend ausschlaggebend dafür, dass er schliesslich zum Konzernchef aufsteigen konnte. 1969 erhielt er die Verantwortung für das Glacegeschäft in Chile. Ein Job, den er sich unmittelbar nach der Machtübernahme des kommunistischen Präsidenten Salvador Allende gegen wenig Konkurrenz sichern konnte.
In der dreijährigen Präsidentschaft Allendes konnte Brabeck die drohende Verstaatlichung der Fabrik nicht nur erfolgreich verhindern, sondern sogar die Basis für künftiges Wachstum legen. Brabeck blieb auch nach dem Militärputsch und der Machtübernahme durch Augusto Pinochet, um seine Arbeit fortzusetzen. Brabeck habe sich mit Bezug auf die politische Berichterstattung europäischer Medien immer über die Diskrepanz zwischen gelebter Realität und Interpretation gestört, liest man im Buch über das Leben des Managers. Er sehe sich keine Nachrichten im Fernsehen mehr an, weil man dort zu leicht einen falschen Eindruck von der Realität erhalten könne.
Brabeck ging allerdings auch der direkten Konfrontation mit seinen Kritikern nicht aus dem Weg. Als er 2005 nebst seiner Rolle als Chef auch noch zum Verwaltungsratspräsidenten gewählt werden sollte, rümpften auch viele Aktionäre die Nase. Brabeck drohte mit dem Rücktritt, wenn ihm die Doppelfunktion verwehrt werden sollte. Der Widerstand war gross, einflussreiche Stimmrechtsvertreter wie die Genfer Anlagestiftung Ethos sahen sich in ihrem Kampf für gute Grundsätze der Unternehmensführung bestätigt. Doch Brabeck würde solchen inzwischen allgemein anerkannten und geltenden Grundsätzen wohl noch heute eine Abfuhr erteilen, wenn sie seinen eigenen Plänen zuwiderlaufen.
Damals vor zwölf Jahren hatte Brabeck den Plan, den Nahrungsmittelkonzern strategisch in Richtung einer «Wellness-Firma» weiterzuentwickeln, die das Geschäft mit der Herstellung von Lebensmitteln in einem breiteren Kontext betreiben sollte. Der Auf- und Ausbau des Wassergeschäfts, die Entwicklung funktionaler Nahrungsmittel oder auch die Herstellung von Kosmetika und pharmazeutischer Produkte sind inzwischen Realität geworden. Eine strategische Neuausrichtung von Nestlé wäre ohne das Doppelmandat nicht möglich gewesen, behauptet Brabeck.
Der sichtbare Erfolg macht es schwer, die Leistung Brabecks auch kritisch zu hinterfragen. Nestlé gehört zweifellos zu den grossen Profiteuren der Globalisierung, die es dem Unternehmen erlaubte, viele bis vor 30 Jahren noch kaum entwickelte Märkte zu erschliessen und damit ein hohes Wachstum zu erzielen. Im Glauben an grenzenlose Möglichkeiten der Expansion entwarf Brabeck das Nestlé-Modell, nach dem der Nahrungsmittelkonzern den Umsatz langfristig und aus eigener Kraft jährlich um fünf bis sechs Prozent steigern und dabei eine laufend höhere Gewinnmarge erreichen soll. Dieses Modell ist in den vergangenen Jahren aber ins Stocken geraten. Die Vorgaben werden nicht mehr erreicht und dementsprechend fliegen auch die Aktien weniger hoch als in früheren Jahren.
Nicht wenige Beobachter glauben inzwischen, dass der passionierte Extrembergsteiger Brabeck mit Nestlé den höchsten Gipfel bereits hinter sich hat. Zweifellos müssen seine Nachfolger Paul Bulcke und Mark Schneider in den nächsten Jahren ihre Bestleistung abrufen können, um die Wachstumsstory von Nestlé weiterschreiben zu können. Schwierig könnte dies auch deshalb werden, weil die Erwartungen der Gesellschaft in den Industrieländern (und damit auch im Kreis der Aktionäre) an das Sozial- und Umweltverhalten von Grosskonzernen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind.
Im Zuge einer immer stärker werdenden Kritik von Nichtregierungsorganisationen an den Produktionsmethoden der Multis im Kaffee- und Kakaogeschäft war auch Nestlé zu grösseren inhaltlichen und qualitativen Sortimentsanpassungen gezwungen. Überdies ist die beschränkte Verfügbarkeit der Ressourcen für den Konzern zu einem zunehmend drängenden Thema geworden. Ein Ausdruck dafür ist zweifellos Brabecks Anliegen, der vor allem in den Industrieländern verbreiteten Verschwendung von Trinkwasser durch eine gezielte Steuerung des wertvollen Rohstoffs über einen marktgerechten Preis Einhalt zu gebieten. Dafür erntete Brabeck in der Gesellschaft und in den Medien viel Kritik. So wurde ihm etwa vorgeworfen, er habe diese Botschaft nur zum Vorteil des eigenen Wassergeschäfts verbreitet. Allerdings sind diese Vorwürfe in den letzten Jahren auffallend weniger geworden.
Ohne Alterslimite hätte Brabeck den Nestlé-Konzern wohl noch gut und gerne ein paar Jahre länger präsidieren können. Vor vier Jahren erkrankte er an einem Blutkrebs, den er nach einer Reihe fehlgeschlagener Heilungsversuche mit einer riskanten Stammzellentransplantation besiegen konnte. Langjährige Begleiter attestieren Brabeck nicht nur eine grosse Tatkraft, sondern auch viel Mut, die er als Berggänger, Gletscherpilot, Manager und zuletzt auch als Patient schon oft unter Beweis gestellt hat. Brabeck will in seiner Zeit nach Nestlé eigene unternehmerische Projekte verfolgen, unter anderen die Pflege eines Kaviarproduzenten im Wallis.