Eine Studie zeichnet die Geschichte nach, wie die Berufsbildung überraschend gut durch die Krise kam. In Deutschland kam es anders.
Es war Frühling 2020, die Schweiz war im Lockdown. Die Berufsbildung steuerte auf das zu, was der Experte Stefan Wolter heute so bezeichnen würde: ein Debakel. Damals wurden viel weniger Lehrverträge abgeschlossen als üblich. Es drohten Tausende ohne Lehrstelle zu bleiben. Wolter appellierte damals an die Kantone:
«Wenn nicht vorhanden, sollten die Notfallpläne schleunigst geschrieben werden – sonst holt man sie aus den Schubladen.»
Das «Debakel» wurde abgewendet, auf eindrücklich Weise. Am Ende hatten gar etwas mehr Jugendliche einen Vertrag unterschrieben als im Vorjahr. Und auch die aktuell laufende Suche kommt gut voran. Es ist, als ob es keine Jahrhundertkrise gäbe. Die Erklärung dafür hat Wolter zusammen mit Daniel Goller gesucht. Was sie herausfanden, wird veröffentlicht von der Universität Bern. Die Studie zeigt, was bisher kaum beachtet wurde, aber entscheidend war: die Jugendlichen und ihre «erheblichen Opfer».
Im ersten Lockdown bahnte sich ein Debakel an. Im April wurden 2 Prozent weniger Verträge abgeschlossen als im Vorjahr, im Mai dann schon 4 Prozent weniger. Hinter den Rückgängen stand, wie die Studie zeigt: Viele Jugendliche hatten das Suchen aufgegeben. Die Autoren betiteln ihre Studie darum mit «Too Shocked To Search». Zu schockiert, um zu suchen – dass dieses diffuse Gefühl im ersten Lockdown weit verbreitet war, haben die Autoren aus harten Zahlen abgeleitet.
Auf der nationalen Plattform hatten sie gesucht und über zehn Millionen Suchanfragen gefunden. Hinter jeder Anfrage steht der Versuch, eine Lehrstelle zu finden. Reiht man diese Anfragen dann Tag für Tag aneinander, ergibt sich ein Bild (siehe Grafik).
Auf dem Bild ist zu sehen, wie Jugendliche im Frühjahr 2020 inmitten einer Jahrhundertkrise in die Berufswelt einsteigen wollen. Viele geben auf oder warten bis nächstes Jahr. Die Zahl der Suchanfragen sinkt damals um über 40 Prozent. Dann kommt die Befreiung. Dafür brauche es «erhebliche Opfer», wie es in der Studie heisst. Denn im Lockdown wandelte sich die Welt der Jugendlichen radikal. Die Schule war auf einmal geschlossen. Die Lehrer waren nur noch auf einem Bildschirm zu sehen, die Kolleginnen auch nur dort. Niemand konnte sagen, wie lange das alles dauern würde.
Zeitweise schien es nicht klug, sich überhaupt zu bewerben. Schliesslich hätte man bei einem Betrieb landen können, der bald einmal in finanzielle Nöte geraten könnte. Wollten sie sich dennoch bewerben, konnten sie es gar nicht. Die Betriebe waren geschlossen, der mögliche neue Chef nur bei sich zu Hause. Schnupperlehren fielen aus, Informationstage, grosse Messen sowieso. Irgendwie kamen die Jugendlichen zurecht. Sie suchten wieder. Und die Zahl der unterschriebenen Lehrverträge stieg an. Der Rückstand von April und Mai wurde aufgeholt. Unterbrechen liessen die Jugendlichen sich nur noch von den Ferien. Im Herbst 2020 konnte das Wirtschaftsdepartement von Bundesrat Guy Parmelin vermelden: «Der Lehrstellenmarkt erweist sich als krisenresistent.»
Seither liessen sich die Jugendlichen nicht mehr entmutigen. Warum das so ist, darüber könne man nur spekulieren, heisst es in der Studie. Denn die Hindernisse sind noch immer gross, wie ein Index der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich zeigt. Demnach sind die Massnahmen gegen Corona noch ähnlich einschneidend wie im ersten Lockdown. So ist die Erklärung vielleicht in einer umgekehrten Coronamüdigkeit zu suchen, spekulieren die Autoren. Die Jugend war es leid, sich entmutigen zu lassen.
«Die Anstrengungen der Verbundpartner sowie der Betriebe tragen Früchte.» Mit diesem Satz verteilte das Wirtschaftsdepartement von Parmelin im Herbst 2020 viel Lob, an sich selbst und an andere. Das Selbstlob war berechtigt. Bund und Kantone stemmten sich mit Macht gegen eine Lehrstellenkrise. Parmelin setzte eine Taskforce ein. In einem Video, unterlegt mit hipper Elektromusik, appellierte er an die Betriebe. Genauso wichtig war, dass der Bund gewaltige Summen ausgab, auch wenn Finanzminister Ueli Maurer oft klagte.
Meist unerwähnt blieben hingegen die Jugendlichen selbst. Doch hinter der gelobten «Krisenresistenz» des anonymen Lehrstellenmarktes standen, wie die Studie nun zeigt, auch viele Efforts von Jugendlichen. Wie es ohne sonst hätte ausgehen können, zeigt der Blick nach Deutschland. Coronabedingt gingen dort 6 Prozent aller Lehrstellen verloren. In der Schweiz wären das etwa 4700 Lehrstellen gewesen. Es wäre ein «Debakel» gewesen.