Das duale Bildungssystem ist ein Erfolgsmodell, aber für zugezogene Konzerne meist unbekannt. Internationale Firmen mit Sitz in der Schweiz beschäftigen im Vergleich nur wenige Lehrlinge.
In der Liste der 100 grössten Zentralschweizer Arbeitgeber fällt auf, dass eine Firma wie etwa Glencore im Vergleich zu einer Schweizer Firma mit gleich vielen Angestellten sehr viel weniger Lehrlinge beschäftigt (Ausgabe vom 22. Oktober).
Konkret: Glencore mit Hauptsitz in Baar hat aktuell 760 Beschäftigte und keinen einzigen Lehrling. Zum Vergleich: Die Elektrofirma Frey + Cie mit Hauptsitz in Kriens hat insgesamt 796 Angestellte, davon sind 170 Lehrlinge, also jeder Fünfte. Auch beim Konsumgüterkonzern Johnson & Johnson in Zug ist im Vergleich zur Anzahl Angestellten die Lehrlingsrate niedrig. Bei 920 Angestellten werden derzeit 12 Lehrlinge ausgebildet. Die Raiffeisen Banken in der Zentralschweiz, die eine vergleichbare Anzahl Angestellte (948) beschäftigen, haben 112 Lehrlinge.
Eine Erklärung für diese Zahlen hat Cornelia Bänninger, Sprecherin des Amts für Berufsbildung des Kantons Zug: «Viele internationale Unternehmen verstehen unser duales Bildungssystem nicht.» Demzufolge würden sie vermehrt externe Fachkräfte einstellen. Doch sie weiss: «Die Firmen wären gut geeignet, im kaufmännischen Bereich und in der Informatik Lernende auszubilden.» Für das Schuljahr 2015/16 plant das Zuger Amt für Berufsbildung zwei neue Angebote in der Berufsbildung: Business-Englisch Plus und die internationale Lehre – der Fokus ist dabei vor allem auf die Englischsprachkenntnisse gerichtet. Damit möchte man künftig die internationalen Firmen vermehrt für die Lehrlingsausbildung begeistern.
Beat Gauderon, Geschäftsleiter von Bildxzug, sagt zu den internationalen Unternehmen: «Firmen wie Glencore oder Johnson & Johnson haben durchaus auch Potenzial, in eigener Verantwortung Lehrlinge auszubilden.»
Bildxzug ist ein spezieller Betrieb: Sie setzen ihre Lehrlinge in verschiedenen Unternehmen, auch in internationalen Firmen, ein und betreuen sie während der Ausbildung. Gauderon erklärt: «Weil ausländische Firmen unser duales Bildungssystem nicht kennen, haben sie oft auch keine Berufsbildner.» Die internationalen Betriebe bieten aber doch Lehrstellen an, jedoch übernimmt Bildxzug die Betreuung des Auszubildenden.
Neben den fehlenden Berufsbildnern gibt es weitere Gründe, weshalb diese Betriebe laut Gauderon wenig bis keine Lehrlinge beschäftigen. «Einerseits sind internationale Firmen mit unserem dualen Bildungssystem nicht vertraut, sehen vielleicht den Mehrwert auch nicht. Andererseits bieten diese Unternehmen oft nur in spezifischen Fachbereichen Ausbildungen an.» Oftmals spielt allerdings auch die Firmenstruktur eine massgebende Rolle. Gauderon erklärt: «Für Jugendliche ist die nicht immer geeignet.» Bei Glencore etwa werde in gewissen Abteilungen Schichtarbeit verlangt, und gemäss den geltenden Regelungen dürften Jugendliche während bestimmter Zeiten keine Arbeit leisten, erklärt er.
Bildxzug betreut aktuell rund 100 Lehrlinge, davon etwa die Hälfte in internationalen Firmen. Gauderon stellt fest, dass internationale Firmen wie Glencore und Johnson & Johnson immer mehr Interesse bekunden, Lehrlinge auszubilden. «Sie erkennen langsam den Mehrwert des dualen Bildungssystems. Johnson & Johnson hat bereits zwölf Lehrlinge, das ist ein grosser Erfolg», sagt Beat Gauderon.
Glencore ist derzeit das Schlusslicht auf der Lehrlingsliste. Doch das will das Unternehmen ändern. Gerda Schwindt, HR-Verantwortliche von Glencore, sagt: «Wir sind sehr bemüht, weiterhin Lehrlinge zu engagieren.» Um auch künftig Ausbildungen anzubieten, seien sie im Gespräch mit Bildxzug. Genauere Informationen zu den Rekrutierungsplänen will Schwindt keine geben. «Das ist eine interne Angelegenheit.» Auch wenn die Lehrlinge bei Glencore rar sind – letztes Jahr hat ein Lehrling seinen Abschluss in der Informatik erhalten – ist Glencore in der Berufsbildung aktiv. Die Firma bietet Praktikumsstellen für Wirtschaftsmittelschüler und Studenten an. Damit könne auch Nachwuchs generiert werden, sagt Schwindt.
Andere internationale Firmen wie Johnson & Johnson sind bereits einen Schritt weiter. Sie beschäftigen neben Praktikanten seit einigen Jahren auch ständig über zehn Lehrlinge. Thomas Moser, Kommunikationsverantwortlicher von Johnson & Johnson, sagt: «Indem wir Lehrlinge beschäftigen, sorgen wir auch für Nachwuchs.» Bisher hätten sie damit gute Erfahrungen gemacht. «Einige arbeiten immer noch für unseren Konzern, zum Teil durchaus auch in höheren Positionen», erklärt er. Auch bei Johnson & Johnson kümmert sich Bildxzug um die Lehrlingsrekrutierung.
Ganz anders gehen regionale Firmen mit der Rekrutierung von Lehrlingen um. Bei der Genossenschaft Migros Luzern etwa, mit Wirtschaftsgebiet in den sechs Zentralschweizer Kantonen, hat man ein Team von drei Personen, die sich aktiv um den Nachwuchs kümmern. Nebst Rekrutierung führt das Team unter anderem für Schulklassen Informationsveranstaltungen in den Filialen durch.
Die Migros Luzern bildet derzeit 216 Lernende aus und beschäftigt 6016 Angestellte. Schweizer Unternehmen kennen die Vorteile, die ihnen Lehrlinge bringen. Rahel Probst, Mediensprecherin der Migros Luzern, sagt: «Für uns sind Lehrlinge eine Investition in die Zukunft.» Klar profitiere das Unternehmen nicht gleich von Anfang an von den angehenden Berufsleuten, aber letztlich könnten sie 80 Prozent der Ausgebildeten nach der Lehre im Betrieb anstellen. Für diese gute Bilanz ist allerdings auch viel Aufwand nötig. «Es gibt auch Herausforderungen mit so vielen Lernenden», sagt Probst. Jeder Lehrling brauche eine individuelle Betreuung, und «das bedeutet natürlich einen entsprechenden personellen Aufwand», so Probst.
Ähnlich tönt es bei den CKW Luzern, wo jeder fünfte Mitarbeiter von insgesamt 1785 Angestellten ein Lehrling ist. Dorothea Ditze, Mediensprecherin der CKW, sagt: «Lehrlingsbetreuung ist sehr zeitintensiv und benötigt viel Personalressourcen.» Aber sie ist überzeugt, dass diese Energien richtig eingesetzt sind. Um die Identifikation mit dem Lehrbetrieb zu fördern, setzen die CKW ausserdem auf Projektwochen und Lager.
Auf der Liste der 100 grössten Arbeitgeber der Zentralschweiz ist die Firma Frey + Cie Elektro AG Luzern führend im Lehrlingsvergleich: Von 796 Mitarbeitern sind 170 Lehrlinge – mehr als 20 Prozent. «Uns ist es ein Anliegen, den Nachwuchs zu fördern, auch um wachsen zu können», sagt der Ausbildungsverantwortliche Guido Ehrler.
Es werde Wert darauf gelegt, dass die Lehrlinge das Handwerk lernen und eine qualitativ gute Ausbildung geniessen können. Und dafür investiert die Firma, die ihren Hauptsitz in Kriens hat, jährlich 600'000 Franken in zahlreiche Nachwuchs-Förderprogramme. «Alle Lehrlinge starten ihre Ausbildung mit einem zweiwöchigen, gemeinsamen Intensivkurs, dem sogenannten Basic Camp», erklärt Ehrler. Daneben würden sie bis zur Lehrabschlussprüfung mit wöchentlichen Theoriekursen und individuellen praktischen Einheiten begleitet. Da sich die Lehrlinge auf neun Standorte und sieben Partnerfirmen in der ganzen Zentralschweiz, Aarau und Interlaken verteilen, habe man auch eine Videokonferenz-System (E-Learning) für die Theorie-Förderkurse installiert. Das Ziel: Alle Lehrlinge sollen die Abschlussprüfung bestehen.
Auf dem Weg dorthin ist Tobias Jud (18), Mediamatiker bei der Partnerfirma B + T Bild + Ton AG in Ebikon im 4. Lehrjahr. Er absolvierte die Sekundarschule im Niveau A und war sich schon damals sicher, in welche Richtung er gehen möchte. «Die Ausbildung zum Mediamatiker ist eine gute Grundausbildung, weil sie sehr vielfältig ist», sagt Jud. Vielfältig darum, weil er in den Bereichen Multimedia, Design, Marketing, Informatik und Administration ausgebildet wird und sich nach der vierjährigen Berufsausbildung in eine Richtungen spezialisieren kann. «Am besten gefällt mir der Grafikbereich, weil ich gerne Dinge gestalte», sagt Jud. Wenn der 18-Jährige seine Lehre abgeschlossen hat, wird er bei der Frey + Cie-Gruppe weiterbeschäftigt und will parallel dazu seine Berufsmatura nachholen.
Eine Festanstellung der Auszubildenden nach der Lehre im eigenen Betrieb sei ein weiteres Anliegen, sagt Ehrler. «Wenn sich die Lehrlinge Mühe geben und sie die Lehrabschlussprüfung bestehen, übernehmen wir sie alle.» Alles in allem sei das Ausbilden des Nachwuchses keine ganz so einfache Aufgabe: «Man muss sehr viel investieren und die Jungen eng begleiten. Man darf nicht vergessen, dass die Lernenden bei null anfangen», sagt der Ausbildungschef. Früher hätten die Jugendlichen handwerklich mehr Erfahrung mitgebracht.
Eine Herausforderung sei ausserdem, die nötigen Lehrlinge zu finden. «Wir sind zwar bekannt dafür, dass wir unsere Arbeit gut machen. Aber das Interesse an handwerklichen Berufen wie beispielsweise Elektroinstallateur und Montage-Elektriker nimmt ab.» Gleichzeitig mache es aber auch grossen Spass, denn durch die Jungen bliebe man am Puls der Zeit.
Sarah Weissmann