Der Vorschlag für ein neues Kreditprogramm zu Gunsten Griechenlands steht. Die Geldgeber kommen Athen weit entgegen.
Fabian Fellmann, Brüssel
Zum Schluss noch einmal eine 13-stündige Verhandlungsnacht und schon steht die Einigung zwischen Griechenland und seinen Geldgebern. Das hat gestern in Brüssel die Europäische Kommission bestätigt. «Die technische Einigung ist im Grundsatz erreicht, es bleiben noch einige Details fertigzustellen», sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Gefunden ist damit eine Einigung auf Stufe der Fachdiplomaten, welche Reformen Griechenland umsetzen muss, um noch einmal bis zu 86 Milliarden Euro an Krediten zu erhalten. Laut griechischen Medien haben die Geldgeber Athen wichtige Zugeständnisse gemacht. Die Einigung ist mit Beteiligung des IWF erzielt worden. Ob er aber auch beim Kreditprogramm mitmacht, ist nicht entschieden. Der IWF dürfte darüber erst im Herbst oder im kommenden Frühling entscheiden, wenn die Schuldenerleichterungen diskutiert worden sind.
Weil die griechische Wirtschaft wieder in eine tiefe Rezession gefallen ist, werden die Budgetvorgaben für die Regierung gelockert. Im laufenden Jahr soll Athen noch einmal ein Defizit vor Zinsen schreiben dürfen, und auch für die kommenden zwei Jahre haben die Geldgeber die Ziele heruntergesetzt. Das verschafft der Regierung Luft bei den Staatsausgaben und entkräftet weitgehend die Vorwürfe, die Geldgeber zwängten Griechenland aus ideologischen Gründen eine überharte Sparpolitik auf.
Die technische Einigung ist schneller gekommen als erwartet. Grund dafür ist laut EU-Diplomaten, dass die griechische Regierung ihren Fundamentalwiderstand aufgegeben und einer Reihe von 35 Reformen zugestimmt haben, welche als Vorleistung für die Kredite gelten. Als Vorleistung für die erste Kredittranche des neuen Programms soll die griechische Regierung einer Liste von 35 Reformen zugestimmt haben. Sie soll noch in dieser Woche dem Parlament vorgelegt werden. Laut der griechischen Tageszeitung Kathimerini würde die erste Tranche rund 25 Milliarden Euro umfassen. Im Gegenzug würde Athen die Tonnage-Steuer für Reeder sowie die Mehrwertsteuer auf den Inseln erhöhen. Vorgesehen ist weiter, den Medikamentenhandel zu liberalisieren und Generika billiger zu machen. Künftig sollen weniger Griechen als Bauern Subventionen erhalten, auch Steuervorteile für Treibstoffe entfallen. Das ganze Sozialversicherungssystem soll so umgebaut werden, dass es jährlich ein halbes Prozent der Wirtschaftsleistung weniger kostet.
Die Bedingungen für Frührenten werden verschärft. Weiter umfasst die Einigung verschiedene Staatsreformen, etwa der Steuerdienste und der Justiz, die Privatisierung von Staatseigentum, sowie die Liberalisierung des Arbeitsrechts und geschützter Berufe wie Ingenieure und Notare. Schliesslich verlangt der Plan, dass Betreibungen und Pfändungen einfacher werden, indem Gläubiger besser auf Löhne und Renten von Schuldnern zugreifen können.
Die Verhandlungen scheinen damit auf Kurs doch noch sind die offiziellen Beschlüsse nicht gefallen. «Wir haben noch keine politische Einigung», sagte die Kommissionssprecherin gestern in Brüssel. Noch am selben Nachmittag wurde die politische Beschlussfassung auf den Weg gebracht: Der griechische Premierminister Alexis Tsipras telefonierte am Nachmittag mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten François Hollande. Am Freitag werden die Finanzminister der 19 Euro-Länder über die Einigung beraten. Erste Reaktionen lassen erahnen, dass sie dem Programm vorsichtig positiv gegenüberstehen. Der finnische Finanzminister Alex Stubb etwa sagte, es bleibe noch einige Detailarbeit zu tun. Gleichzeitig zeigte er aber Bereitschaft, über den nächsten Schritt zu sprechen: Finnland sei bereit, die Schuldenlast für Griechenland über längere Laufzeiten der Kredite zu mindern. Solche Massnahmen wollen die Euroländer im Oktober diskutieren.
Athen könnte dank der schnellen Einigung noch vor dem 20. August neues Geld erhalten; dann muss Griechenland knapp 3,5 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank zurückzahlen. Allerdings warten noch einige Stolpersteine. In mehreren Euro-Ländern werden die nationalen Parlamente über den Vorschlag abstimmen, darunter Deutschland. In Griechenland steht der Regierung eine Zerreissprobe bevor. Bis Donnerstag soll das Parlament die Liste von 35 Reformen absegnen. Der linke Flügel von Alexis Tsipras’ Partei Syriza verweigert bisher die Zustimmung. Das Programm dürfte dank den Stimmen der Opposition eine Mehrheit finden, doch die Regierungspartei steht laut Beobachtern vor der Spaltung. Tsipras droht darum mit Neuwahlen im Herbst. Angesichts der Ungewissheiten bereitet sich die EU immer noch auf einen Plan B vor: Sollte die Einigung vor dem 20. August nicht zu Stande kommen, könnte Griechenland einen weiteren Brückenkredit aus dem EFSM-Fonds erhalten. Darüber wurden die Finanzstaatssekretäre aller 28 EU-Länder gestern an einer Telefonkonferenz informiert.
Ökonomen reagierten gestern unterschiedlich auf das Ende der Verhandlungen.«Die Pläne beruhen auf Prognosen für Wirtschaft und Staatsfinanzen, die nur knapp nicht als Fantasieprodukte bezeichnet werden müssen», schrieb etwa Jonathan Loynes von der Wirtschaftsberatung Capital Economics. Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Hamburger Berenbergbank, nannte die Einigung hingegen «einen guten Deal», wie er dem Handelsblatt sagte. «Dass eine Einigung in so kurzer Zeit möglich war zeigt, dass die griechische Regierung gewillt ist, das Nötige zu tun, um im Euro zu bleiben. Setze Athen die Reformen um, könnte die Wirtschaft noch in diesem Jahr wieder zu wachsen beginnen.
Auf diese Weise soll Griechenland noch dieses Jahr nach dem Willen der Gläubiger einen Überschuss von 0,25 Prozent des BIP im Staatsbudget erzielen.