Reaktion
Bundesrat will sich US-Zölle nicht bieten lassen – und reagiert mit einer erstaunlichen Klage

Der Bundesrat will sich US-Zölle nicht bieten lassen – doch wie schlimm sind diese wirklich?

Daniel Zulauf
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Nur 80 Millionen beträgt das relevante Handelsvolumen mit den USA. Warum also reagiert der Bundesrat? Im Bild: Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann.

Nur 80 Millionen beträgt das relevante Handelsvolumen mit den USA. Warum also reagiert der Bundesrat? Im Bild: Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann.

KEYSTONE/AP/JACQUES BRINON

Seit vergangener Woche ist auch die Schweiz offiziell Partei im Handelsstreit mit den USA. Mit dem am 9. Juli bei der Welthandelsorganisation WTO in Genf deponierten Begehren um Konsultationen mit dem amerikanischen Handelsministerium gab Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann grünes Licht für den ersten formellen Schritt zu einer Klage vor dem WTO-Schiedsgericht (die «Nordwestschweiz» berichtete). Die WTORegeln verlangen, dass die Parteien vor Beginn dieser Konfrontation während höchstens 60 Tagen eine einvernehmliche Lösung suchen. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies gelingt, ist aber erfahrungsgemäss minimal. Denn die Positionen sind zu diesem Zeitpunkt längst bezogen.

Die Schweiz begründet ihre Intervention gleich wie die EU, Norwegen, Kanada, Mexiko und Russland, die allesamt bereits Klage eingereicht haben: Der Schutz der nationalen Sicherheit, den die USA zur Rechtfertigung der hohen Importzölle auf Stahl und Aluminiumprodukte ins Feld führt, sei kein zulässiges Argument.

Doch die US-Regierung hat ein starkes Gegenargument: Sie stützt ihr Vorgehen auf Artikel 21 des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT), das den 164 WTO-Mitgliedsländern explizit Ausnahmen zur Wahrung der Sicherheit zugesteht. Allerdings wurde der Artikel seit seiner Aufnahme in das Abkommen im Jahr 1994 noch kein einziges Mal angerufen. Dafür mag es verschiedene Gründe geben, einer davon ist aber besonders wichtig: Schwarz auf weiss legt der Artikel nämlich offen, wo die Grenzen der bestehenden Welthandelsordnung liegen. Tatsächlich kommt Artikel 21 des GATT-Vertrages einer Carte Blanche für Protektionisten gleich. Konkret liest man da: «Die Bestimmungen dieses Abkommens hindern eine Vertragspartei nicht daran, (...) Massnahmen zu treffen, die nach ihrer Auffassung zum Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen notwendig sind.»

Kein WTO-Schiedsrichter dürfte der US-Regierung eine falsche Einschätzung der eigenen Sicherheitslage nachweisen wollen. «Der Paragraf öffnet der handelspolitischen Willkür Tür und Tor», sagt der ehemalige WTO-Schiedsrichter und ETH-Wirtschaftsprofessor Richard Senti. Trotzdem will sich nun offensichtlich auch die Schweiz in die Gruppe der genannten Länder einreihen, die ihre Klagen bereits deponiert haben und in das entsprechende Streitschlichtungsverfahren eingetreten sind.

Erstaunlicher Entscheid

Der Entscheid des Bundesrates ist mindestens aus zwei Gründen sehr erstaunlich: Erstens ist die Schweiz von den US-Zöllen direkt kaum betroffen. Das Seco beziffert das relevante Handelsvolumen mit 80 Millionen Franken. Das sind gerade mal 0,032 Prozent aller Ausfuhren im Jahr 2017. Mehr Grund zum Klagen hat da zum Beispiel Norwegen, das Stahl- und Aluminiumerzeugnisse im Wert von sechs Milliarden Franken ausführt, was fast sechs Prozent aller Güterexporte des Landes entspricht. Noch wichtiger als für Norwegen sind die Aluminium- und Stahlexporte für Kanada und Russland. Aber auch Mexiko und die EU haben weit mehr zu verlieren als die Schweiz. Dasselbe gilt für andere Länder, die in dem Streit bislang ganz ferngeblieben sind.

Erstaunlich ist der Entscheid zweitens aber auch deshalb, weil die Schweiz bislang noch nie selber eine WTO-Klage angestrengt hat. Im bislang ersten Streit der Schweiz, der nicht schon in der Konsultationsphase gelöst werden konnte und tatsächlich zu einer Klage führte, hatte sich das Land 2002 sieben anderen WTO-Ländern (EU, Norwegen, Japan, Korea, China, Neuseeland und Brasilien) angeschlossen. Gemeinsam verlangten sie die Einsetzung einer neutralen Expertengruppe, welche die damaligen US-Schutzzölle auf Stahlprodukte verurteilen sollte und dies am Ende auch tat.

Während die seinerzeitige Bush-Regierung nach dem WTO-Urteil noch zurückgekrebst war, ist ein gleiches Verhalten vom Trump-Regime nicht zu erwarten. Die WTO-Schiedsrichter werden die US-Schutzzölle vielleicht als eine Verletzung von Sinn und Geist des GATT-Vertrages anprangern, aber mit grösster Wahrscheinlichkeit keine eigentliche Vertragsverletzung feststellen können. Warum sich nun auch die Schweiz in dieses aussichtslose Gefecht stürzen will, bleibt ein Rätsel. Zu gewinnen gibt es vielleicht ein Dankeschön von der EU-Handelsministerin Cecilia Malmström für die freund- liche Solidaritätsbekundung. Doch wenn es um Gegenmassnahmen geht, bleiben kleine Länder machtlos.

Trump hat mit der Anrufung des ominösen Artikels 21 ein handelspolitisches Tabu gebrochen und damit die Gefahr eines veritablen Handelskrieges in Kauf genommen. Doch die Reaktion der Handelspartner einschliesslich der Schweiz macht die Situation nur schlimmer. Sie zwingen die WTO, im Rahmen ihres Streitschlichtungsverfahrens quasi offiziell festzustellen, dass im GATT-Vertrag letztlich allein das Recht des Stärkeren zählt. Es steht zu Befürchtungen, dass der Artikel 21 künftig auch von anderen Ländern angerufen wird. Einer weiteren Eskalation von Schutzzöllen und Gegenmassnahmen stünde nichts mehr im Weg.

Erinnerung an den Bananenkrieg

Ein anschauliches Beispiel für die Absurditäten solcher Handelsstreitigkeiten liefert der «Bananenkrieg». Die EU hatte diesen vor 25 Jahren mit der Einführung einer Verordnung zum Schutz der Produzenten in den vormaligen europäischen Kolonien von billigeren Chiquita-Bananen aus Lateinamerika ausgelöst. Es kam zu einem langjährigen Konflikt, in dem die USA rabiate Strafzölle von bis zu 100 Prozent auf französischen Champagner oder deutschen Haushaltgeräten verlangten. Dass die Gegenmassnahmen auf Branchen abzielten, die mit Bananen rein gar nichts zu tun haben, war kein Zufall. Die beliebtesten Zielscheiben für Sanktionen sind in einem Handelskrieg immer Branchen und Länder mit der stärksten politischen Lobby, also jene Zielgruppen, die am meisten bewegen können.