CHINA: Das Turbo-Wachstum ist vorbei

Das Bankensystem ist rückständig, viele Firmen hoch verschuldet: Chinas Wirtschaft ist in einer schwierigen Phase. Das bietet aber auch Chancen für Schweizer Firmen, sagt China-Experte Jörg Wuttke.

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Gewisse chinesische Provinzen weisen eine höhere Stahlproduktion auf als die USA und Japan zusammen. (Bild: EPA)

Gewisse chinesische Provinzen weisen eine höhere Stahlproduktion auf als die USA und Japan zusammen. (Bild: EPA)

Der Chinesische Präsident Xi Jinping (rechts) im Gespräch mit dem Kongressvorsitzenden Yu Zhengsheng während der Eröffnung des Volkskongresses der Kommunistischen Partei Chinas am Donnerstag. (Bild: Andy Wong)
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Der Chinesische Premier Li Keqiang gibt einen Arbeitsbericht. (Bild: Andy Wong)
Vor der «Great Hall of the People» in Peking, wo der Kongress stattfindet, posieren zwei Hostessen. (Bild: Mark Schiefelbein)
Delegierte auf dem Weg zu Pekings «Great Hall of the People». (Bild: Mark Schiefelbein)
Der Chinesische Premier Li Keqiang präsentiert einen Arbeitsbericht. (Bild: Andy Wong)
Der Chinesische Premier Li Keqiang, vorne Mitte, steht während seines Arbeitsberichts vom Stuhl auf. (Bild: Andy Wong)
Zuschauer am Tiananmen Square in Peking. (Bild: Mark Schiefelbein)
Während der Kongress voll im Gange ist, warten Hostessen vor der Halle. (Bild: Mark Schiefelbein)
Delegierte machen vor der Eröffnungssitzung des Kongresses Souvenirfotos. (Bild: Andy Wong)
Ein Fahrer wartet in einem Shuttle auf die Delegierten. (Bild: Andy Wong)
Hong Kong's Chief Executive Leung Chun-ying schaut sich die Kongressunterlagen vom Chinesischen Premier Li Keqiang an. (Bild: Andy Wong)
Hong Kongs ehemaliger Chief Executive Tung Chee-hwa (Mitte) im Gespräch mit einem Delegierten nach der Eröffnungssitzung. (Bild: Andy Wong)
Ein Fernsehcrew-Mitglied beim Rauchen. (Bild: Mark Schiefelbein)
Hong Kongs ehemaliger Chief Executive Tung Chee-hwa (Mitte unten) und Delegierte lesen einen Arbeitsbericht des Chinesischen Premier Li Keqiang. (Bild: Andy Wong)
Delegierte auf dem Weg zur Eröffnung. (Bild: Mark Schiefelbein)
Bild: Mark Schiefelbein
Ein Security bewacht die Great Hall of the People während des Kongresses. (Bild: Mark Schiefelbein)
Bild: Mark Schiefelbein
Chinas Präsident Xi Jinping, links,im Gespräch mit Premier Li Keqiang nach der Eröffnungssession. (Bild: Andy Wong)
Die Delegierten reihen sich auf, um die Halle zu verlassen. (Bild: Andy Wong)
Eine Chinesin macht mit ihrem Smartphone ein Bild von der Great Hall of the People. (Bild: Ng Han Guan)
Vor der Halle tummeln sich Journalisten. (Bild: Ng Han Guan)
Ein Journalist macht ein Selfie. (Bild: Andy Wong)

Der Chinesische Präsident Xi Jinping (rechts) im Gespräch mit dem Kongressvorsitzenden Yu Zhengsheng während der Eröffnung des Volkskongresses der Kommunistischen Partei Chinas am Donnerstag. (Bild: Andy Wong)

Heute beginnt in Peking der Volkskongress der Kommunistischen Partei Chinas. Beobachter erhoffen sich davon neue Impulse für die sich abkühlende chinesische Wirtschaft. Die Zeit des Turbo-Wachstums scheint definitiv vorbei zu sein. Erst am Wochenende drehte die Notenbank zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten mit einer Zinssenkung die Geldhähne auf.

Der Hintergrund: Die Geschäftsbanken sollen billiges Geld an die Unternehmen weitergeben, so dass diese leichter Kredite für neue Investitionen aufnehmen können. Die weitere Konjunkturentwicklung hängt zudem stark von den weiteren Massnahmen ab, mit denen Chinas Regierung die Wirtschaft weiter umbauen will. Aus Sicht der kommunistischen Führung soll Chinas Wirtschaft nicht länger von den Ausfuhren abhängen, sondern vom Binnenkonsum gestützt werden. Der China-Kenner Jörg Wuttke, Präsident der Handelskammer EU-China, gibt im Interview einen Ausblick dazu.

Jörg Wuttke, China weist für 2014 mit 7,4 Prozent das niedrigste Wirtschaftswachstum seit langem aus. Dennoch wirkt die Führung recht entspannt. Wie passt das zusammen?

Jörg Wuttke: Die chinesische Führung nennt das die «Neue Normalität» – weg von zweistelligen Turbozahlen. Und das Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr eher noch etwas schwächer ausfallen. China kann nicht mehr die Wachstumslokomotive der Welt sein. China hat in den letzten 6 Jahren jährlich zwischen 30 und 50 Prozent des Wirtschaftswachstums global generiert. Nun werden die USA, Indien und hoffentlich auch etwas die EU diese Last übernehmen. China hat im Export den Zenit erreicht, es wird aber weiter ein extrem starker Exporteur bleiben. Langfristig wird China immer noch ein starkes Wachstum haben, die Basis wird immer grösser. Auch 4 oder 5 Prozent sind dann immer noch viel mehr, als andere Länder haben.

Was bedeutet die niedrigere Wachstumserwartung für die europäische Wirtschaft?

Wuttke: Die Wachstumserwartungen der europäischen Wirtschaft als Exporteure nach China als auch als Investoren in China werden niedriger ausfallen. Sie müssen sich auf verzögerte Investitionen in den nächsten zwei bis drei Jahren einstellen. Aber keiner kann den chinesischen Markt vernachlässigen.

Was bedeutet das konkret?

Wuttke: China wird mittel- und langfristig wieder extrem wichtig werden. Wir müssen nur clever durch die nächsten Jahre kommen. Also zurückhaltender in dem Personalaufbau sein, ein Argusauge auf die Vorräte werfen, die Kosten senken, und uns genauer anschauen, welche Kunden noch in 2 bis 3 Jahren im Markt sein werden. China ist dort, wo Japan in den 60er-Jahren war. Das Land durchlebt eine schwierige Phase, aber nach 2017, wenn die Schuldensituation etwas weniger kritisch ist, und auch eine neue Führungsmannschaft von Präsident Xi aufgestellt worden ist, sollte es wieder durchstarten, vorausgesetzt es geht die notwendigen Reformen an.

China hat grosse Wirtschaftsreformen angekündigt – was ist daraus ge­worden?

Wuttke: Der Fahrplan steht in etlichen Sektoren. Das Problem ist, dass die Abfahrtszeiten noch unklar sind. Die grössten Probleme in Chinas Wirtschaft aktuell sind die hohe Verschuldung der Firmen und der abflachende Immobiliensektor mit extrem vielen leeren Appartements.

Das sind aber nicht die einzigen Störfaktoren, die diesen Umbauprozess erschweren.

Wuttke: Ein wichtiger Störfaktor ist sicher auch die Schwierigkeit, das Land in eine Marktwirtschaft zu überführen. Der Staat behält weiter einen riesigen Einfluss über die staatseigenen Betriebe. Als privater chinesischer oder als ausländischer Unternehmer hat man dadurch einen Wettbewerbsnachteil, der einem den Marktzugang verhagelt. Wir wissen nicht, ob man auch künftig einen Joint-Venture-Partner braucht, um in China tätig zu sein oder nicht. Die Regierung müsste sich mehr aus der Wirtschaft zurückziehen und sich nur noch als Regulator betätigen. Viele Firmen, die de facto bankrott sind, produzieren aber weiter. Dadurch wird die ganze Volkswirtschaft geschädigt.

In welchen Sektoren gibt es eine Ballung quasi bankrotter Firmen?

Wuttke: Die krassesten Probleme gibt es im Stahlbereich. Hebei, die Provinz, die um Peking gelagert ist, hat eine grössere Stahlproduktion als Japan und die USA zusammen. Das sind völlig unnatürliche Zahlen. In einer funktionierenden Volkswirtschaft würde die Hälfte dieser Firmen bankrott gehen und vom Markt verschwinden. Aber das passiert in China nicht. Deshalb gibt es einen wahnsinnigen Margendruck, die meisten Stahlwerke verlieren Geld. Umweltauflagen werden dann eher nicht beachtet, weil das Geld kostet. Es gibt nur eine Lösung: Es müsste auch in China mehr Bankrotte geben.

Gibt es weitere Störfaktoren?

Wuttke: Hier geht es vor allem um die Umweltprobleme. Diese sind dermassen gross, dass die Bevölkerung die Nase voll hat und keine Ansiedlung von Grossindustrie mehr in unmittelbarer Nähe zu ihren Wohnungen haben will. Deswegen gibt es grosse Probleme, die notwendigen Industrien, wie die Chemieindustrie, in China überhaupt noch zu positionieren. Eine weitere grosse Unbekannte ist das rückständige Bankensystem Chinas.

Worin besteht die Rückständigkeit des chinesischen Bankensystems?

Wuttke: Es gibt grosse Banken, die sich über die Kreditvergabe an grosse Unternehmen oder die Stadtregierungen finanzieren. Chinesische Privatunternehmen, die in der Regel für mehr Innovation stehen und am ehesten Jobs schaffen, hingegen, bekommen so gut wie keine Kredite. Diese müssen sich auf Graumärkten das Geld holen und zwar zu sehr viel höheren Zinsen. Eine richtig professionelle Risikobewertung inklusive einer Kreditvergabe an chinesische Privatunternehmen gibt es in China noch gar nicht. Den wirklich innovativen Unternehmen wird es erschwert zu investieren und zu wachsen.

Es gibt von einigen Seiten Widerstand gegen die geplanten Wirtschafts­reformen, von welcher Seite?

Wuttke: Vor allem Interessengruppen, die ihren Einflussbereich verteidigen wollen. Und natürlich besteht bei vielen Reformern auch die Befürchtung, dass zunehmende Transparenz zu Krisen führt. Wenn man beispielsweise aufdecken könnte, wie weit die Krise etliche Industrien unterminiert hat, unter anderem durch Überkapazitäten, würden viele das Vertrauen in den Markt verlieren. Die Regierung muss also psychologisch sehr vorsichtig vorgehen.

Wie gehen europäische Unternehmen mit den höheren Löhnen in China um?

Wuttke: Nicht nur die steigenden Löhne verteuern den Standort China. Der Staat könnte zudem Umweltauflagen, wie zum Beispiel Wasseraufbereitungsanlagen oder Luftfilter, stärker einfordern und kontrollieren. Die konsequente Umsetzung bestehender Gesetze in China könnte für viele europäische Unternehmen auf Dauer ein riesiger Vorteil sein.

Warum?

Wuttke: Ob es ein Vorteil ist, hängt von den chinesischen Unterlieferanten der europäischen Unternehmen ab. Wenn es eine Marktbereinigung gibt und diese geht nicht nur über Margen und Marktanteile, dann brauchen die chinesischen Kunden Unterstützung beim Engineering oder der Weiterentwicklung von Produkten. Hier sind westeuropäische und natürlich auch Schweizer Unternehmen gut aufgestellt und wissen, wie das geht. Ein Problem in einer Volkswirtschaft kann auch in einer Nische für uns als Ausländer von Vorteil sein.

Interview Hans-Peter Hoeren

Hinweis

Jörg Wuttke (56) ist Präsident der EU-Handelskammer in China. Er lebt seit über 24 Jahren in China. Jörg Wuttke war im vergangenen Herbst Referent beim Europa-Forum in Luzern.