«Clariant sind WIR, wir bleiben hier!»

Rund 300 Personen demonstrieren gegen den geplanten Abbau von 400 Stellen bei Clariant in Muttenz.

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Demo Clariant

Demo Clariant

Pflotsch im Morgengrauen, Flugblätter als Gipfeliunterlage. Kaffee dampft aus Styroporbechern in die Kälte, die ein Gasstrahler in der Zeltecke mit blauer Flamme zu vertreiben sucht. Mit Packband fixierte Müllsäcke zieren die Tisch-Stirnseiten, alles helvetisch durchorganisiert. Ein Unia-Kollege in roter Jacke verteilt Buttons: «Kahlschlag bei Clariant. Wir kämpfen für Arbeitsplätze.» Nein, er arbeite nicht bei Clariant, gibt ein ehemaliger SBB-Rangierarbeiter Auskunft. «Ich bin arbeitslos und weiss, wie das ist. Ich will die Kollegen hier unterstützen.»

Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Schwäbisch, Französisch: Eine Prise «Proletarier aller Länder» mischt sich mit Zigarettenqualm. «Das geht nicht auf: Um unser Werk in Huningue rentabel zu machen, müsste Clariant 30Millionen investieren, um uns rauszustellen zahlen sie 60Millionen», wettert ein Elsässer in der Jacke der französischen Gewerkschaft CGT. «Wir möchten wissen, wie viel Novartis Clariant bezahlt, damit sie das Werk schliesst und Platz macht für den Campus.» Doch Clariant-Chef Hariolf Kottmann erscheine nicht, um das alles zu erklären, «obschon wir und auch der Bürgermeister von Huningue ihn eingeladen haben».

Das Gewerkschaftszelt steht auf Clariant-Boden. Sie bekenne sich zum demokratischen Recht, einer Meinung per Demonstration Nachdruck zu verleihen, schrieb die Geschäftsleitung an die «sehr geehrten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter». «Wir werden indessen keinerlei Gewalt, keine Aussperrungen von arbeitswilligen Mitarbeitenden und keine Aufrufe zu Gewalttaten tolerieren», betont sie in Fettdruck. In Zürich seien Eier geworfen worden. Clariant werde «sich mit allen rechtlichen Mitteln dagegen wehren», falls es zu «gewaltsamem Protest» komme.

«Solche Warnungen schüchtern viele ein, die sich schwer tun, an einer Demonstration teilzunehmen», kritisiert ein älterer Clariant-Angestellter aus dem Werk Reinach und dreht den Spiess um: «Wenn die Schliessung eines Werks kein Gewaltakt ist, dann ‹guet Nacht am Sächsi›.» «Wir kämpfen für die Arbeitsplätze, den Kahlschlag machen die anderen», kommentiert ein Schwarzwälder Clariant-Grenzgänger . «Die Grossen sollen wissen, dass sie uns nicht immer nur entlassen können. Ich bin hier, weil ich will, dass der Mensch wieder etwas zählt - nicht nur das Scheiss-Geld.»

Transparente vor der Konzernzentrale, inszenierte Symbolik: Das Aufstellen zum Abmarsch zum Bahnhof Mutenz gerät zum Fototermin, die Kollegen aus Huningue vorne dabei. Erste Sprechchöre «Stopp, stopp Stellenabbau.» Megaphonsirenen, Tröten, Trillerpfeifen: akustische Ausrufzeichen. Hinter Clariant-Fenstern einzelne Gesichter, ansonsten menschenleere Industriekulisse. Das Beton-Echo in der Unterführung potenziert die Parolen, macht dem Zug der roten Fahnen Mut: «Kottmann vertreiben, Arbeitsplätze bleiben», und: «Clariant sind WIR, wir bleiben hier!» Schneeschauer setzen sich in Transparenten, Haar und Bärten fest. «Schnee und Rääge macht uns nüt, mir sind da für unsri Lüt.»
Fünf Busse füllen die Demonstrierenden auf dem Weg nach Liestal. Dort wartet am Bahnhof eine Delegation der deutschen Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie. Kurz ist die Route über Poststrasse und Törli zur Kundgebung vor dem Regierungsgebäude. «Wir stellen uns Sozialpartnerschaft anders vor, als die Clariant-Manager, die tausende Stellen abbauen und gleichzeitig die eigenen Bezüge erhöhen», erklärt Manuel Wyss, bei der Gewerkschaft Unia zuständig für die Clariant-Kampagne. Pfuirufe. Dann Applaus für den Streik im Clariant-Werk Huningue. Auch hier die Kritik, dass Kottmann nicht selbst verhandle, sondern Strohmänner schicke, die nichts entscheiden dürften. Pfiffe. «Deshalb sind wir gezwungen, die Auseinandersetzung auf die Strasse und die Bühne der Politik zu tragen.»

Landräte bahnen sich ihren Weg in die Sitzung, müssen sich unter dem gewerkschaftlichen Lautsprecherkabel hindurchbücken. Wyss verliest die Forderungen. Erstens: Clariant müsse die Sozialpartnerschaft respektieren. Zweitens: «Es braucht sofort eine Taskforce aus Vertretern der Gewerkschaften, des Unternehmens und der Politik.»Und drittens müsse der Sozialplan verbessert werden. «Lieber Herr Kottmann, unser Kampf beginnt heute erst, und wir werden ihn weitertragen.»

«Jahrelanger Abbau in Salamitaktik hat vor allem Verunsicherung ausgelöst», wendet sich Unia-Regionalsekretärin Rita Schiavi an die nach Angaben der Demoleitung rund dreihundert Anwesenden. Unter Clariant-Chef Kottmann sei das Management - Zwischenruf «unfähig!» - zum Kahlschlag übergegangen: Die Schliessung von Huningue und der Abbau von 400Stellen in Muttenz bedeuteten einen Verlust von rund 700 Stellen in der Region. «Das kann den Behörden nicht egal sein. Deswegen stehen wir vor dem Regierungsgebäude. Die Behörden dürfen den Abbau nicht einfach als Naturkatastrophe hinnehmen.» SP-Landrat Andreas Giger stellt seine Interpellation vor (Seite 20) und Daniel Münger überbringt die Solidarität der SP-Landratsfraktion. Doch keiner erhält so viel Applaus wie Personalkommissionspräsident Jörg Studer: «Die verschiedenen Clariant-Standorte dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Wir müssen gemeinsam kämpfen. Dann schaffen wir das.» Die 400 schwarzen Luftballons, für jede bedrohte Stelle einen, die dann als Symbol aufsteigen sollen, geben ungewollt die Realität wieder: Viele haben ihren Ballon schon vorher steigen lassen - wie die scheibchenweise verlorenen Jobs bei Clariant.