Wirtschaft
Corona-Virus: Oswald Grübel glaubt nicht an Börsencrash

Die Kurse sind in den letzten Tagen stark gesunken. Die tiefen Zinsen schützen vor einem Totalabsturz.

Thomas Müller
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An den Börsen geht es wegen dem Coronavirus abwärts: ein Mann mit einer Maske in Tokio vor einer Börsenanzeigetafel.

An den Börsen geht es wegen dem Coronavirus abwärts: ein Mann mit einer Maske in Tokio vor einer Börsenanzeigetafel.

KEYSTONE/EPA/KM gt

Börse Die Anleger zittern. Nach zwei tiefroten Tagen brachen die Kurse gestern in den frühen Handelsstunden an den europäischen Börsen nochmals ein. Dann keimte Hoffnung, es ging wieder leicht aufwärts. Zum Schluss resultierte beim Schweizer Leitindex SMI ein Plus von 0,3 Prozent, beim deutschen DAX ein Minus von 0,1 Prozent.

Inzwischen macht die Korrektur rund 7 Prozent aus. «In den letzten Tagen haben vor allem Spekulanten und Kleinanleger verkauft, die normalerweise ein höheres Risiko eingehen», sagt ein Kenner der Finanzmärkte, der frühere UBS-Chef und CS-Chef Oswald Grübel. Bis zu den beunruhigenden Nachrichten zum Corona-Virus vom Wochenende steckten die Anleger alles Negative unbeeindruckt weg, nun herrscht Katerstimmung.

Nicht nur die Aktienkurse haben auf das Corona-Virus reagiert, sondern auch Airlines, welche wegen der Krankheit Flüge streichen mussten. (Symbolbild)

Nicht nur die Aktienkurse haben auf das Corona-Virus reagiert, sondern auch Airlines, welche wegen der Krankheit Flüge streichen mussten. (Symbolbild)

Keystone / Daten: Swissquote / Redaktion: gjo / Grafik: lsi

«Das Sentiment ist gekippt – lange war die Stimmung zu gut, und nun ist sie zu schlecht», konstatiert Thorsten Hens, Professor für Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich, der sich auf Anlegerpsychologie spezialisiert hat. Grübel ist der Meinung, die Aktienmärkte hätten im Zuge der Virus-Ausbreitung die überkaufte Situation zügig korrigiert und seien – in Anbetracht der tiefen Zinsen – wieder auf einer weniger spekulativen Basis.

Durchschnittsanleger sollen zuwarten

Lässt es sich bei diesem Niveau vertreten, Aktien zu kaufen? Oder handelt es sich aktuell um eine technische Erholung mit nur vorübergehend leicht steigenden Kursen, wie sie nach mehreren Tagen mit Verlusten vorkommt? Der Moment zu kaufen sei gekommen, wenn alle kurzfristigen Anleger verkauft hätten, so Grübel: «Das Datum dafür zu bestimmen ist nicht möglich, aber wir sind nicht sehr weit davon weg.» Durchschnittsanlegern empfiehlt er zuzuwarten, wenn sie sicher sein wollen, dass das Corona-Virus nicht noch grösseren Schaden anrichtet. Für ihn ist klar: «Solange die Zinsen nicht steigen, gibt es Käufer für Aktien.»

Auch Anlagestratege Alex Hinder, Chef von Hinder Asset Management, nennt die Zinssenkung durch die US-Notenbank, die wieder expansivere Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und die Negativzinsen als Treiber hinter den Kursen. «Ich glaube aber nicht, dass wir bald eine Fortsetzung der Hausse sehen.» Das Corona-Virus sei wohl nicht ausgestanden.

Er erwartet einen Dämpfer für das Wachstum und sinkende Unternehmensgewinne. Das Virus habe als Katalysator eine überfällige Korrektur ausgelöst. «In den USA zum Beispiel sanken die Gewinne der 500 grössten börsenkotierten Unternehmen letztes Jahr um 3 Prozent, dennoch stiegen die Börsenkurse stark an.» Der Dow Jones legte um 22 Prozent zu, die Technologiebörse Nasdaq um 35 Prozent, der SMI in Zürich um 26 Prozent.

Was tun? Wenn ein Privatanleger jetzt verkaufe, habe er «das Spiel nicht begriffen», sagt Professor Hens: «Solche Phasen muss man durchstehen, um Rendite zu machen.» Jetzt abstossen, um den Schaden zu begrenzen und später wieder einsteigen, das sei keine gute Option. Solches Timing gelinge kaum je: «Ist man noch nicht voll auf Strategie investiert, muss man jede Korrektur nutzen, um nachzukaufen. Fährt man schon auf Strategiekurs, sollte man kein Market-Timing versuchen.»

Das grösste Risiko drohe der Schweizer Wirtschaft von einer Stimmungsverschlechterung in der europäischen Industrie, hält Alessandro Bee, Ökonom bei der Grossbank UBS, fest. Müssten zur Verhinderung der Ausbreitung des Corona-Virus Teile der Wirtschaft eingeschränkt werden, hält er eine Rezession in der Schweiz für möglich.

Ein Abschwung brächte den Schweizer Franken unter weiteren Aufwertungsdruck. Das werde die Schweizerische Nationalbank nicht tatenlos hinnehmen, sondern sich mit Deviseninterventionen wehren: «Notfalls ist sie auch bereit, die Zinsen zu senken.»