Handelsschranken
Das Handy ist auch ein Zöllner

Der von der WTO angestrebte Abbau von Bürokratie an Grenzen kommt gut voran und setzt einen starken Kontrapunkt zum Handelsstreit.

Daniel Zulauf
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Die App «Quick Zoll» gibt es seit diesem Frühjahr.

Die App «Quick Zoll» gibt es seit diesem Frühjahr.

zvg

Wenn es um Handelsschranken und Protektionismus geht, stehen Donald Trump und die Protagonisten im Streit unter den grössten Handelsmächten im Vordergrund. Der öffentliche Diskurs um den möglichen globalen Handelskrieg verkennt allerdings die Fortschritte, wie sie bei der effizienten Bewältigung der grenzüberschreitenden Güterströme vielerorts erreicht werden.

So ist in der Schweiz das Smartphone seit diesem Frühjahr auch ein Zöllner. «Quick Zoll» heisst die App, mit der Schweizer ihre Einkäufe jenseits der Grenze deklarieren und die fällige Mehrwertsteuer per Kreditkarte sofort begleichen können. Lange Warteschlangen an den Abfertigungsschaltern der Zollstellen sollen nicht mehr vor Einkäufen im Ausland abschrecken dürfen.

Rund 400 Millionen Franken wird die Schweiz bis 2026 in die Digitalisierung und Automatisierung der Zollprozesse investieren. Nach Schätzungen des Bundes verursachen die Verzollungsprozeduren jährliche Kosten für die Wirtschaft von 500 Millionen Franken. Wenn die 200 Millionen Einfuhrbewilligungen und die 7 Millionen Ausfuhrbewilligungen pro Jahr nicht mehr einzeln gedruckt und abgestempelt werden müssen, lassen sich nach vorsichtiger Kalkulation des eidgenössischen Finanzdepartementes jährlich 20 Prozent oder 125 Millionen Franken sparen.

Bedeutendes Abkommen auf Bali

Die Entbürokratisierung und Vereinfachung der Zollverfahren ist auch ein zentrales Anliegen der Welthandelsorganisation (WTO). Vor fünf Jahren schlossen die 164 Mitgliedsländer auf der indonesischen Insel Bali ein Abkommen über die Vereinfachung von Zollverfahren und die Erleichterung von Zollabfertigungen. Das Abkommen umfasst mehr als 30 Massnahmen, darunter auch Vorkehrungen für eine engere Zusammenarbeit unter den Zollbehörden.

Im Idealfall kooperieren die Zollstellen unter Nachbarländern so eng, dass sie sich die personellen und technischen Ressourcen teilen können. Die als Barcode an der Ware angebrachte Ausfuhrdeklaration könnte gleichzeitig sowohl den Import als auch den Export bestätigen. Zudem könnten die Zollbehörden wichtige Informationen über die Risiken und Ergebnisse von Kontrollen austauschen.

WTO sieht «grosse Fortschritte»

Am Dienstag informierte die WTO in Genf über den Stand der Umsetzungsarbeiten des Abkommens. Generaldirektor Roberto Azevêdo sprach von «grossen Fortschritten». Seit der Inkraftsetzung des Abkommens im Februar 2017 hätten 60 Prozent der Mitgliedsländer ihre Umsetzungsverpflichtungen abgegeben. Darunter alle Industrieländer, fast zwei Drittel aller Schwellenländer und immerhin ein Fünftel der Entwicklungsländer. Die WTO, die derzeit fast nur noch als Schiedsstelle für Handelsstreitigkeiten funktioniert und beim multilateralen Abbau von Handelsschranken seit vielen Jahren keine Fortschritte mehr erzielt, ist dies ein seltenes Erfolgserlebnis.

Die Verbesserungen kämen in erster Linie den kleinen und mittelgrossen Betrieben (KMU) zugute, stellte Azevêdo zufrieden fest. Deren Kosten im grenzüberschreitenden Handel seien vielfach «prohibitiv hoch». Die Feststellung ist bedeutungsvoll, da sie auf die Rolle der KMU als Schmiermittel für jede arbeitsteilige und effiziente Wirtschaft abzielt. Azevêdo sagte, zwei Drittel aller weltweit gehandelten Waren bestünden aus Komponenten, die in mindestens zwei verschiedenen Ländern hergestellt würden. Bürokratische Zollprozesse wirken in einer solchen Ökonomie selbstredend wie lähmendes Gift.

Die nicht direkt sichtbaren «nichttarifären» Kosten im Handel sind oft ein Vielfaches höher als die verbliebenen Zölle, die seit Beginn der ersten Welthandelsrunden vor 60 Jahren von durchschnittlich um die 50 Prozent auf 5 Prozent gesunken sind. Die OECD schätzt, dass allein die Vereinfachung der Zollverfahren und die Erleichterung der Zollabfertigung Einsparungen bei den Handelskosten von 12 Prozent bis zu 18 Prozent bringen kann.

Kritik erscheint in neuem Licht

Für den ehemaligen WTO-Schiedsrichter Richard Senti sind solche Schätzungen zwar mit Vorsicht zu geniessen, doch der emeritierte Wirtschaftsprofessor der ETH Zürich meint: «Solche Handelserleichterungen gewinnen an Bedeutung, je mehr das Thema Zölle wieder in den Vordergrund rückt.»

Als die WTO 2013 den erfolgreichen Abschluss des Abkommens über die Handelserleichterungen vermeldet hatte, wurde das Ereignis von vielen Beobachtern auffallend kleingeredet. Ein wichtiger, aber zu kleiner Schritt, lautete eine vielgehörte Kritik. Doch vor dem Hintergrund der sich verschärfenden Streitigkeiten zwischen den grössten Handelsmächten erscheinen auch kleinere Fortschritte im multilateralen Handelssystem plötzlich in einem helleren Licht.