Neue Gremien sollen die Zusammenarbeit verstärken. Doch sie könnten auch die strategische Freiheit bremsen.
Am Samstag hat sich die Raiffeisen-Gruppe eine neue Struktur gegeben. Neu geschaffene Gremien sollen den 229 Besitzerbanken wieder mehr Macht gegenüber der Tochtergesellschaft Raiffeisen Schweiz geben. Bisher gab es keinen in den Statuten verankerten Austausch zwischen Raiffeisen Schweiz und legitimierten Vertretern der Raiffeisenbanken. Das hat sich nun geändert (siehe Grafik).
Grund für diesen Umbau ist, dass die Bankengruppe eine Machtfülle der Zentrale wie in der Ära des Ex-CEO Pierin Vincenz verhindern will. Gegen Vincenz läuft eine Strafuntersuchung wegen möglicher ungetreuer Geschäftsbesorgung.
An der Basis kommt die neue Struktur grundsätzlich gut an. So spricht etwa Michael Iten, Präsident des Zuger Verbands der Raiffeisenbanken, von einem «Meilenstein in der Geschichte von Raiffeisen». Die neue Struktur werde die Zusammenarbeit und Solidarität innerhalb der Gruppe stärken, ist er überzeugt.
Die Raiffeisenbanken haben laut Iten mit der gemeinsam entwickelten Eignerstrategie die Erwartungen der Banken an Raiffeisen Schweiz formuliert. Iten: «Die Banken haben grosses Vertrauen darin, dass Raiffeisen Schweiz im Sinne der Werte von Raiffeisen geführt wird und der künftige Austausch zwischen den Banken und Raiffeisen Schweiz über die neu definierten Gefässe zielgerichtet und speditiv ablaufen wird.»
Dass Raiffeisen Schweiz nun stärker kontrolliert wird, stösst aber auch auf Skepsis. Silvan Felder berät mit seiner Verwaltungsrat Management AG in Luzern seit vielen Jahren Unternehmen im Bereich Corporate Governance, mit Fokus auf Verwaltungsräte. Er sagt: «Nach der Ära Vincenz schlägt das Pendel nun in die andere Richtung – das schafft neue Probleme.»
Seiner Meinung nach macht die Einführung neuer Kontrollgremien in dieser Art wenig Sinn: «Raiffeisen Schweiz hat den Verwaltungsrat neu besetzt und mit kompetenten Persönlichkeiten bestückt. Diese werden nun aber durch eine überfrachtete Aufsicht in ihrer strategischen Freiheit gebremst und nicht gerade mit einem Vertrauensbeweis ausgestattet.»
Langfristig, glaubt Felder, werde Raiffeisen auch durch die für eine Grossbank eher unpassende genossenschaftliche Struktur gebremst. Er hätte Raiffeisen Schweiz in eine Aktiengesellschaft überführt, in der die Banken ihrem Gewicht entsprechend Aktien erhalten hätten. Diese Umwandlung wurde bei Raiffeisen diskutiert, dann aber verworfen. Gemäss der neuen Struktur hat nun jede Bank eine Stimme, unabhängig von ihrer Grösse.
Kurt Sidler, Präsident der Raiffeisenbank Luzern und als Vertreter der Besitzerbanken einer der Architekten der neuen Struktur, hört die Kritik nicht zum ersten Mal. «Die einzelnen Banken haben ihrerseits auch Mitglieder. In einer genossenschaftlichen Struktur ist das Mitspracherecht am besten gewährleistet», ist er überzeugt. Er macht ein Beispiel: «Wir als Raiffeisen Luzern wollen wissen, welche Bedürfnisse unsere Kunden haben, darum pflegen wir mit unseren Mitgliedern einen ständigen Austausch. Diese Zusammenarbeit wird nun auch zwischen Raiffeisen Schweiz und den Besitzerbanken verankert. Damit unterstützen wir den Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz und bremsen ihn nicht.»
Silvan Felder berät auch einzelne dieser Raiffeisenbanken sowie andere Finanzinstitute. Er beobachtet grundsätzlich, dass das Gestalterische zunehmend in den Hintergrund rückt: «Aufgrund der grossen Zahl von Regulierungsvorschriften nehmen Compliance und Risikomanagement zum Teil 80 Prozent der Zeit der VR-Tätigkeit in Anspruch.» Für ihn ist das eine gefährliche Entwicklung. «Die Banken riskieren durch den fast ausschliesslichen Fokus auf Kontrolltätigkeiten, neue strategische Trends zu verpassen, wie zum Beispiel neue Technologien im Finanzbereich oder sich wandelnde Bedürfnisse der Kunden.» Der Governance-Experte hat aber gleichwohl ein gewisses Verständnis dafür, dass Raiffeisen nach der Ära Vincenz wohl etwas vorsichtiger sein wolle.