Di Maio in der Zwickmühle

Drei Wochen vor dem Ende der kommissarischen Verwaltung steht nicht fest, wie es mit dem grössten Stahlwerk Europas weitergeht. Der Verkauf wird von Vizepremier Luigi Di Maio in Frage gestellt.

Dominik Straub, Rom
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Birgt politischen Zündstoff: Europas grösstes Stahlwerk im süditalienischen Taranto. (Bild: Fabrizio Villa/Getty (9. April 2013))

Birgt politischen Zündstoff: Europas grösstes Stahlwerk im süditalienischen Taranto. (Bild: Fabrizio Villa/Getty (9. April 2013))

«Der Zuschlag für ArcelorMittal war das perfekte Verbrechen.» Dies erklärte Italiens Vizepremier Luigi Di Maio vergangenen Freitag. Begangen wurde es laut dem italienischen Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Arbeit durch die Regierung Gentiloni, die im Mai 2017 einer Übernahme des maroden Stahlwerks im Süden durch den luxemburgischen Weltmarktführer zugestimmt hatte. ArcelorMittal hatte 1,8 Milliarden Euro für die Ilva in Taranto geboten. Das Nachsehen hatte die indische Jindal South West Steel. Di Maio stützt sich bei seiner Aussage auf ein Gutachten der Staatsadvokatur: Das juristische Beratungsgremium der Regierung hat laut Di Maio bei der Vergabe an ArcelorMittal zahlreiche «Unregelmässigkeiten» festgestellt.

Diese «Unregelmässigkeiten» reichten freilich nicht aus, um den von der Vorgängerregierung genehmigten Verkauf an ­ArcelorMittal rückgängig zu ­machen, betonte Di Maio. Zu ­berücksichtigen sei auch das ­«öffentliche Interesse» bezüglich der künftigen Umweltbelastung und der Sicherung der insgesamt 14000 Arbeitsplätze bei der Ilva, die seit 2015 unter kommissarischer Verwaltung steht. Bei den Massnahmen zum Schutz der Umwelt – die Ilva gilt als grösste Dreckschleuder Europas –, hat ArcelorMittal im Vergleich zum ursprünglichen Angebot bereits Nachbesserungen in Aussicht gestellt. Bei den Arbeitsplätzen sind die Verhandlungen zwischen den künftigen neuen Eigentümern und den Gewerkschaften noch im Gang. ArcelorMittal wollte bisher bloss die Wiederanstellung von 10500 Arbeitern zusichern.

Stilllegung würde die ganze Region in eine Krise stürzen

Letztlich scheint es sich bei der Infragestellung des Ausschreibungsverfahrens und der Vergabe an ArcelorMittal um ein politisches Manöver zu handeln. Denn Di Maio von der Protestbewegung Cinque Stelle hat ein Problem: Die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Partei hatte vor den Parlamentswahlen im März die Stilllegung der Ilva und deren Umwandlung in einen Naturpark versprochen und damit in der Standortgemeinde Taranto 50 Prozent der Stimmen erzielt. Jetzt, wo die einstige Bewegung in der Regierungsverantwortung steht, stellt sich alles etwas komplizierter dar – und der wirtschaftsnahe Koalitionspartner, die rechtsradikale Lega von Innenminister Matteo Salvini, will das «strategische» Stahlwerk, das gleichzeitig der grösste Arbeitgeber ganz Süditaliens ist, nicht aufgeben.

Denn eines ist klar: Die Stilllegung der Ilva würde die ganze Region in eine Krise stürzen. Um Zeit zu gewinnen, hatte die Regierung unter Premier Giuseppe Conte bereits im Juni beschlossen, die kommissarische Verwaltung des Stahlwerks in Taranto bis zum 15. September zu verlängern. Bis zu dieser Deadline dauert es nun bloss noch drei Wochen, ohne dass sich Di Maios Problem von selber gelöst hätte. Was liegt also näher, als der Vorgänger-Regierung die Schuld zu geben, die ein «perfektes Verbrechen» begangen habe, das man nun fast nicht mehr rückgängig machen kann?

Das perfekte Verbrechen hat Di Maio begangen, indem er vor den Wahlen die Stilllegung der Ilva versprochen hatte.

Das Manöver Di Maios kurz vor der definitiven Übernahme der Ilva durch ArcelorMittal hat in Italien Irritation und Kritik ausgelöst. «Das perfekte Verbrechen hat Di Maio begangen, indem er vor den Wahlen die Stilllegung der Ilva versprochen hatte», erklärte der frühere Minister für wirtschaftliche Entwicklung, der Sozialdemokrat Carlo Calenda. Eine solche sei nämlich gar nicht möglich. Das Vorgehen der neuen Regierung zeuge von nichts anderem als von «Konfusion und Dilettantismus». Auch die Gewerkschaften und der Industriellenverband Confindustria kritisierten das Lavieren des neuen Ministers, ebenso der Bürgermeister von Taranto. Tenor: ArcelorMittal sei ein seriöser Verhandlungspartner und Di Maio soll endlich einen Entscheid fällen, statt die Schuld für sein Dilemma bei anderen zu suchen. Es gebe keine Zeit mehr zu verlieren.

Das Stahlwerk Ilva am Ionischen Meer schreibt seit Jahren rote Zahlen und machte immer wieder mit Korruption und Umweltvergehen Schlagzeilen. Es war 2015 vom damaligen Regierungschef Matteo Renzi unter die Zwangsverwaltung von drei Kommissaren gestellt worden, um das Fortbestehen des gigantischen Werks zu sichern, erste Sanierungsmassnahmen einzuleiten und schliesslich einen Käufer zu finden. Am Ende eines langen Verfahrens hat ArcelorMittal den Zuschlag für das Stahlwerk erhalten. Die Käuferin aus Luxemburg versprach, aus der Ilva das «modernste Stahlwerk Europas» zu machen und das ganze Fabrikareal in eine «green zone» zu verwandeln.