In Frankreich entstehen Dutzende eigenständige Regionalwährungen, die neuste im Grossraum Paris. Ziel ist es, eine lokale Verbundenheit frei von Finanzspekulation zu schaffen. Die Namen sind exotisch.
Sie heisst «la pêche» (Pfirsich), ist aber so flach wie ein Geldschein. Kein Wunder: Sie ist ein Geldschein, erhältlich in Noten von einer, zwei, fünf bis 200 Pêches. Die Rede ist vom neusten Zahlungsmittel von Paris. Denn die französische Hauptstadt hat seit vergangenem Samstag ihre eigene Währung.
«Und ich habe einen richtigen Geldschrank», lacht Johann Cunin, Optiker in Montreuil, und öffnet eine kleine Tragkasse, in der mehrere dünne Bündel Pêche-Scheine liegen. «Vorläufig setzen wir noch nicht viel in unserer Währung um», gibt der junge Franzose zu. «Jüngst aber kauften zwei Damen zwei Brillengestelle für insgesamt 270 Pêches». Umgerechnet 270 Euro: Das Pariser Neugeld wechselt sich im Euroraum im Verhältnis von eins zu eins um.
An diesem Nachmittag ziehen es alle Kunden Cunins vor, in Euro zu zahlen. In dem östlich an Paris anschliessenden, grünrot regierten Vorort führen indes immer mehr Läden, Geschäfte und Restaurants die Pêches als Komplementärwährung ein, wie ein Signet an den Schaufenstern zeigt. Am vergangenen Wochenende hat die Lokalwährung zudem offiziell den Sprung über die Ringautobahn um Paris vollzogen und in der Lichterstadt selbst Fuss gefasst. Die Nachfrage ist gross. Fünfzehn Pariser Adressen akzeptieren von Beginn weg das Regionalgeld, das nach einer historischen, einst bis an den Königshof Versailles bekannten Pfirsichpflanzung in Montreuil benannt ist.
«La pêche» bedeute aber auch «Elan» oder «Energieschub», präzisiert Brigitte Abel vom Förderverein. Mit ebenso viel Schwung erzählt die Raumplanerin, was dieses Regiogeld eigentlich soll. «Weltweit verlaufen 95 Prozent der Finanzflüsse ausserhalb der Lokalwirtschaft, womit sie potenziell der Gewinnsucht, Geldwäsche oder Finanzflucht unterworfen sind. Die ‹Pêche› versucht dagegen, die lokale Wertschöpfungskette zu fördern, indem sie den spekulationsfreien und nachhaltigen Austausch zwischen Kleingewerbe, Vereinen oder Kulturstätten entwickelt.»
Oder wie die Rückseite der Geldscheine verkündet: «Lokal, solidarisch, ökologisch, bürgernah.» Klingt gut - aber ist dafür gleich eine neue Währung nötig? «Es ist ja nur eine Parallelwährung neben dem Euro», präzisiert Brigitte Abel. «Mit der Zeit streben wir aber schon einen ethisch sauberen Geldumlauf in einem überschaubaren Gebiet an.»
Die Stadtregierung von Paris hat ihre administrative Unterstützung zugesagt. An der offiziellen Lancierung der Pêche am 12. Mai war Bürgermeisterin Anne Hidalgo allerdings nicht zugegen. «Wir wollen in jeder Hinsicht unabhängig bleiben, auch politisch», erklärt Jean-Sébastien Rembert, einer der Initianten, hauptberuflich bei einer grossen Pariser Geschäftsbank tätig. Dass die Pêche über die Euro-Koppelung auch ein Spielball der globalen Finanzentwicklung werden könnte, glaubt er nicht: «Wir wollen ja gerade ein lokal abgestütztes System aufbauen, das gegen äussere Finanzwirren gefeit ist», meint Rembert. Was aber, wenn der Kurs des Euro einbrechen würde? «Natürlich würde sich die Krise inklusive Inflation auf die Pêche übertragen - aber nur, solange diese noch weniger verbreitet ist als der Euro», räumt der Finanzberater ein. «Je mehr Leute lokal mit der Pêche bezahlen, desto eher entsteht ein Gebiet, das sich gegen internationale Finanzabläufe oder –stürme behaupten könnte.»
Davon ist die Pariser Lokalwährung noch weit entfernt. Zum Start hat der Trägerverein erst 200 000 Pêches herausgegeben, verbunden mit einer Unkostenabgabe von drei Prozent. Das Nachdrucken der relativ einfachen Scheine – mit halbwegs fälschungssicheren Glitzerzonen und QR-Codes – böte allerdings laut Rembert keine Probleme.
Er zweifelt nicht am Erfolg der Unternehmung namentlich im Pariser Ostteil um die Bastille und bis in Montreuils Bobo-Viertel («bobo» steht für "Bourgeois-Bohème", konkret meist gutverdienende Linkswähler. Denn in Frankreich spriessen die Lokalwährungen noch an ganz anderen, eher unwirtlichen Agrargegenden. Eine Selbsthilfefunktion wie das Schweizer WIR-Geld haben diese rund 40 Lokalwährungen allerdings nicht. Sie tragen regionale Bezeichnungen wie «Pyrenäe» im Süden oder «Rollon» in der Normandie, oft auch schlichte Namen wie «Sardine» oder «Biene». Wenn Biobauern und Dorfbäcker zusammen ein Ortsgeld schaffen, verbindet sich französische Kapitalismuskritik mit dem Schutz des heimischen Savoir-vivre.
Konjunktur haben die Regionalgelder in Frankreich seit 2014. Damals liess der damalige Präsident François Hollande ein Gesetz für die «soziale und solidarische Wirtschaft» verabschieden. Es regelt nicht nur die Finanzierung von Genossenschaften, ethisch motivierten Subventionen oder Fairtrade-Ketten – sondern auch die Schaffung von Lokalwährungen. In der Stadt Boulogne können die Einwohner seither zum Beispiel bereits öffentliche Güter wie etwa lokale Bustickets erwerben. Und das ist erst der Anfang für diese jungen Währungen, die nicht gegen den Euro gerichtet sind, sich aber dennoch als Alternative dazu verstehen.