DETAILHANDEL: Aldi-Suisse-Chef: «Wir haben unseren Platz gefunden»

Das neue Verteilzentrum in Perlen soll die Expansion von Aldi in der Schweiz beschleunigen. Aldi-Suisse-Chef Timo Schuster erklärt im Interview, wo der Discounter wachsen soll und wie er die Konkurrenz im Detailhandel erlebt.

Interview Roman Schenkel
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Aldi Schweiz-Chef Timo Schuster im neuen Verteilzentrum in Perlen. (Bild Philipp Schmidli)

Aldi Schweiz-Chef Timo Schuster im neuen Verteilzentrum in Perlen. (Bild Philipp Schmidli)

Timo Schuster, in Perlen haben Sie nach Schwarzenbach und Domdidier das dritte Verteilzentrum er­öffnet. Was heisst das für Aldi Suisse?

Timo Schuster: Perlen komplettiert Aldi Suisse. Wir haben so die Voraussetzungen für den geplanten Endausbau von 300 Filialen in der Schweiz geschaffen. Jedes der drei Logistikzentren ist für die Belieferung von 100 Filialen gebaut. Für unsere Logistik ist der Platz ideal. Von hier aus lässt sich die Region, der Grossraum Basel sowie das Tessin beliefern.

Im Tessin wollen Sie zulegen. Was sind die Pläne?

Wir sind mit unseren elf Filialen schon gut im Tessin vertreten. Trotzdem sehen wir da noch viel Potenzial – trotz der Nähe zu Italien. Wir haben die Frankenaufwertung in den letzten Jahren sehr gut überstanden. Das Tessin war ja stark vom Einkaufstourismus betroffen. Nun sind wir wieder voll auf Wachstumskurs. Im nächsten Jahr werden wir den zwölften Standort eröffnen. Ziel sind fünfzehn Filialen.

Inzwischen haben sie 182 Filialen in der Schweiz. Das Wachstumstempo von Aldi hat abgenommen.

Die 300 Filialen sind langfristig gedacht. Der wichtigste Faktor für unser Wachstum ist der Immobilienbereich. Gibt es genügend Lokalitäten für unsere Filialen? Mit dem Strukturwandel im Detailhandel sehen wir viele neue Chancen. Zahlreiche Firmen im Non-Food-Bereich verkleinern an attraktiven Standorten ihre Geschäfte oder geben sie gar auf. Gerade im Textil-, Schuh- oder Elektronikbereich, wo sich das Geschäft zunehmend ins Internet verlagert. Diese Flächen wollen wir besetzen. Wir eröffnen nächste Woche in Zürich eine Filiale unmittelbar neben dem Hauptbahnhof.

Damit ist Aldi in den Zentren angekommen.

In den Zentren sehen wir ganz grosses Potenzial. Da sind die Kunden. Mit einem Grossteil unserer Filialen sprechen wir nur Autokunden an. Fussgänger oder Velofahrer finden an diesen Standorten weniger in unsere Läden. In Zürich neben dem Hauptbahnhof erwarten wir hingegen sehr grosse Kundenströme zu Fuss, mit dem Velo und mit dem ÖV. Darauf wollen wir uns in den nächsten Jahren noch stärker konzentrieren.

Die Mieten im Zentrum sind hoch. Lohnt sich das für Aldi?

Definitiv. Wir machen keine Prestigestandorte. Wir gehen nicht an die Bahnhofstrasse, um dort einen Flagshipstore zu eröffnen. Wir gehen an die Lagen, wo die Kunden sind. Zudem rechnen wir die Standorte durch. In den Zentren sehen wir genügend grosses Umsatzpotenzial, um die höheren Mieten decken zu können.

Die Konkurrenz um diese Standorte ist gross. Wie setzen Sie sich gegen die Mitbewerber durch?

Wir sind jetzt das elfte Jahr im Markt, und wir haben nicht nur im Lieferantenbereich Partnerschaften aufgebaut, sondern auch im Immobilienbereich. Wer mit uns zusammenarbeitet, weiss, dass unser Wort gilt. Dementsprechend erhalten wir Angebote, wenn entsprechende Flächen frei sind.

Wie nehmen Sie den Konkurrenzkampf in der Schweiz heute wahr?

In den letzten elf Jahren sind wir stets gewachsen. Von Coop und Migros sind wir nach wie vor ein grosses Stück entfernt, aber wir sind näher gerückt. Ich habe den Eindruck, dass sich der Wettbewerb ausgeweitet hat. Wir trumpfen nicht mehr nur mit unserem Preis-Leistungs-Verhältnis auf, sondern sind auch in anderen Bereichen konkurrenzfähig. Zum Beispiel beim Thema Nachhaltigkeit: Seit ein paar Wochen können Kunden in unseren Filialen Getränkekartons entsorgen. Das bietet noch kein anderer Detailhändler an.

Aldi und Lidl wurden nach ihrem Markteintritt hart bekämpft. Wie sieht das heute aus?

Der Konkurrenzkampf ist subtiler geworden. Er findet im Hintergrund statt. Etwa im Beschaffungsbereich oder wenn wir nach neuen Standorten suchen. Dort betreiben die beiden Grossen eine Verhinderungspolitik. Zum Beispiel in eigenen Zentren, wo sie Eigentümer und Vermieter sind. Oder an Lagen, wo sie bestimmenden Einfluss haben, weil sie einen grösseren Teil der Fläche mieten. Dort versuchen sie, uns das Leben schwer zu machen. Hinzu kommt der Bereich der Labelvergabe und -nutzung. Dort haben Migros und Coop einen sehr grossen Einfluss. Wir dürfen das IP- (Käfer) und das Bio-Suisse-Label (Knospe) nicht nutzen, obwohl wir die Bedingungen erfüllen.

Ärgert sie das?

Das ist eine Einschränkung des freien Wettbewerbes! Da haben nur wenige etwas davon. Die Konsumenten haben nichts davon, und auch die Bauern gehen leer aus, weil Absatzkanäle eingeschränkt werden. Dabei haben die Ar­tikel, die wir verkaufen, zu 100 Prozent IP- und Bio-Suisse-Qualität. Wir be­zahlen den Lieferanten und den Produzenten gute Preise. Die Qualität dürfen wir unseren Kunden aber nicht plakativ zeigen. Dafür gibt es ja Labels; damit man auf einen Blick erkennt, auf welche Art und Weise ein Produkt produziert ist.

Was machen Sie dagegen?

Eskalieren ist nicht der Aldi-Stil. Wir setzen auf Dialog, seit Jahren. Wir sind immer wieder mit den Unternehmen in Kontakt. Klare Kriterien, was wir er­füllen müssen, um das Label nutzen zu dürfen, haben wir bis heute nicht er­halten. Man merkt, dass man uns einfach auf die lange Bank schieben will.

Vor ein paar Jahren sagten Sie in einem Interview, Aldi müsse schweizerischer werden. Sind Sie nun schweizerisch genug?

Wir haben unseren Platz im Schweizer Detailhandel gefunden. Wir sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und sind in keiner Weise mehr aus der Schweiz wegzudenken. Das spüren wir in den Filialen, aber auch durch Rückmeldungen von Kunden im Internet. Wir haben uns in den letzten Jahren stark weiterentwickelt, das wird anerkannt. Diesen Kurs gilt es beizubehalten.

In wenigen Tagen gibt es bei Aldi Edelmode von Jette Joop zu kaufen. Wie passt das zusammen?

Unser neues Ladenkonzept hat viel Design in unsere Filialen gebracht. Da haben wir aufgeholt. So gesehen, passt auch eine Stardesignerin gut hinein. Weil wir grosse Stückzahlen verkaufen können, können wir auch tiefe Preise anbieten. Wir haben ein kleines Sortiment mit Jette Joop entwickelt, das wir entsprechend preiseffizient produzieren können. Wir erwarten wie bei der ersten Aktion im Frühling eine grosse Nachfrage bei der Herbstkollektion.

Lidl setzt auf einen Feierabend­rabatt. Wer ab 17 Uhr einkauft, erhält Rabatt. Haben Sie Angst, dass Ihnen Stammkunden abwandern?

Nein, ich habe keine Angst. Ich halte nichts von flexiblen Preissystemen. Bei uns bezahlt jeder Kunde zu jeder Zeit den gleichen Preis. Es kann nicht sein, dass ein Kunde, der 10 Minuten später kommt, einen besseren Preis kriegt als der Kunde zuvor. Stundenrabatt wird es bei uns keinen geben.

Hinweis

Der Österreicher Timo Schuster (40) hat in Wien Wirtschaft studiert. Vor fünfzehn Jahren startete er bei der Hofer KG, Teil der Unternehmensgruppe von Aldi Süd. Er ist seit 2010 Chef von Aldi Suisse.

4 Fussballfelder gross

100 Millionen Franken hat sich Aldi Suisse das neue Verteilzentrum in Perlen kosten lassen. 18 Monate hat der Bau gedauert. Die Zahlen der neuen Logistikschaltstelle sind beeindruckend: auf 47 000 Quadratmetern stapeln sich die Produkte, die in die Läden von Basel bis nach Chiasso ausgeliefert werden. Das entspricht der Grösse von etwas mehr als vier Fussballfeldern.

65 Lastwagen fahren das Verteilzentrum täglich an und transportieren 3000 Europaletten mit über einer Million Stückware an den Bestimmungsort. Heute arbeiten 140 Angestellte in Perlen, bei Vollauslastung sollen es dereinst 300 Angestellte sein. Mit dem neuen Logistikzentrum kann Aldi die durchschnittliche Tourenlänge der Lastwagen um 50 Kilometer auf 142 Kilometer reduzieren. Am weitesten entfernt ist die Filiale in Chiasso (200 Kilometer), am nächsten die Filiale in Dierikon (1 Kilometer).

Interview Roman Schenkel