Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis das Surfen auch über den Wolken üblich ist. Brauchen wir das wirklich oder ist es gut, einmal ein paar Stunden «offline» zu sein? Lesen Sie dazu unsere Debatte.
Dank dem Internet vergeht der Flug wie im Flug
New York–Rio–Tokio: Die Zeiten, als Fliegen ein Luxus war, sind längst vorbei. Das Flugzeug ist heute ein Transportmittel, das einen möglichst rasch von A nach B bringen soll. Von wegen «der Weg ist das Ziel»! Fliegen ist ganz einfach nur unbequem, langweilig und öd.
Wer sich nicht gerade Business oder gar First Class leisten kann – und das sind die meisten – sitzt stundenlang mit wildfremden Menschen auf engstem Raum zusammen. Wenn es ganz schlimm kommt, auch noch eingeklemmt zwischen zwei anderen Passagieren im Mittelgang. Man
fühlt sich wie in einem Schraubstock. Beine strecken? Fehlanzeige. Herumlaufen? Unmöglich oder sogar verboten. Ellbogenfreiheit? Gleich null. Und womöglich klappt der Vordermann (es sind wirklich meistens Männer!) gleich nach dem Start auch noch seinen Sitz nach hinten. Werden Schweine oder Hühner auf so knappem Raum gehalten, alarmiert man den Tierschutzverein.
Und was tut der Passagier auf einem Langstreckenflug in dieser Enge? Filme schauen, Musik hören, ein Buch lesen? Irgendwann hat man auch davon genug. Schlafen? Ja, aber nach kurzer Zeit schmerzen wegen der unbequemen Haltung Schultern und Nacken. Zudem quengelt oder kreischt garantiert irgendwo ein Kind und schreckt einen aus dem Schlaf. Also sitzt man schicksalsergeben auf seinem Platz und sehnt das Ende des Fluges herbei.
Die Erlösung von der Langeweile heisst surfen über den Wolken. Zum Glück bieten bereits einige Airlines Internetzugang im Flieger an – wenn auch leider nicht gratis. Ab kommendem Januar gibt es in der neuen Boeing 777 der Swiss nun ebenfalls WLAN. Mails checken und beantworten, chatten, sich dank Online-Medien über das Neueste in Politik, Wirtschaft und Sport informieren und eine Stunde vor der Landung im Online-Fahrplan die beste Zugverbindung nach Hause heraussuchen: Warum sollte all das in 10 000 Metern Höhe nicht möglich sein?
Internet im Zug ist längst gang und gäbe. Weshalb nicht auch in der Luft? Wer geschäftlich unterwegs ist und während des Fluges arbeiten kann, gewinnt Zeit – Zeit, die er zurück auf dem Boden sinnvoller verbringen kann. Und wer zum Vergnügen (?) fliegt, für den vergeht der langweilige Flug dank Internet wenigstens wie im Flug.
Mit einem Krimi oder einem Film vergeht die Zeit wie im Flug
Der legendäre Fernsehproduzent Wolfgang Rademann hat mir mal erzählt, wie er zu Geschichten kam, die er in Serien wie «Traumschiff» oder «Schwarzwaldklinik» verfilmen liess. Er warf im Flugzeug stundenlang die «Papiervernichtungsmaschine» an. Um möglichst viele Zeitungen lesen zu können, flog er manchmal gar einen Umweg.
Genau das ist es, was den Aufenthalt in einem engen Flugzeug erträglich macht. Möglichst viel lesen: Zeitungen – wenn die durchgeraspelt sind – Krimis. Mit dem Griechen Petros Makaris oder dem Sizilianer Andrea Camilleri vergeht die Zeit sprichwörtlich im Flug. Und dann gibt es ja noch eine angenehme Möglichkeit: Endlich einen Film nachzugucken, den man irgendwann halt verpasst hat. Beispielsweise genoss ich so Jeff Bridges als versoffenen Marshall
in «True Grit». Einfach spannend.
Das Schöne ist: Noch gibt es keine Möglichkeit über den Wolken, am Handy zu hängen und dem Anrufer zu schildern, dass man gerade nach New York oder Dubai fliegt. Oder auch nur nach Hamburg. Und sich dabei nicht anhören muss, dass Sekretärin Rita gerade wieder mal Mist gebaut hat.
Noch schöner – leider war: Es gab auch keinen Zugang ins Internet. Keine Chance, seine E-Mails abzuarbeiten. Und damit auch keine Chance, allen netten oder weniger netten Schreibern, Fragen zu beantworten, die sich nach der Ankunft eh erledigt haben.
Ja, über den Wolken war die Freiheit noch insoweit grenzenlos, dass keine E-Mails zu empfangen waren, keine nervigen Nachrichten und keine neuesten, gerade wieder absackenden Börsen- oder Devisenkursen. Man konnte sich also ganz den Kriminalkommissaren hingeben oder dem Westernhelden, die einem die Gewissheit gaben, am Ende das Böse zu überwinden. Oder wenigstens ein bisschen. Und die Welt weit unter dem Flugzeug ein bisschen zu vergessen. Abzuschalten vom Alltag, wenn auch nur für wenige Stunden.
Das Üble dabei ist: Es nützt mir nichts, darüber zu jammern, dass nun die Swiss in ihren neuesten Maschinen den Zugang ins Internet öffnet. Ich könnte mir ja die Freiheit selbst nehmen, das Handy einfach mal abgeschaltet zu lassen. Nur kann ich die Finger nicht davon lassen. Nicht im Zug. Und jetzt dann auch nicht mehr im Flugzeug.