Wirtschaftselite
Die Herkunft der Führungskräfte ist kein Kriterium mehr

Schweizer Grosskonzerne setzen deutlich öfter auf internationale Führungskräfte als Unternehmen in Deutschland, Frankreich, Italien oder Österreich. Doch die Differenz zwischen der Schweiz und ihren Nachbarländern war nicht immer so gross wie heute.

Thomas Schlittler
Drucken
Ausländische Kräfte haben in der Schweizer Wirtschaft eine lange Tradition. Die Gründerväter von OC Oerlikon (Emil Bührle), ABB (Walter Boveri) und Nestlé (Henri Nestlé) wurden alle in Deutschland geboren (v. l.).

Ausländische Kräfte haben in der Schweizer Wirtschaft eine lange Tradition. Die Gründerväter von OC Oerlikon (Emil Bührle), ABB (Walter Boveri) und Nestlé (Henri Nestlé) wurden alle in Deutschland geboren (v. l.).

Zur Verfügung gestellt

Vor 10 Jahren waren die Schweizer Verhältnisse denen im Ausland noch viel ähnlicher: 2003 hatten 70 Prozent der obersten Führungskräfte (CEOs und Verwaltungsratspräsidenten) der Swiss-Market-Index-Unternehmen (SMI) einen Schweizer Pass.

2013 sind nur noch 39 Prozent der Top-Kräfte Schweizer. «In der Schweiz wird heute weniger nach dem Pass gefragt als früher», sagt Philippe Hertig, Partner von Egon Zehnder, einem führenden Kadervermittlungsunternehmen auf oberster Führungsebene. Vor 15 Jahren sei es noch eher ein Kriterium gewesen, dass der neue Manager Schweizer sei. Heute zähle einzig die Führungskompetenz.

Weltoffene Schweiz

Von den 20 Unternehmen des Swiss Market Index (SMI) hat nur noch die Hälfte einen Verwaltungsratspräsidenten (VRP) mit Schweizer Pass. Noch grösser ist die ausländische Übermacht auf Stufe CEO: Dort steht bei 14 der 20 SMI-Unternehmen ein Ausländer an der Spitze. Einzig die Chefs von Geberit, Julius Bär, Swisscom, Swatch, UBS und der Zurich Insurance haben noch einen Schweizer Pass. Eine Auswertung der «Nordwestschweiz» zeigt: In unseren Nachbarländern sind einheimische CEOs und VRP nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Von den 40 Unternehmen des deutschen Leitindexes DAX haben nur 20 Prozent einen ausländischen CEO und nur 17 Prozent der VRP haben keinen deutschen Pass. Bei den Unternehmen des österreichischen ATX-Index sind es 15 und 10 Prozent, im französischen CAC-Index 10 und 13 Prozent. Besonders schwierig haben es internationale Führungskräfte in Italien: Von den 40 Unternehmen des Leitindexes FTSE MIB gibt es nur zwei CEOs ohne italienischen Pass. VRP gibt es gar nur einen einzigen. (TSC)

Der Zürcher Headhunter Guido Schilling bestätigt dies: Während Schweizer Unternehmen früher in erster Linie in der Schweiz und dann in Deutschland nach Topmanagern gesucht hätten, werde heute von Anfang an auf dem Weltmarkt geschaut. «Unsere Nachbarländer sind diesbezüglich noch nicht so weit», so Schilling. In Frankreich oder Deutschland sind Führungsgremien vermehrt durch Einheimische besetzt. Wenn diese über einen neuen CEO beraten, kämen wiederum eher Einheimische infrage, weil so die Anschlussfähigkeit ans bestehende Management einfacher sei. Schilling: «In der Schweiz wurde dieser Kreis längst durchbrochen, weil die Schweizer Konzerne seit jeher sehr international orientiert sind.»

Amerikaner auf dem Vormarsch

Die grössten Schweizer Unternehmen richteten sich früh auf den Weltmarkt aus, weil sie mit der kleinen Schweiz praktisch keinen Heimmarkt hatten. Das beeinflusst die Personalpolitik bis heute: «Das Top-Management muss in erster Linie den Weltmarkt verstehen, die Herkunft spielt kaum eine Rolle», sagt Schilling. Hinzu komme, dass die Grosskonzerne – mit Ausnahme von Roche und Novartis sowie UBS und CS – in der Schweiz keine vergleichbare Konkurrenz hätten. «Wenn nun bei einem SMI-Unternehmen der CEO abwandert, dann schaut man sich entweder intern oder bei der Konkurrenz um – und die sitzt meist im Ausland», so der Headhunter.

Doch Hertig von Egon Zehnder sieht auch andere Gründe für die vielen internationalen Top-Shots hierzulande: «Die Schweiz ist für ausländische Manager wegen der hohen Lebensqualität sehr attraktiv.» Dazu zählt er die Stabilität, die gute Infrastruktur, internationale Schulen bis hin zu tiefen Steuern. «Internationalen Führungskräften fällt es sehr leicht, sich in der Schweiz zu integrieren, weil sich das Land verschiedene Kulturen gewohnt ist», so Hertig. Auch sprachlich seien die Schweizer viel weiter als etwa die Franzosen oder Deutschen. In vielen Schweizer Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern gelte Englisch als Firmensprache. Das sei in Frankreich oder Deutschland kaum der Fall.

Die Angelsachsen, vor allem die Amerikaner, sind in den Chefetagen der Schweizer Grosskonzerne denn auch auf dem Vormarsch. Stellten die USA im Jahr 2003 mit Zurich-CEO James Schiro erst eine SMI-Führungskraft, sind es 2013 bereits deren sechs. Die Anzahl deutscher Top-Kader stagniert dagegen, geht gemäss dem Schilling-Report, einer jährlichen Untersuchung der 100 grössten Schweizer Unternehmen, gar zurück. Guido Schilling erklärt sich das damit, dass für die Schweizer Grosskonzerne mittlerweile auch Deutschland nur einer von vielen Märkten sei – und deutsche Manager dementsprechend weniger attraktiv seien.