Die Marke von 1.10 Franken pro Euro haben die Schweizer Währungshüter mehr oder weniger kampflos aufgegeben. Beobachter glauben, dass die Nationalbank bei einem Euro-Kurs von 1.05 Franken beherzt eingreifen wird.
Seit der Eurokurs vor zehn Tagen erstmals nach zwei Jahren wieder unter die Marke von 1.10 Franken gefallen ist, scheint die Notenbank auf dem Devisenmarkt tatsächlich wieder vermehrt als Käuferin von Euros und Dollars aufzutauchen. Ein Indiz für diese These ist der jüngste Anstieg der Sichtguthaben inländischer Banken. Deren Stand wird wöchentlich veröffentlicht. Die Veränderung dieser Guthaben gibt einen relativ zuverlässigen Hinweis darauf, wie stark die Nationalbank auf dem Devisenmarkt eingreift. Konkret funktioniert das so: Zur Schwächung des Frankens tauscht sie die einheimische Währung bei einer Geschäftsbank gegen eine entsprechende Menge einer ausländischen Währung. Den Frankenbetrag erhält die Geschäftsbank auf ihrem Nationalbank-Konto gutgeschrieben.
Dennoch kann derzeit von einer Schlacht gegen die Aufwertung des Frankens noch keine Rede sein. Dafür ist die Zunahme der Sichtguthaben noch viel zu gering. Die Sommerflaute an den Finanzmärkten spielt der Nationalbank in die Hände. Weil das Volumen im Devisenhandel während der Ferienzeit deutlich dünner ist als sonst, kann die Nationalbank den Wechselkurs mit einem relativ geringen Mitteleinsatz in die gewünschte Richtung bewegen. Damit konnte sie den Eurokurs unlängst wieder über 1.09 Franken hieven, nachdem er kurzzeitig unter diese Marke gefallen war.
Wo die Nationalbank den Ernstfall beim Wechselkurs sieht, wird sich deshalb erst noch zeigen. Dass es in den nächsten Wochen enger werden wird, ist sehr wahrscheinlich. Als Erstes schritt die US-Notenbank Fed voran. Letzte Woche senkte sie ihren Leitzins um einen Viertelprozentpunkt. Nun erwarten die meisten Beobachter für den 12. September ein Nachziehen der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Credit Suisse geht davon aus, dass die EZB den Zinssatz für Geschäftsbanken von -0,4 Prozent auf -0,5 Prozent senken wird.
Die erwartete Zinssenkung erhöht die Attraktivität von Frankenanlagen, die derzeit mit einem Negativzins von -0,75 Prozent belegt werden. Reagiert die Nationalbank nicht, wäre deshalb mit einer weiteren Aufwertung des Frankens zu rechnen. Offen ist die Frage, wo die Notenbank die rote Linie zieht. Bis vor wenigen Wochen waren die meisten Beobachter von einem kritischen Euro-Schwellenwert von 1.10 Franken ausgegangen. Diese Marke hat die Nationalbank nun aber mehr oder weniger kampflos aufgegeben. Wo also greift sie das nächste Mal richtig an?
Vieles deutet darauf hin, dass die nächste harte Marke bei 1.05 Franken pro Euro liegt. So sagt etwa die UBS, die Schweizer Wirtschaft könne auch mit einem Kurs von 1.05 Franken leben. Der Arbeitsmarkt befände sich im Vergleich mit 2015 in einer deutlich besseren Verfassung. Deshalb könne die Wirtschaft die dämpfenden Effekte eines stärkeren Frankens für den Tourismus, den Detailhandel und Teile der Exportindustrie auffangen. Dies geschehe durch die robuste Nachfrage aus dem Inland. Die UBS ist deshalb seit kurzem der Meinung: «Die Marke von 1.10 ist nicht sakrosankt, die Nationalbank dürfte aber eine starke Frankenaufwertung mit situativen Interventionen verhindern.»
Damit aber nicht genug. Die Ökonomen der Grossbank gehen davon aus, dass die Nationalbank daneben den Leitzins von derzeit -0,75 Prozent auf -1,0 Prozent senken wird. Damit soll die Zinsdifferenz zum Euro aufrechterhalten werden. Bei der Credit Suisse wird ein solcher Schritt noch nicht erwartet.
Spätestens anlässlich der nächsten ordentlichen Sitzung der Nationalbank vom 19. September dürfte sich der Nebel lichten. Jene Branchen, die stark von Wechselkursen abhängen, sind offensichtlich bereits gewappnet. Auf die Frage nach der Schmerzgrenze beim Eurokurs, halten sich die Verbände mit konkreten Forderungen an die Nationalbank auffallend zurück. Auch die nächste Frankenschlacht will man in der Schweiz offenbar geeint schlagen.