WEF
Die Zeiten der Turbo-Globalisierer sind vorbei

Am World Economic Forum (WEF), das heute die Tore öffnet, geht es auch um die Frage: Erleben wir das Ende der Globalisierung oder eine Rückkehr zur Normalität?

Antonio Fumagalli
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Das Wachstum des weltweiten Warenexports ist seit 2010 deutlich verlangsamt – in manchen Branchen herrscht gar Stillstand.

Das Wachstum des weltweiten Warenexports ist seit 2010 deutlich verlangsamt – in manchen Branchen herrscht gar Stillstand.

REUTERS

Es war eigentlich eine Nicht-Nachricht – und doch machte sie weltweit Schlagzeilen: Man werde auf ein neues Werk in Mexiko verzichten, teilte der US-Autohersteller Ford vor zwei Wochen mit. Ursprünglich war geplant, in San Luis Potosí für 1,6 Milliarden Dollar eine neue Fabrik zu bauen. Stattdessen will Ford 700 Millionen Dollar in eine bereits bestehende Fertigungsstätte in Michigan investieren.

Noch vor einem halben Jahr hätte die Ankündigung kaum für Aufsehen gesorgt. Nun aber wird sie als Ausdruck von vorauseilendem Gehorsam interpretiert, denn in der Zwischenzeit wurde Donald Trump zum neuen US-Präsidenten gewählt. Der Mann also, der den zweitgrössten amerikanischen Autohersteller mehrfach massiv für die geplante Rieseninvestition in Mexiko kritisiert hatte. Er werde ausgelagerte Arbeitsplätze wieder in die USA zurückholen, pflegte er auf allen Kanälen zu sagen – und kündigte damit eine neue Welle des Protektionismus an.

Es ist dies eines der grossen Themen des diesjährigen World Economic Forum (WEF) in Davos, das heute startet und 3000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Wirtschaft, Politik, Forschung und Kultur vereint. Angesichts der aktuellen weltwirtschaftlichen Herausforderungen stellen sie sich die Frage: Erleben wir gerade das Ende der Globalisierung?

«Keine gute Entwicklung»

Denn unabhängig davon, wie viele der vollmundigen Versprechen Trumps letztlich tatsächlich umgesetzt werden, bringt der Blick in die Statistik interessante Erkenntnisse zutage (siehe Grafik): Gemäss den aktuellsten Zahlen der Welthandelsorganisation WTO hat der weltweite Export von Waren bis zur Finanzkrise von 2008 rasant zugenommen: Produktionen wurden in Billiglohnländer ausgelagert, Zölle abgebaut und die Transportkosten sanken. Kurz: Die Globalisierung war in voller Fahrt. Dann kam der grosse Knick in die Kurve – und auch nach der deutlichen Erholung im Jahr 2010 nahm der weltweite Warenexport nicht mehr im gleichen Rhythmus zu. Das Wachstum ist seither deutlich verlangsamt, in manchen Branchen herrscht gar Stillstand.

Die Gründe dafür sind vielseitig: Stockendes Wirtschaftswachstum und weniger Investitionen schlagen sich auf die Handelsbilanz nieder. Auch straffen international vernetzte Konzerne ihre Lieferketten teilweise wieder. Hinzu kommen politische, also protektionistische Massnahmen. «Regierungen tendieren wieder vermehrt dazu, die einheimische Wirtschaft zu schützen», sagt Simon Evenett, Professor für Aussenwirtschaft an der Universität St. Gallen. Als Werkzeuge dienen Subventionen, Exportzölle oder auch Zutrittsbeschränkungen in den Arbeitsmarkt. Dies alles, obwohl die klassische Ökonomie davon ausgeht, dass von wechselseitigem Handel beide Seiten profitieren (siehe Artikel unten). Evenett spricht für viele Staaten, die Schweiz inklusive, denn auch von «keiner guten Entwicklung».

Die Vergangenheit war abnormal

Nicht alle Ökonomen interpretieren die Zahlen aber mit gleich viel Skepsis. Für Tobias Straumann darf man die letzten 25 Jahre nicht als Richtwert nehmen. «Die Zeiten der Turbo-Globalisierung sind vorbei, aber es ist falsch, von einem Ende der Globalisierung zu sprechen. Was wir nun erleben, ist eine Normalisierung des Welthandels», sagt der Wirtschaftshistoriker, der an den Universitäten Basel und Zürich lehrt. Nach dem WTO-Beitritt von China im Jahr 2001 habe das Exportwachstum nämlich Ausmasse angenommen, die ihrerseits eine Abkehr von langjährigen Durchschnitt gewesen seien.

Ohnehin habe eine Verlangsamung des Exportwachstums durchaus auch positive Effekte, so Straumann. Zum Beispiel in China: Wenn die inländische Produktion nun dafür verwendet werde, den Binnenmarkt richtig zu entwickeln, sei dies sowohl im Sinne des Reiches der Mitte wie auch der anderen Staaten der Welt.

So berichten wir aus Davos

- Die «Nordwestschweiz» und die «Schweiz am Sonntag» berichten diese Woche jeden Tag über das 47. Jahrestreffen des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos GR.

- Die Teilnehmerzahl ist in diesem Jahr rekordhoch: 3000 Personen aus Regierungen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nehmen am Forum Teil. Eröffnet wird das WEF heute vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping. Es ist das erste Mal, dass ein chinesischer Präsident am Treffen in Davos teilnimmt und die chinesische Delegation war noch nie so gross.

- Das diesjährige Jahrestreffen steht unter dem Motto «Responsive and Responsible Leadership». Es plädiert also für eine Führung, die auf die Bedürfnisse der Menschen eingeht und verantwortungsbewusst handelt.

- Unsere Berichterstattung geht der Frage nach: Wie stark wird die Globalisierung zurückgedrängt? Hier spielt der kommende US-Präsident Donald Trump eine entscheidende Rolle. Dessen Amtseinführung findet am Freitag in Washington statt. Entsprechend wird das inoffizielle Thema am WEF auch Donald Trump sein.

- Online können Sie die Berichterstattung mitverfolgen. Im Live-Ticker berichten wir rund um die Uhr aus der Stadt in den Alpen.