Warum die Investoren auf Roche und die beiden Pharmazulieferer Bachem und Lonza abfahren.
«Bachem ist sicher keine normale Aktie, bei der man auf herkömmliche Bewertungsmassstäbe schaut», sagt Pharmaspezialist Michael Nawrath von der Zürcher Kantonalbank. Der Aktienkurs des Baselbieter Familienunternehmens steht derzeit bei rund 238 Franken – das entspricht dem 60-fachen Gewinn pro Aktie, den Bachem im Jahr 2019 erwirtschaftet hat.
Solche Bewertungen erreichen Firmen an der Börse in der Regel nur dann, wenn sie den Investoren eine ganz besondere Geschichte zu bieten haben. Das ist bei Bachem und etwas weniger ausgeprägt auch bei Roche und Lonza der Fall. Viele Anleger sehen die drei Unternehmen als Gewinner der Coronakrise. Dementsprechend gehören deren Aktien zu grössten Gewinnern im laufenden Jahr (vgl. Tabelle).
Bachem wurde 1971 vom Chemielaboranten Peter Grogg gegründet und ist weiterhin in seinem Besitz. Das Unternehmen spezialisierte sich von Anbeginn an auf die Herstellung von Peptiden, einer besonderen Art von kleinen Molekülen, die als Wirkstoffe in der Medikamentenherstellung eingesetzt werden. Die Synthetisierung der in allen lebenden Organismen vorkommenden Peptide kann je nach Komplexitätsgrad der zugrunde liegenden Struktur ein aufwändiges Verfahren erfordern.
Grogg erkannte dieses Problem frühzeitig und bot sich bei Medikamentenherstellern für die Übernahme dieser Aufgabe an. Er machte aus den kleinen Mengen einzelner Bestellungen grössere Lose und erreicht so die Skaleneffekte, die ihn bei den Kunden nicht nur zunehmend unentbehrlich werden liessen, sondern auch für eine Steigerung der Rendite je produzierte Einheit sorgte.
Inzwischen gilt Bachem als weltweit führender Peptid-Hersteller und diese Position verschafft dem Unternehmen in der derzeitigen Krise eine Sonderstellung. Stark nachgefragt sind Peptide derzeit von Diagnostikfirmen, die Bluttests zur Bestimmung von Antikörpern gegen das Coronavirus (SARS-Cov-2) auf den Markt bringen wollen. So will Roche bereits Anfang Mai mit einem solchen Test auf den Markt gelangen und die monatliche Kapazität schnell in einen hohen zweistelligen Millionenbereich steigern.
Der Fortschritt in der medizinischen Forschung verschafft Peptiden neue Anwendungsgebiete. So könnten die Moleküle beziehungsweise ihre nahen Verwandten, die Oligonukleotid-Peptid-Konjugaten, künftig vermehrt zur Heilung von Menschen mit schweren Erbkrankeiten beitragen, die mit neuartigen Gentherapien behandelt werden. Die Herstellung solcher Substrate verspreche in Verbindung mit der Produktion herkömmlicher Peptide erhebliche Synergien, glaubt Nawrath.
Der Finanzanalyst zeigt sich beeindruckt von Bachems Potential. Die Firma will in den kommenden fünf Jahren 300 Millionen Franken in den Ausbau der Fertigungskapazitäten investieren, was in etwa einer Verdoppelung des bisherigen Investitionsvolumens entspricht. Trotzdem rechnet das Unternehmen mit einer weiteren Steigerung der operativen Profitmarge. Von immensem Selbstvertrauen zeuge auch der erst im März angehobene Fünfjahresausblick, der eine starke Beschleunigung des Umsatzwachstums vorwegnimmt.
Auch bei der Basler Lonza stapeln sich offenbar die Anfragen von Pharmafirmen, die Medikamente im Zusammenhang mit dem Coronavirus herstellen lassen möchten. Das sagte unlängst jedenfalls Daniel Jelovcan, Branchenspzialist der Genfer Privatbank Mirabaud im Gespräch mit dem Finanzportal «Cash Online». Bis vor zehn Tagen habe es bei Lonza «über 40 nennenswerte Produktions-Anfragen» gegeben, sagte Jelovcan. Das Unternehmen habe aber nur eine Handvoll davon annehmen können, denn die Auftragsbücher seien jetzt schon voll.
Ein Indiz für die höhe Reisegeschwindigkeit, mit der sich Lonza derzeit vorwärtsbewegt, ist auch die erst vor wenigen Monaten angekündigte strategische Neuausrichtung, mit der der Konzern sein Geschäft mit Spezialchemikalien bis Ende Jahr abspalten oder ausgliedern will. Die Lonza-Führung sieht offensichtlich genügend Entwicklungsmöglichkeiten im Geschäft mit Pharma- und Biotechfirmen. So denkt man bei Lonza auch schon laut darüber nach, wie der letzte Schritt in der Auftragsproduktion, die Abfüllung der Medikamente in konsumgerechte Fläschchen, zu bewältigen wäre. Lonza scheint also weniger vom Kampf gegen Covid-19 zu profitieren, sondern vielmehr bringt die Coronakrise die starke Position des Unternehmens zum Ausdruck.
Zu ähnlichen Schlüssen führen auch die jüngsten Ereignisse bei Roche. Zwar sagte Pharmachef Bill Anderson kürzlich im Gespräch mit dem Schweizer Finanzportal Themaket.ch sein Unternehmen sei kein Nutzniesser der Coronakrise. «Was schlecht für die Welt ist, ist auch schlecht für uns. Die Krise hat einen Einfluss auf die Gesundheitssysteme und auf die Wirtschaft.»
Doch die Basler erweisen sich mit ihrer Fähigkeit zur raschen Bereitstellung von Infektions- und Antikörpertests in grossen Mengen weltweit als überaus nützliche Akteure in der Krise, was ihnen in den kommenden Jahren zugutekommen könnte, wenn es mit den klammen Regierungen darum gehen wird, die Bedingungen und Preise für teure Medikamente und Therapien neu auszuhandeln. Dass Roche eine alte Generation von umsatzstarken Biotech-Medikamenten gerade ziemlich schmerzlos durch neue High-Tech-Therapien ablösen kann, zeugt von einer stupenden inneren Stärke des Konzerns, die natürlich auch den Investoren nicht entgeht.