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Nach der Hiobsbotschaft beim Basler Pharmakonzern stellt sich der CEO den Fragen zum massiven Stellenabbau. Vas Narasimhan spricht dabei über den Standort Schweiz, die Gefahr weiterer Verlagerungen und Pensionierungen ab 55.
Eine eigenartige Stimmung herrscht auf dem Novartis-Campus in Basel: Angestellte erscheinen wie immer zur Arbeit, aber viele von ihnen wissen nicht, ob sie schon bald ihren Job verlieren. Die Sonne scheint durch das Fenster des Konferenzraums, in dem CEO Vas Narasimhan die Journalisten zum Gespräch trifft.
Vas Narasimhan, Ihr Konzern streicht in der Schweiz 2000 Stellen. Das ist ein Schock. Warum so viele?
Diese Massnahme ist absolut nötig, damit Novartis weltweit wettbewerbsfähig bleibt. Es geht um die Umsetzung unserer Strategie aus dem Jahr 2016 für die Produktion und die zentralen Dienste. Novartis muss effizienter werden, um genügend in Forschung und Entwicklung investieren zu können. Unsere Profitabilität ist heute nicht ausreichend, wir müssen sie verbessern, denn das hilft letztlich auch unserem Standort Schweiz.
Gerade dieser Standort leidet nun aber besonders.
Wir denken langfristig. Novartis fühlt sich der Schweiz verpflichtet, wir sind seit über 100 Jahren hier und werden das bleiben. Das geht aber nicht ohne globale Wettbewerbsfähigkeit. Ich möchte betonen, dass der Stellenabbau sozialverträglich gestaltet wird.
Inwiefern?
Wir nehmen uns Zeit: Die Jobs werden über vier Jahre hinweg reduziert, nicht auf einen Schlag. Es ist mir enorm wichtig, dass die Mitarbeiter anständig behandelt werden. Das ist unsere Priorität Nummer eins! Wir wollen ihnen helfen, sich umzuschulen und neue Möglichkeiten zu finden, intern und extern. Bei uns etwa in Stein, wo wir in der Zell- und Gentherapie neue Jobs schaffen.
Sie betonen, dass Novartis profitabler werden müsse. Aber Sie machen heute schon grosse Gewinne.
Gegenüber unseren Konkurrenten hinken wir hinterher. Einige von ihnen haben eine deutlich höhere operative Gewinnmarge als wir. Novartis liegt im untersten Viertel dieser Industrie.
Woran liegt es, dass die Schweiz am härtesten getroffen wird? Ist sie für Produktionsjobs einfach zu teuer?
Sie wird insgesamt nicht am härtesten getroffen, aber weil sie ein grosser Standort ist, fallen hier absolut gesehen viele Stellen weg. Dies hat weniger mit den Arbeitskosten in der Schweiz zu tun als mit unserer veränderten Strategie. Wir kommen nicht umhin, unsere Produktion zu rationalisieren. Was die zentralen Dienste betrifft: Ab 2014 gründeten wir fünf solche Zentren rund um die Welt, und die sind nun alle in Betrieb – deshalb kommt es zu Verlagerungen weg von Basel.
Wie gross ist die Gefahr, dass schon bald auch Stellen im Bereich Forschung und Entwicklung ins Ausland verlagert werden?
Zurzeit befindet sich unsere grösste Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Basel. Ich gehe davon aus, dass dies auch in Zukunft so bleiben wird, und dass wir hier Milliarden von Dollar investieren werden.
Sind nicht auch diese in Gefahr?
Nein. Es kann immer Umschichtungen geben. Aber wir glauben an den Innovationsstandort Schweiz: Die Produktionsanlage für Zell- und Gentherapien in Stein ist das jüngste Beispiel. Auch im Bereich Digitalisierung und Datenwissenschaft werden wir ausbauen. Das sind High-end-Jobs.
Wird es auch noch einfache Jobs geben in Stein?
Es werden weniger sein, denn der Fokus wird auf neuen Biotech- und Gentherapien liegen, welche tendenziell komplexer in der Herstellung sind.
Wer keine Top-Ausbildung mit Hochschulabschluss hat, findet bei Novartis also keine neue Arbeitsmöglichkeiten mehr.
Das ist übertrieben formuliert. Wir werden in der Schweiz auch nach diesem Schritt noch mehr als 10000 Menschen beschäftigen, mit ganz unterschiedlichen Profilen. Aber es stimmt, dass es für sogenannte «blue collar»-Jobs (Arbeiter-Jobs, Anm. d. Red.) schwieriger wird. Doch wir wollen unseren Beitrag zur Weiterbildung und Umschulung leisten.
Für die Schweiz ist es dennoch ein schlechtes Signal: Einfache
industrielle Jobs verschwinden.
Diese Entwicklung hat in diesem Land vor längerer Zeit eingesetzt. Und es ist gut gelungen, diesen Wandel zu bewältigen. Die Logik ist nun mal so, dass in einem Hochlohnland primär hochwertige Arbeitsplätze angeboten werden. Auch bei Novartis.
In Basel verschwinden auch Management-Jobs. Was wird nach dem Abbau von 700 Stellen in den zentralen Diensten überhaupt noch übrig bleiben?
Im höheren Management bleiben verschiedene Schlüsselpositionen in Basel, zudem auch Schnittstellenfunktionen, welche mit unseren Geschäftsfeldern weltweit koordinieren, und diverse andere Funktionen. Wir werden in vier Jahren voraussichtlich noch 900 Personen in den zentralen Diensten beschäftigen.
Als Novartis am Dienstag den Abbau ankündigte, gab fast gleichzeitig Johann Schneider-Ammann seinen Rücktritt bekannt.
Das war mir nicht bewusst.
Aber Sie haben den Wirtschaftsminister über den Abbau vorab informiert. Wie hat er reagiert?
Ja, wir haben das vorher vertraulich diskutiert, auch mit den betroffenen Kantonen. Die Behörden drückten ihr Bedauern aus. Gleichzeitig anerkannten sie unsere Bemühungen für sozialverträgliche Lösungen und den genannten Zeithorizont.
Erstaunlich ist, dass Sie Frühpensionierungen bereits ab 55 Jahren anbieten. Das sind zehn Jahre vor dem offiziellen AHV-Alter.
Ab 55 offerieren wir eine Überbrückungslösung, man bekommt 40 Prozent des Lohnes und ist dann freigestellt. Richtige Frühpensionierungen sind ab 58 möglich. Zudem gibt es eine Abfindung, um den Rentenverlust abzufedern. Das soll verhindern, dass Arbeitnehmer ab 55 plötzlich ohne Perspektive dastehen.
Bei Amtsantritt vor gut einem halben Jahr sagten Sie, Sie wollten den Ruf von Novartis verbessern. Zumindest hierzulande wird nun das Gegenteil passieren.
Noch einmal: Wir planen langfristig. Seit Jahrzehnten ist Novartis hier verankert und hat bahnbrechende medizinische Innovationen hervorgebracht. Bereits zurzeit von Sandoz und Ciba. Ich bin stolz darauf, dass wir diese Tradition weiterführen und investieren. In einigen Jahren wird man in der Schweiz Novartis sehr positiv sehen!
Hinweis: Der 41-jährige Vas Narasimhan übernahm den CEO-Posten bei Novartis im Februar 2018. Der indisch-stämmige Amerikaner ist ausgebildeter Arzt und studierte zudem an der Harvard-Universität Politikwissenschaften.