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Hystrix will mit seiner Online-Plattform das Beschaffungswesen von Medizinalgütern umkrempeln. Wegen der Coronapandemie hat das Startup viel Schub erhalten.
Schutzmasken, Handschuhe, Schutzanzüge: Mitte März wurde medizinisches Verbrauchsmaterial plötzlich knapp. Den Verantwortlichen für die Beschaffung in den Spitälern, Arztpraxen und Zahnarztzentren dürften in diesem Frühjahr das eine oder andere graue Haar gewachsen sein. Denn die Beschaffung von medizinischen Verbrauchsmaterialen ist bereits in normalen Zeiten ein komplexer und aufwendiger Prozess.
Das weiss der 39-jährige Philippe Hügli aus eigener Erfahrung. Selbst für standardisierte Produkte wie Pflaster sei der Beschaffungsprozess kompliziert und schwerfällig. «Oft wird zwischen dem Einkäufer eines Spitals und dem Hersteller monatelang hin und her verhandelt, bis es zum Vertragsabschluss kommt», erinnert sich der ehemalige Schweiz-Chef des amerikanischen Medtechkonzerns Boston Scientific. Und jedes Jahr müssen die Verträge erneuert, müssen Offerten geprüft, müssen Rabatte neu verhandelt werden.
Die Pandemie habe die Schwächen des bisherigen Systems «schonungslos offengelegt», sagt Hügli. «Für hochkomplexe Produkte mag dieses Verfahren tolerierbar sein, doch für Massenware wie Schutzmaterialien, Wundnahtmaterial und Spitalmöbel, aber auch einfache Implantate ist dies überflüssig», ist er überzeugt. Der Betriebsingenieur schätzt, dass dies für 50 bis 70 Prozent aller Medizinprodukte der Fall ist. Zur Schwerfälligkeit des Systems komme die fehlende Transparenz hinzu. Im verpolitisierten Schweizer Gesundheitswesen kennen sich Einkäufer und Verkäufer meistens bestens. Niemand tritt dem anderen auf die Füsse. Preistransparenz? Fehlanzeige.
Hügli hat daraus ein Geschäftsmodell entwickelt. Er hat seinen gut bezahlten Job gekündigt und das Startup Hystrix aufgebaut. Hystrix – lateinisch Stachelschwein – ist eine digitale Plattform für Vertragsverhandlung inklusive Marktplatz für alles, was Spitäler, Arztpraxen und Altersheime brauchen. Eine Art Galaxus fürs Gesundheitswesen sozusagen. «Unser Ziel ist es, den Beschaffungsprozess effizienter zu gestalten», sagt Hügli.
Der Onlinekanal habe sich im Handel zwischen Unternehmen im Gegensatz zum Konsumgütermarkt noch nicht durchgesetzt. «Es liegt aber auf der Hand, dass dies schon bald geschehen wird», sagt Hügli. Vor ein paar Jahren habe man sich auch noch nicht vorstellen können, seine Jeans online zu bestellen. Heute sei das für viele gang und gäbe. Es überrascht deshalb nicht, dass im Verwaltungsrat von Hystrix auch Florian Teuteberg, Co-Gründer des Onlinehändlers Digitec Galaxus, dem Jungunternehmen von Anfang an wichtige Impulse vermittelte.
Auf der Onlineplattform Hystrix erhalten verifizierte Anbieter und Käufer einen einfachen Zugriff zu einem umfassenden Angebot an Medtechprodukten. Begonnen hat Hügli mit 150 Produkten – heute stehen in seinem Katalog über 130000 Artikel. Vom Wattebausch bis zum Herzschrittmacher. «Aktuell bieten wir rund 40 Prozent des Bedarfs eines Spitals an medizinischen Verbrauchsgütern an», so Hügli. Sein Ziel ist es, diese Prozentzahl noch deutlich nach oben zu schrauben.
Konkret bietet ein Lieferant seine Produkte samt Preis und Rabattstruktur auf Hystrix an. Der Käufer kann sich durch die Angebote klicken, Offerten einholen und mit den Lieferanten individuelle Rabatte verhandeln. Letztere haben gegenseitig keinen Einblick in die Preispolitik der Konkurrenz. «Mit unserer Lösung konnten wir den Verkaufsprozess stark verkürzen. Statt Monate dauert es nur noch wenige Minuten», sagt Hügli. Selbst wenn die Parteien noch über die Preise digital verhandeln, sei ein Geschäft in wenigen Tagen über die Bühne. Der Zahlungsvorgang läuft ausserhalb der Plattform ab, um die technischen Voraussetzungen möglichst einfach zu halten. Für die Abnehmer ist das Angebot kostenlos. Die Lieferanten bezahlen eine Transaktionsgebühr von 3 Prozent an Hystrix.
Ende Februar, kurz vor Ausbruch der Coronakrise in der Schweiz, hatte Hystrix 75 registrierte Käufer und 80 Lieferanten. Wegen der Coronapandemie sind diese Zahlen in die Höhe geschnellt. «Heute haben wir 175 Käufer und 110 Lieferanten», sagt Hügli. Bei den Käufern sind neben Spitälern, Altersheimen, Arztpraxen nun auch viele Polizeikorps und kantonale Justiz- und Sicherheitsdepartemente angemeldet. Selbst eine Tierpraxis ist dabei. «Dank Corona haben wir rund zwei Jahre übersprungen», sagt Hügli. Die Pandemie habe die Plattform einem Stresstest unterzogen. «Dieser hat gezeigt, dass unsere Idee und unser Konzept funktioniert.»
Noch ist Hystrix nicht profitabel. Am Freitag konnte das Unternehmen, das derzeit neun Mitarbeitende beschäftigt, in einer dritten Finanzierungsrunde aber neue Geldgeber präsentieren. Angeführt wurde die Investorengruppe von Hirslanden Venture Capital AG und der Steyn Group. Hirslanden Venture Capital ist eine Tochtergesellschaft von Mediclinic International, der Besitzerin der Klinikgruppe Hirslanden. Steyn wiederum ist ein weltweit tätiger Investor mit Erfahrung im Bereich von Online-Marktplätzen. Beide Investoren sind neu auch im Verwaltungsrat vertreten.
Die frischen Mittel in Höhe von 3 Millionen Franken, mit denen Hystrix inklusive den beiden voran gehenden Finanzierungsrunden in 2018 und 2019 schon insgesamt 5,56 Millionen Franken eingesammelt hat, setzt das Unternehmen für weitere Entwicklung seines Geschäfts ein. Angepeilt wird auch die Expansion ins Ausland. In verschiedenen europäischen Ländern laufen bereits erste Pilotversuche.