Wohnungsbau
Erstmals müssen 20 Schweizer Banken zum Stresstest – der Immo-Boom ist gefährlich geworden

Erstmals treten zwanzig Banken gleichzeitig zu einem Stresstest an. Wie riskant ist der Boom im Wohnungsbau? Die Behörden wollen bremsen. Die Banken sträuben sich.

Niklaus Vontobel
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Wie viele Hypothekarkunden gerieten bei einem Zinsanstieg finanziell in Schieflage? Im Bild: Der Prime Tower in Zürich.

Wie viele Hypothekarkunden gerieten bei einem Zinsanstieg finanziell in Schieflage? Im Bild: Der Prime Tower in Zürich.

Arnd Wiegmann/Reuters

Die Behörden wollen den Boom im Wohnungsbau bremsen. Sonst verspekulieren sich zu viele Investoren und gehen Banken zu grosse Risiken ein. Die Schweizer Nationalbank (SNB) und die Finanzmarktaufsicht (Finma) wollen daher strengere Regeln, wenn Hypotheken an Kunden vergeben werden, die in Mietwohnungen investieren. Diese Hypothekarvergabe im Bereich der sogenannten Renditeliegenschaften liesse sich am schnellsten neu regeln, würde die Branche via Selbstregulierung eigene Vorschläge machen. Doch die Banken wollen nicht.

Stresstests sollen helfen. Wie diese Zeitung erfahren hat, unterzieht sich erstmals in der Schweiz eine Auswahl von Banken gleichzeitig einem Stresstest, rund 20 sind es. Überprüft wird etwa, welcher Schaden ein Zinsanstieg in ihren Bilanzen anrichten würde. Wie viele Hypothekarkunden, die in Renditeliegenschaften investiert hatten, kämen finanziell in eine Schieflage. Die Tests laufen derzeit. Anfang 2019 will man so weit sein, eine solide Faktengrundlage zu haben.

Oben auf der Wunschliste

Vor allem will man die Frage geklärt haben: Gehen nur wenige Banken zu hohe Risiken ein mit Kunden, die sich mit Renditeliegenschaften finanziell übernehmen? Dann würde die Bankiervereinigung wohl wie bisher darauf beharren, dass die Finma solche Banken einzeln zurechtweist. Oder hat eine hohe Zahl von Banken im Bereich Renditeliegenschaften erhebliche Risiken in den Büchern? Dann wären neue Regeln für die Gesamtbranche gerechtfertigt. Die Bankiervereinigung gäbe ihren Widerstand wohl auf.

Hoch oben auf der behördlichen Wunschliste steht der Kapitalisierungssatz, wie Recherchen zeigen. Diesen Zinssatz verwendet eine Bank, wenn sie zum Beispiel ein Mehrfamilienhaus bewertet, das ihr Kunde Meier kaufen will. Sie zinst damit die Mieten ab, die Meier künftig erwarten darf. Wählt sie einen tieferen Satz, kann sie den Wert höher veranschlagen. Das hat die geschäftsfördernde Folge, dass Meier eine höhere Hypothek erhält. Und die Bank kann sich an die eigene Richtlinie halten, wonach sie ein solches Mehrfamilienhaus maximal zu 80 Prozent belehnen will: also auf eine 10-Millionen-Immobilie höchstens eine Hypothek von 8 Millionen vergeben wird. Alles sieht solide finanziert aus.

Zu diesem Kapitalisierungssatz gibt es bislang keine klaren Vorschriften, wie auch nicht zu anderen wichtigen Kriterien. In der Selbstregulierung der Banken ist nur zu lesen, der Satz müsse vorsichtig und nachhaltig angesetzt werden. In der Praxis erweisen sich solche Begriffe jedoch als schwammig. Die Banken können mit diesen Sätzen durchaus spielen, wenn sie ihre Hypothekenvolumen pushen wollen.

Tatsächlich zeigen sich laut Recherchen beim Kapitalisierungssatz grosse Unterschiede zwischen den Banken. Zudem kommen mittlerweile dynamische Modelle zum Einsatz. Mit ihrer Hilfe wird der Kapitalisierungssatz automatisiert anders festgelegt, je nach Lage oder Auslastung einer Immobilie. Den Behörden wird es da mulmig.
Ein in der Branche bekanntes Phänomen dieses Baubooms sind private Investoren, die sich im Markt nicht gut auskennen, aber viel Geld aufs Spiel setzen. Den Behörden sind sie längst aufgefallen. Viele Banken, aber nicht alle, erfassen sie seit einigen Jahren gesondert, um sie besser im Auge behalten zu können.

Die meisten sind Laien auf der Flucht vor negativen Zinsen, mancher kauft gleich mehrere Wohnungen. Es sind vermögende Einzelpersonen, Zahnärzte etwa, aber auch Durchschnittsbürger sind darunter, die von der Pensionskasse ihr Geld abgezogen haben. Ihre Investitionen werfen heute schon geringe Renditen ab. Ein leichter Zinsanstieg genügt, um sie in die roten Zahlen zu drücken.

31'000 Wohnungen zu viel

Eine typische Rechnung sieht so aus, wie Adrian Wenger vom VZ Vermögenszentrum erklärt. Ein Mehrfamilienhaus hat einen Wert von 10 Millionen. Davon hat Meier vielleicht 2 Millionen selber aufgebracht, 8 Millionen leiht die Bank. Im Jahr wirft das Mehrfamilienhaus vielleicht 350'000 Franken ab, was eine hübsche Rendite ergibt angesichts rekordtiefer Zinsen. Doch Meier muss 100'000 Franken dem Steueramt abgeben; nochmals 100'000 an die Bank, um die Hypothek abzuzahlen. Bleiben also 150'000 Franken, wovon Meier die Zinsen zahlen muss. «Da bleibt kein Rappen mehr übrig, wenn die Zinsen auch nur geringfügig steigen», sagt Wenger.

Bisher schreckte es die Investoren nicht, dass viel mehr Wohnungen gebaut werden, als es in der Schweiz braucht. Und das seit zwei Jahren. Mittlerweile beläuft sich der Überschuss auf 31'000 Wohnungen, wie der Immobilienberater Wüest Partner geschätzt hat. Eine Trendwende wird es auch nächstes Jahr nicht geben, dafür ist die Pipeline zu gut gefüllt. Erneut werden Tausende Wohnungen mehr als nötig auf den Markt kommen.

Finma und SNB drängen auf eine Selbstregulierung. Es könnte zu spät sein, glauben sie, wenn erst der Bundesrat neue Verordnungen erlassen müsste. Doch die Behörden werden aktuell vom Finanzplatz ausgebremst. Die Bankiervereinigung kontert, die aktuelle Schwemme an Mietwohnungen habe mit ihnen wenig zu tun. Man sei nicht dafür verantwortlich, die Behörden sollten besser auf die Versicherungen schauen und auf andere institutionelle Investoren. Die Selbstregulierung für alle Banken nachzubessern, lehnte die Bankiervereinigung deshalb bisher ab. Wenn schon, solle die Finma einzelne fehlbare Banken zur Ordnung rufen.

Powerplay des Finanzplatzes

Davon halten indessen Finma und SNB wiederum wenig. Eingriffe bei einzelnen Banken helfen erfahrungsgemäss wenig. Wird eine Bank zurückhaltender in der Hypothekarvergabe, forcieren andere Banken sofort das eigene Geschäft. Zudem verginge viel Zeit, müsste die Finma von Bank zu Bank gehen. In der Zwischenzeit könnte die Krise schon da sein. Und der einzelnen Bank ist es natürlich nicht recht, wenn die Finma tatsächlich von ihr verlangt, die eigenen Hypotheken mit mehr Eigenkapital zu unterlegen. Vielmehr fordert sie sogleich, die Finma möge bitte schön zuerst einheitliche Regeln durchsetzen und erst dann bei einzelnen Banken eingreifen.

Dieses Hickhack um die Selbstregulierung fällt mitten in ein politisches Powerplay zwischen Finanzplatz und Behörden. Der Präsident der Bankiervereinigung, Herbert Scheidt, wirft der Finma eine undemokratische Anhäufung von Zuständigkeiten vor. Finma-Direktor Marc Branson kontert, ein starker Finanzplatz brauche eine starke Aufsicht. Nächste Woche wird im Ständerat die angebliche Machtfülle der Finma diskutiert. In diesem Konflikt scheint eine Nachbesserung der Selbstregulierung schwierig.

Mehr Investitionen in Olten, weniger in Aarau

Inzwischen hat sich der Boom im Wohnungsbau regional verschoben, wie der Immobilienberater WüestPartner festgestellt hat. Weg aus der Region Aarau, hin in nördlich gelegene Regionen. So wurden in Aarau in den letzten zwölf Monaten deutlich weniger Mehrfamilienhäuser bewilligt als in den fünf Jahren davor. Rund 220 Millionen Franken weniger sollen investiert werden, einen grösseren Rückgang gab es nirgends.

Dafür zogen die geplanten Investitionen nochmals an in vier Regionen im Norden von Aarau: Olten, Oberes Baselbiet, Fricktal und Brugg-Zurzach. Dabei stehen auch in diesen Regionen bereits heute mehr Wohnungen leer als im landesweiten Schnitt. Offenbar spekulieren die Investoren auf einen Nachfrageschub. Vor allem ins Obere Baselbiet und ins Fricktal sollen neue Mieter kommen, wenn das Ausbauprojekt «Bahnknoten Basel» bessere Verbindungen bringt.