Finanzen
So viele Schulden wie Griechenland: Dem chinesischen Immobilienmarkt droht der Kollaps - mit bizarren Folgen

Der riesige Wohnungs- und Bürohaus-Bauer Evergrande ist massiv verschuldet. Im Land geht nun die Angst vor einer Implosion des Marktes um. Doch die Regierung hat die Situation selbst verschärft.

Fabian Kretschmer
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Die Aktien des chinesischen Immobilienriesen Evergrande haben massiv an Wert verloren. Im Bild: Ein Mann vor einer Werbung für das Wohnprojekt Emerald Bay in Hong Kong von Evergrande.

Die Aktien des chinesischen Immobilienriesen Evergrande haben massiv an Wert verloren. Im Bild: Ein Mann vor einer Werbung für das Wohnprojekt Emerald Bay in Hong Kong von Evergrande.

Jerome Favre / EPA

Nachdem am Montag rund hundert erboste Investoren die Lobby der Hauptzentrale von Evergrande stürmten und lautstark ihr Geld zurückforderten, installierte das Unternehmen in Shenzhen etliche Absperrgitter und Sicherheitskräfte vor dem Haupteingang. Weitere Tumulte möchte der angeschlagene Konzern unter allen Umständen vermeiden.

Spätestens seit Mittwoch vergangener Woche steht Evergrande, ein schon seit längerem kriselnder Immobilienriese, in existenzieller Notlage. Die Ratingagentur Fitch setzte die Bonitätsbewertung nämlich auf ein katastrophales «CC». Es seien Zahlungsausfälle angesichts «knapper Liquidität» wahrscheinlich.

Wohnungen in über 200 Städten

Der extreme Untergang von Evergrande ist umso spektakulärer, wenn man sich den rapiden Aufstieg nur wenige Jahre zuvor anschaut: Der 62-jährige Gründer Hui Ka Yan galt als reichster Chinese des Landes, er wurde von der Politelite hofiert. Kein Wunder, sorgte er doch für einen Bauboom sondergleichen, der die chinesische Wirtschaft als grundlegender Motor immer weiter antrieb: In über 200 Städten stehen riesige Apartmentsiedlungen und Bürotürmen von Evergrande.

Auch der jetzige Vorstand Xu Jiayin zeigte sich noch im Juli bei der 100-Jahr-Feier der Kommunistischen Partei unter den Zuschauerreihen am Pekinger Tiananmen-Platz, um der Rede von Staatschef Xi Jinping zu lauschen. Doch auf die schützende Hand der Regierung kann Evergrande nicht mehr zählen.

So viele Schulden wie Griechenland

Denn Chinas zweitgrösster Immobilienkonzern steckt massiv in den Miesen. Laut Schätzungen sollen es über 300 Milliarden Dollar sein – oder anders ausgedrückt: ähnlich viel wie die gesamten Staatsschulden Griechenlands. Doch ist der Konzern aus Shenzhen «too big too fail»?

Zumindest würde seine Pleite immense Schockwellen durch die gesamte Branche senden, so viel steht fest. Denn wahrscheinlich werden die chinesischen Finanzinstitute auch anderen Grosskunden stärker auf die Finger schauen, um nicht auf mehr Geldern sitzen zu bleiben. Dementsprechend dürften etliche Konzerne der Baubranche bald in Bedrängnis kommen.

Immobilien als einzige Investitionsmöglichkeit

Der Immobiliensektor ist vor allem deshalb so erhitzt, weil er von den meisten Chinesen als alternativlos einzig stabile Wertanlage angesehen wird: Die Währung selbst verliert kontinuierlich durch Inflation an Wert, die Aktienkurse selbst der grössten Konzerne schwanken wie Achterbahnen und ins Ausland dürfen die Chinesen aufgrund strikter Kapitalverkehrskontrollen nicht investieren. Also parkt jeder, der es sich leisten kann, sein Erspartes in ein Apartment – ganz gleich, ob die Wohndividende verschwindend gering ist, ja sogar im Minus liegt.

Denn offiziell gibt es kein Wohneigentum in der kommunistischen Volksrepublik. Die Immobilien werden nur 70 Jahre lang vom Staat gepachtet. Insbesondere in den grossen Ostküstenmetropolen wie Shanghai, Shenzhen oder Peking kostet ein Apartment jedoch oft das Achtzigfache einer Jahresmiete oder mehr. De facto machen die Immobilienbesitzer beim Vermieten sogar Minus.

Die Sprengung von 15 unvollendeten Häusern

Welche Folgen diese Mentalität hat, bewies eindrücklich ein Video, das auf Chinas sozialen Medien viral ging: Es zeigt die Sprengung von 15 riesigen Wohntürmen in der südlichen Provinzhauptstadt Kunming. Über acht Jahre lang standen die Hochhäuser unverputzt in der urbanen Landschaft rum. Der Baufirma ging kurz vor Fertigstellung das Geld aus. Ein ähnliches Schicksal droht nun Evergrande.

Den Todesstoss könnte ausgerechnet die Regierung verpasst haben. Anfang Jahr verschärfte sie die Schuldengrenze für Firmen. Und kürzlich erliessen die Behörden etliche zusätzliche Regulierungen für Unternehmen zur Kreditaufnahme und für den Immobilienkauf. Die Massnahmen sind notwendig. Doch wie so oft erfolgten sie unangekündigt über Nacht. Viele Beobachter sprechen daher von einem einmaligen Schock, dessen Folgen noch nicht abzusehen sind.

Immer wahrscheinlicher scheint das Szenario, dass die Regierung schon bald eingreifen und den Konzern zerschlagen wird, um eine marktweite Panikstimmung zu verhindern. Andernfalls könnte Evergrande schlussendlich noch zum chinesischen Pendant der Lehman Brothers werden.