Die Aufregung um das undeklarierte Pferdefleisch geht weiter: Tierschützer decken in Kanada und Polen Tierquälerei auf. Während Coop reagiert, wartet die Migros zu.
Einen Imagegewinn erhofften sich die Verkäufer von Pferdefleisch nach dem Skandal um falsch deklarierte Produkte, in welchen statt Rind- Pferdefleisch drin war. Danach sieht es nun nicht aus. Die Schlagzeilen, welche die Recherchen des Tierschutzbundes Zürich (TSB) über die fragwürdige Praxis in der Produktion von Pferdefleisch machen, sind keine gute Werbung. Der Tierschutzbund Zürich hatte am Dienstag Filmmaterial präsentiert, das erhebliche Missstände in der Pferdezucht in Nord- und Südamerika, aber auch in Europa – namentlich in Polen – aufzeigt.
Der Grossverteiler Coop, der 30 Prozent oder rund 83 Tonnen seines Pferdefleischs aus Polen bezieht, hat gestern bereits auf die schockierenden Filmaufnahmen reagiert und will vorübergehend auf Importe aus Polen verzichten. Die Pferde wurden im polnischen Rawicz geschlachtet und dann als gefrorene Tierhälften nach Rezzato in Italien transportiert. Nach der Grobzerlegung wurde das Pferdefleisch in die Schweiz exportiert und von der Bell AG verarbeitet. Die Organisation des Importes in die Schweiz lief über die Importfirma GVFI International mit Sitz in Basel.
«Wir wollen in nächster Zeit frisches Pferdefleisch aus Frankreich importieren, bis die Vorwürfe wegen Tierquälerei geklärt sind», erklärt dazu die Coop-Mediensprecherin Nadja Ruch. Die Bestellungen aus Kanada hatte Coop bereits im Jahr 2011 eingestellt, die Migros hingegen hält an Importen aus Kanada fest. Die Migros importiert rund 99 Prozent des Pferdefleisches aktuell aus Kanada.
In der Schweiz macht Pferdefleisch knapp 1 Prozent des Fleischkonsums aus. 5400 Tonnen Pferdefleisch werden hierzulande pro Jahr verzehrt. Davon werden 5000 Tonnen importiert. Der Löwenanteil des importierten Pferdefleischs stammt aus Kanada: Im Jahr 2011 waren es 2729 Tonnen (siehe Grafik). Laut Migros-Sprecher Urs Peter Naef sind weniger als ein Viertel von dieser Menge der Migros zuzuordnen.
Trotz dieser relativ kleinen Menge, die der Grossverteiler möglicherweise von anderswo beziehen könnte, hält der orange Riese an seinem kanadischen Lieferanten Bouvry (siehe Kasten) fest. «Die Kontrolle des Betriebes im Juli 2012 hat zu keiner Beanstandung geführt. Wir werden erneut prüfen, ob unser Produzent das Pflichtenheft erfüllt», sagt Naef und kündigt unangemeldete Untersuchungen vor Ort an.
Bereits vor Ort waren die Tierschutzorganisationen. Filmaufnahmen, die der Tierschutzbund Zürich zusammen mit Partnern in einer acht Monate langen Recherche in Nordamerika, Mexiko und Argentinien zusammengetragen hat, zeigen Missstände auf, die einem auf den Magen schlagen. Die Pferde werden gemästet, ungeschützt gehalten und grausam getötet. Am Dienstag berichtete der «Kassensturz» auf SRF über die Recherchen des TSB. Hinzu kommen nun noch die erschreckenden Zustände auf polnischen Schlachthöfen.
York Ditfurth, Vorstand des TSB, stellt die falsche Deklarierung von Inhalten von Produkten auf die gleiche Stufe wie den Verkauf von Fleisch, das aus mangelhafter Tierhaltung stammt. Nicht nur die Falschdeklaration, sondern auch der Verkauf von Fleischprodukten aus qualvoller Tierhaltung sei eine Täuschung der Konsumenten, sagt er. «Niemand will Fleisch von einem Tier essen, das zuvor qualvoll gehalten wurde», sagt Ditfurth. Und er betont, dass dies nicht nur für Pferde, sondern auch für Schweine, Rinder oder Hühner gelte.
Ditfurth begrüsst, dass Coop bezüglich Fleisch aus Polen sofort Massnahmen getroffen hat. «In Polen werden die Pferde oft massiv mit Kraftfutter gemästet und ohne Tageslicht gehalten», sagt Ditfurth. Bereits seit zehn Jahren ist die Tierschutzorganisation in Polen vor Ort. Gerade beim Schlachthof in Rawicz, wo Coop sein Pferdefleisch bezieht, sei es möglich, Pferde ohne Nachweis der Medikamentisierung zum Schlachten zu verkaufen. «Gesundes Pferdefleisch aber braucht diesen Nachweis – sonst wird der Konsument getäuscht», sagt York Dithfurth. Er könne zwar nicht belegen, dass Coop-Pferdefleisch effektiv aus schlechter Tierhaltung stamme, die Wahrscheinlichkeit sei aber hoch, so Ditfurth.
Dass die Migros zuwarte und zuerst abklären wolle, ob die happigen Vorwürfe zutreffen, ist für Ditfurth ein Zeichen, dass die Migros «offenbar nicht die ganze Produktionskette unter Kontrolle hat». Das gibt die Migros auch zu. «Was wir nicht im Griff haben, ist der Transport zur Sammelstelle an der kanadischen Grenze», räumt Migros-Sprecher Naef ein. Man könne zwar jedes Tier bis zur Geburt zurückverfolgen, was auf dem Weg zur Sammelstelle passiere, sei nicht transparent. «Das werden wir aber verbessern», sagt Naef.