Forschungszusammenarbeit
Der Poker rund ums Rahmenabkommen fordert erste Opfer: Schweizer Forscher verzichten auf Leitung eines Grossprojekts

Da sie nicht wissen, wie es künftig in der Forschungszusammenarbeit mit Europa weitergeht, bewerben sich Schweizer Institutionen nicht auf leitende Rollen in Forschungsprojekten.

Florence Vuichard
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CSEM-Chef Alexandre Pauchard. Von Neuenburg in den Weltraum: Die Beteiligung des Schweizer CSEM-Instituts am EU-Forschungsprogramm hat hiesigen Firmen Aufträge beschert.

CSEM-Chef Alexandre Pauchard. Von Neuenburg in den Weltraum: Die Beteiligung des Schweizer CSEM-Instituts am EU-Forschungsprogramm hat hiesigen Firmen Aufträge beschert.

CSEM/Antal Thoma Bild: CSEM

Es wird eine Premiere: 2025 soll zum ersten Mal ein Stück Weltraummüll aus der Erdumlaufbahn entfernt werden. 86 Millionen Euro lässt sich die europäische Weltraumorganisation ESA diese Pioniertat kosten, ausgeführt wird sie von einem Industrieteam aus mehreren europäischen Ländern unter der Leitung des Westschweizer Start-ups ClearSpace.

Ihren Exploit verdanken die Jungunternehmer unter anderem dem Forschungsinstitut CSEM mit Hauptsitz in Neuenburg, das ursprünglich als eine Art Selbsthilfelabor für die damals arg in Bedrängnis geratene Schweizer Uhrenindustrie gegründet wurde und heute im Dienst der gesamten hiesigen Industrie steht. Und die Weltraumpioniere verdanken ihren Auftrag auch dem Schweizer Zugang zu den EU-Forschungsprogrammen. Denn ohne diesen hätte das CSEM nicht an einem EU-Forschungsprojekt zur Trümmerbeseitigung im Weltall teilnehmen können und würde heute nicht über die nötige Technologie verfügen, die sie nun an Schweizer Unternehmen weitergeben kann – und ClearSpace hätte bei der ESA nicht das grosse Los gezogen.

Smarte Armbänder für die Gesundheit

Auch im Bereich Digital Health «konnten wir dank unserer Beteiligung an EU-Forschungsprogrammen unser Wissen aufbauen», sagt CSEM-Chef Alexandre Pauchard. Wissen, das sich wiederfindet, etwa beim CSEM-Spin-Off Aktiia, welches das erste medizinisch zertifizierte Armband auf den Markt gebracht hat, mit dem der Blutdruck ständig gemessen werden kann, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Oder beim medial gefeierten Start-up Ava Women, das seit 2016 Armbänder zur Fruchtbarkeitsbestimmung anbietet.

Doch die gut geölte Technologietransferkette droht ins Stocken zu geraten, und das aus zwei Gründen: wegen des Gezerres um das Rahmenabkommen. Und wegen der neuen «EU First»-Politik, wobei Brüssel lieber von «strategischer Autonomie» spricht. Das wiederum bedeutet, dass gewisse Forschungsfelder für Nicht-EU-Mitglieder künftig ganz versperrt bleiben könnten: namentlich die Weltraumforschung und die Quantenphysik.

Noch ist nichts entschieden, noch sind sich die EU-Kommission und die einzelnen Mitgliedstaaten nicht einig – weder bei den thematischen Ausschlusskriterien noch in Bezug auf den Status, den die Schweiz mit oder ohne Rahmenabkommen erhalten soll.

Für Forscher und Firmen ist es aber eine Hängepartie, und zwar eine, die heute schon negative Folgen zeitigt, wie Pauchard betont. Denn in diesem Zustand der Unsicherheit würden potenzielle, europäische Partner auf Kollaborationen mit Schweizer Firmen und Hochschulen verzichten, um die Chancen ihrer Forschungsprojekte nicht zu gefährden. Oder die Schweizer geben in vorauseilendem Gehorsam die Leitung ab, um Probleme zu vermeiden. So bewirbt sich das CSEM nun beim Folgeprojekt von macQsimal nicht mehr auf die Position des Hauptkoordinators, eine Position, die das Institut bis anhin inne hatte beim Grossprojekt, an dem weitere 13 Hochschul- und Firmenpartnern aus Europa und der Schweiz arbeiten und das Teil eines mit 1 Milliarde Euro ausgestatteten EU-Leuchtturmforschungsprojekts ist.

Politische Verknüpfung zum Rahmenabkommen

Zentral ist vor allem die Frage, ob die Schweiz ihren Status als assoziiertes Mitglied bei den ganzen EU-Forschungsprogrammen verliert? Denn dann könnten sich hiesige Forscher und Firmen nicht mehr in Einzelanträgen um EU-Gelder bewerben, auch nicht beim «EIC Accelerator», einem Förder- instrument, bei dem innovative KMU direkt und relativ viel Geld erhalten, um etwa ein Produkt zur Marktreife zu bringen.

Die Frage des Assoziierungsstatus dürfte von der Haltung des Bundesrats zum Rahmenabkommen abhängen, auch wenn die beiden Dossiers rechtlich nicht verknüpft sind. Politisch sind sie es durchaus.