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Die Schweiz muss seit bald fünf Jahren mit negativen Zinsen leben. Am 18. Dezember 2014 führte die Nationalbank erstmals einen Negativzins ein.
Die Schweiz ist nochmals davon gekommen. Direktor Thomas Jordan sagte heute: «Die Nationalbank belässt ihren Leitzins unverändert bei minus 0,75 Prozent.» Eine weitere Erhöhung des Negativzinses war nicht nötig. Der Franken blieb zum Euro seit dem Herbst mehr oder weniger gleich. Doch zuvor war die Angst umgegangen. Ein noch höherer Negativzins könnte die Banken zwingen, ihren kleinen Sparkunden ebenfalls einen Negativzins zu belasten.
Noch im Herbst sah es so aus, als könnte es so kommen. Die Nationalbank hat zwar bereits den höchsten Negativzins der Welt. Doch sie hätte unter Zugzwang geraten können, wenn die Europäische Zentralbank ihre Zinsen nochmals deutlich herabgesetzt hätte. Die Nationalbank glaubt, sie kann eine weitere Aufwertung des Frankens nur verhindern, wenn ihr Leitzins deutlich tiefer ist als jener der Europäischen Zentralbank.
Am Ende setzte Mario Draghi als damaliger Chef der Europäischen Zentralbank die Zinsen tatsächlich nochmals etwas herab. Damit wurde der Abstand zum Leitzins der Nationalbank wie befürchtet geringer. Doch die Differenz wurde nur wenig kleiner. Der Nationalbank blieb ein Spielraum übrig. Sie bewegte sich nicht – und ging damit eine Wette ein.
Mancher Experte glaubte nicht, dass die Wette aufgehen würde. Im Herbst glaubte mancher, die Nationalbank würde später im Dezember doch noch den Negativzins heraufsetzen. «Aufgeschoben ist nicht aufgehoben», hiess es von der Grossbank UBS. An der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich rechnete man ebenfalls mit einer Erhöhung.
Doch es blieb einigermassen ruhig. Der Franken wertete sich nicht stark auf. Jordan hatte richtig gelegen. Die Schweiz muss wenigstens nicht mit noch höheren Negativzinsen leben.
Doch andererseits bleibt der Negativzins erhalten. Denn die bestehenden rekordhohen Negativzinsen bleiben so hoch wie sie sind. Jordan rückt davon keinen Zentimeter ab. An der geldpolitischen Lagebeurteilung sagt er: «Wir sind davon überzeugt, dass es den Negativzins heute immer noch braucht.»
Und so geht die Schweiz bald in ihr sechstes Jahr mit einem Negativzins. Erstmals wurde dieser nämlich am 18. Dezember 2014 eingeführt. Die Schweiz hatte noch einen Mindestkurs zum Euro. Ausserhalb der Nationalbank ahnte niemand, dass dieser Mindestkurs bald Geschichte sein würde. Doch eine Mitteilung wurde damals versandt: «Nationalbank führt Negativzins ein.»
Das ist nun fast fünf Jahre her. Heute sagte Jordan: «Kaum jemand ging damals davon aus, dass der Negativzins auch per Ende 2019 noch gelten würde.» Er zog darum eine kurze Bilanz aus den 5 Jahren mit negativen Zinsen, die auf jenen 18. Dezember 2014 folgten.
Kaum jemand ging damals davon aus, dass der Negativzins auch per Ende 2019 noch gelten würde.
Damals senkte die Nationalbank ihren Leitzins noch nicht auf minus 0,75 Prozent – den weltweit höchsten Negativzins. Sondern Jordan ging erst auf ein Minus von 0,25 Prozent runter. Eine Flucht in sichere Häfen habe eingesetzt. Er müsse den Franken weniger attraktiv machen und den Mindestkurs stützen.
Gleichzeitig stellte sich Jordan damals hinter den Mindestkurs. Man werde diesen weiterhin durchsetzen und zwar «mit aller Konsequenz». Wenn nötig, werde die Nationalbank unbeschränkt Devisen kaufen. Einen Monat später, am 15. Januar 2015, kam eine neue Mitteilung: «Die Nationalbank hebt Mindestkurs auf und senkt Zinsen auf minus 0,75 Prozent.» Der Mindestkurs wurde quasi durch den Negativzins ersetzt.
Seither lebt die Schweiz mit dem weltweit höchsten Negativzins. Und Jordan hält daran fest. Unmittelbar nach der Aufhebung des Mindestkurses habe es den Negativzins gebraucht, um den Franken in «kurzer Zeit zu stabilisieren.» Es ging damals bekanntlich dennoch hoch her.
Der Franken erreichte die Parität zum Euro. Schlangen bildeten sich vor Bancomaten. Der Einkaufstourismus in Konstanz wurde so sehr angeschoben, dass Einheimische sich über falsch parkierende Schweizer beschwerten. In Österreich erlebten einige Wintergebiete einen veritablen Boom an Schweizer Gästen. Der Schweizer Bergtourismus hingegen musste erfahren, dass ihm die deutschen Gäste endgültig den Rücken kehrten.
Aber wie wäre es gekommen, hätte die Nationalbank keinen Negativzins erhoben? Jordan ist überzeugt: «Dann wäre der Franken deutlich stärker gewesen. Es hätte der Schweizer Wirtschaft massiv geschadet und die Preisstabilität gefährdet.» Für stabile Preisverhältnisse zu sorgen, ist aber gemäss Gesetz der Auftrag der Nationalbank.
Zugleich war es Jordan wichtig, den Negativzins in einen globalen Kontext zu setzen. Also nicht als eine Folge einer willkürlichen Geldpolitik der Nationalbank und von Jordan selber. Sondern als unvermeidliche Folge globaler Trends. Weshalb, fragte er rhetorisch, sind die Zinsen überhaupt so tief?
Die Negativzinsen sind demnach die Folge einer globalen Sparschwemme. Jordan drückte es etwas anders aus. Es werde seit geraumer Zeit global mehr gespart und verhältnismässig wenig investiert. Mehr gespart wird, weil die Bevölkerungen global älter werden. Also müssen sie mehr zur Seite legen. Und weniger investiert werde, weil es sich weniger lohne. Es gibt weniger Technologien, in denen grosse Investitionen eine hohe Rendite abwerfen würden. Werden mehr Ersparnisse angeboten, aber weniger Ersparnisse nachgefragt, sinkt der Preis für diese Ersparnisse, also der Zins.
Jordan sagt dazu: «Diesem globalen Trend kann sich die Schweiz nicht entziehen.» Was Jordan nicht ausdrücklich sagte, aber aus seiner Analyse folgte: Diesem globalen Trend können sich auch Zentralbanken nicht widersetzen.