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Wirtschaft
Nach 10 Jahren leitet Urs Rohner seine letzte Generalversammlung. Ein Skandal mit Derivaten hat ihm seine Bilanz als Präsident der Credit Suisse vermiest. An Warnungen fehlte es nicht.
Die Zeit von Urs Rohner bei der Credit Suisse endet heute. Rohner wird seine letzte Generalversammlung leiten. Am Ende seiner Ära steht ein Skandal, der überraschend viele Dinge verknüpft: den Filmstar Tom Cruise, einen «obersten Führer von Christus» und «finanzielle Massenvernichtungswaffen».
Die Geschichte beginnt in Omaha, im US-Bundesstaat Nebraska. Im Mai 2002 steht dort Warren Buffett vor den Aktionären. Die Investorenlegende, bekannt für Bonmots, warnt vor «finanziellen Massenvernichtungswaffen». So bezeichnet Buffett damals genau jenes Derivat, das Jahre später die Credit Suisse an die 5 Milliarden kostet: «Total Return Swaps». Solche und anderen Derivate würden es verunmöglichen, Bankenbilanzen zu durchschauen.
«Wenn ich die langen Fussnoten zu diesen Derivaten lese, verstehe ich nur eins: dass ich die Risiken dieser Banken nicht verstehe.»
Damit sei er nicht allein, war Buffett überzeugt. Die Regierungen und Zentralbanken hätten kein Mittel gefunden, um diese Risiken zu kontrollieren. Sie würden sie nicht einmal überblicken. Buffett unkte damals: «Irgendein Ereignis, wird dereinst klar machen, wie giftig Derivate sind.» Was Buffett nicht ahnte: Selbst die Banken sollten den Durchblick verlieren.
Ende 2020 war es so weit, das buffettsche Ereignis bahnte sich an. Zunächst bemerkten es die wenigsten. Es wurde überdeckt von anderen Börsenhypes: Gamestock, Spacs oder Bitcoin. In ihrem Schatten zeigte eine Handvoll anderer Aktien ähnlich haarsträubende Kursverläufe. Typisch war ViacomCbs, ein US-Medienkonzern. Der Kurs hatte sich in knapp zwei Monaten mehr als verdoppelt. Dann stürzte der Titel auf einmal in die Tiefe. ViacomCbs verlor in vier Tagen mehr als die Hälfte seines Börsenwerts.
Hinter all diesen haarsträubenden Kursverläufen steckten die «finanziellen Massenvernichtungswaffen» und immer die gleiche Hauptfigur: ein früherer Hedgefonds-Manager namens Sung Kook «Bill» Hwang. Nachdem Hwang sich des Insider-Tradings schuldig bekannt hatte, startete der gebürtige Südkoreaner ein Familienbüro. «Archegos» taufte es der Pfarrerssohn, was so viel heisst wie «oberster Führer von Christus». Über seine erfolgreichen Investments sagte der Milliardär einmal:
«Glaube ich, dass Gott dies liebt? Natürlich!»
Die unrühmliche Nebenrolle spielten einige Banken, darunter UBS und Credit Suisse. Mit ihnen schloss Hwang zig «Total Return Swaps» ab, die buffettschen finanziellen Massenvernichtungswaffen. Wobei die CS gemessen an ihrer Grösse wohl die fleissigste Helferin war. Die CS versprach sich hübsche Gebühren. Sie wollte für einige ihrer Milliarden jene Renditen finden, die im allgemeinen Anlagenotstand eine Rarität sind. Hwang war die Hauptfigur, aber unsichtbar. Die Swaps waren so aufgebaut, dass er nach aussen nicht in Erscheinung trat. Von einigen Firmen soll er einen Viertel aller Aktien besessen haben. Es war nirgends verzeichnet. Niemand wusste es, nicht einmal die Banken. Sie glaubten, Hwang habe nur mit ihnen solche Swaps abgeschlossen. Im Gewirr der Derivate, vor dem Buffett gewarnt hatte, verloren selbst sie den Durchblick.
Hwang liess nach aussen nur die Banken in Erscheinung treten. Sie hatten «seine» Aktien auf den Büchern. Diese Konstruktion hatte absurd anmutende Folgen. Die CS war zeitweise im Besitz von über 5 Prozent aller Aktien von ViacomCbs. Eine Schweizer Grossbank vom Zürcher Paradeplatz wurde zum Grossinvestor in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. ViacomCbs gehört die «Daily Show» mit Trevor Noah oder die «Late Show» mit Stephen Colbert. Paramount Pictures zählen dazu, welche die «Mission Impossible»-Filme herausbrachten – mit dem Superstar Tom Cruise in der heldenhaften Hauptrolle.
Hwang war nicht nur der unsichtbare Mann. Die Swaps verdreifachten seine finanzielle Kraft. Er bewegte mehr Geld, als er selbst hatte. Archegos soll 10 Milliarden gehabt haben, 20 Milliarden kamen von den Banken. Dafür schloss Hwang zig Swaps ab, immer nach dem gleichen Muster. Dabei musste sich die Banken zu ein paar Dingen verpflichten. Wie die CS kauften sie zum Beispiel Aktien von ViacomCbs. Wie die CS versprachen sie, jeglichen Gewinn an Hwang abzuliefern. Stünde die Aktie um 20 Dollar höher, wenn der Swap auslief, gingen diese 20 Dollar an Hwang.
Im Gegenzug verpflichtete sich Hwang zu ein paar Dingen. Er gab Sicherheiten. Auf 100 investierte Dollar, welche die CS in Viacom steckt, waren es vielleicht 20 Dollar. 80 Dollar kamen also von der CS. Hwang zahlte auf die geliehenen 80 Dollar eine fixe Gebühr: ein Zins und eine Marge. Und er stand in der Pflicht, wenn ViacomCbs an der Börse sinken würde. Stünde die Aktie um 20 Dollar tiefer, wenn der Swap auslief, musste er dafür aufkommen. Ging die Aktie tiefer, bevor der Swap auslief, durfte die CS mehr Sicherheiten verlangen. Im Jargon sind das «Margin Calls». Als Hwang diesen Calls nicht nachkommen konnte, war es der Anfang vom Ende von Archegos.
Ende Februar war es so weit. Bei einigen von Hwangs Aktien ging es abwärts. ViacomCbs gab eine grosse Kapitalerhöhung bekannt. So sank auch diese Aktie. Hwang erhielt Margin Calls. Er hatte das Geld nicht. Die Banken holten heraus, was zu holen war. Sie verkauften alle ihre Aktien, wodurch diese vollends abstürzten. Hwang war erledigt, die Banken hatten grosse Verluste. Am Montagmorgen, den 29. März, verschickte die CS eine Meldung mit dem harmlos klingenden Titel «Trading Update». Es war der finale Skandal der Ära von Rohner. Der Verlust von 5 Milliarden gehört zu den grössten Bankenflops aller Zeiten.