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Warum Corona dem Uhrenkonzern heftig zusetzt und wie die Plastik-Swatch vom Bestseller zum Ladenhüter werden konnte.
Das Coronajahr 2020 hat der Swatch Group mächtig zugesetzt. Die Verkäufe des Bieler Uhrenherstellers sind um fast ein Drittel auf 5,6 Milliarden Franken eingebrochen. Wenig hilfreich war auch die Aufwertung des Frankens, der Rechnungswährung des Konzerns. Die Wechselkursentwicklung allein sorgte für einen Umsatzverlust von 286 Millionen Franken.
Der massive Rückgang der Verkäufe beschert der Swatch Group den ersten Verlust in ihrer jüngeren Geschichte: 53 Millionen Franken. Das dürfte für den 66-jährigen Nick Hayek die schlimmste Erfahrung in seiner 17-jährigen Zeit als Konzernlenker darstellen. Ausschlaggebend für diese Zäsur waren pandemiebedingte Restriktionen. In allen wichtigen Märkten ordneten Regierungen mehrwöchige Ladenschliessungen im ganzen Detailhandel an. Zudem bremsten weltweite Reisebeschränkungen die für alle Uhren- und Schmuckhändler wichtigen Verkäufe in den Zollfreiläden der Flughäfen.
Das letzte Mal hatte die Swatch Group 1983 einen Verlust erlitten. Das war ein Verlust von 173 Millionen Franken, wie sich der 60-jährige Finanzanalyst René Weber von der Bank Vontobel erinnert.
Die frühen 1980er-Jahren waren eine schlimme Zeit für die hiesigen Uhrenhersteller. Billige japanische Quarzuhren drohten die Schweizer Traditionsbranche zu überrollen. Doch Nicolas G. Hayek, der Vater des aktuellen Konzernchefs, und dessen talentierte Bieler Ingenieure fanden die geniale Antwort auf die Bedrohung. Am 1. März 1983 wurde die erste Swatch den Medien vorgestellt: Die Plastikuhr mit dem hippen Design und dem technisch revolutionierten Uhrwerk. Was danach kam war eine einzige Erfolgsgeschichte.
Dutzende von Millionen Swatch-Uhren hat die Seeländer Fabrik in den vergangenen 37 Jahren ausgespuckt. Zwar verflachte der steile Aufstieg schon vor 20 Jahren und bald darauf gingen die Verkaufszahlen auch zurück. Doch seit gut fünf Jahren ist die Swatch ganz besonders herausgefordert. Die spektakuläre Miniaturisierung elektronischer Komponenten machte die Entwicklung leistungsfähiger Computer in der Grösse einer Armbanduhr möglich.
Smartwatches in allen Preislagen schiessen inzwischen wie Pilze aus dem Boden. Sie kombinieren etwa die Funktionen von Fitnessarmbändern mit der klassischen Zeitangabe. Selbstredend setzt auch der Siegeszug der Mobiltelefone der Armbanduhr kräftig zu – vor allem den günstigen Modellen wie die Swatch. Diese versprechen ihren Trägern im Gegenzug zu den teuren Luxusuhren keinen Prestigegewinn.
Die digitale Revolution verändert auch den Handel. Das zeigt sich mit aller Deutlichkeit auch in den soeben veröffentlichten Swatch-Zahlen. Der Konzern hat im zurückliegenden Jahr 384 Geschäfte geschlossen. Gemäss der Information von Finanzanalyst Weber zählte das eigene Ladennetz des Konzerns Ende 2019 noch rund 1800 Geschäfte. Weber schätzt, dass etwa ein Drittel dieser Läden spezifisch auf die Marke Swatch zugeschnitten waren.
Der Handel für Uhren im mittleren und unteren Preissegment wandert nun zunehmend ins Internet hab. Die Swatch Group schreibt in ihrer Mitteilung, der Umsatz aus Online-Verkäufen sei im vergangenen Jahr um 70 Prozent gestiegen. Diese erreichen im mittleren und unteren Preissegment inzwischen einen Anteil von 20 Prozent bis 30 Prozent.
Doch Finanzanalyst Weber schätzt, dass die Swatch Group bis vor kurzem noch um die 60 Prozent aller Verkäufe ihrer berühmten Plastikuhr über den stationären Handel realisiert hat. Deshalb geht er davon aus, dass von den 2020 geschlossenen Läden die meisten sogenannte «Swatch Stores» betreffen.
Für das laufende Jahr gibt sich der Konzern wie gewohnt zuversichtlich. Es bestehe ein starker Nachholbedarf, der durch eine Aufhebung der Reisebeschränkungen zusätzlich gesteigert werden sollte. Es bestünden deshalb «gute Chancen», dass sich die Verkäufe 2021 unter Ausklammerung von Wechselkurseffekten jenen aus dem Jahr 2019 «annähern» könnten.
Um dieses Ziel zu erreichen müsste die Swatch Group 2021 allerdings weit über einem Drittel mehr Umsatz erzielen. Die Hayeks wären freilich nicht die Hayeks wenn sie bei aller optimistischen Rhetorik nicht doch auch vorsichtig blieben. Die Ausschüttung an die Aktionäre soll angesichts des Verlustes um ein Drittel auf 3.50 Franken pro Inhaberaktie beziehungsweise um rund 150 Millionen auf auf noch etwa 260 Millionen Franken sinken.
Zu berücksichtigen gilt es dabei, dass der Konzern auch in dem miserablen Jahr netto noch immer 819 Millionen Franken aus der operativen Geschäftstätigkeit eingenommen (operativer Bargeldfluss) und so den Bestand an liquiden Mitteln um 24 Prozent auf 1,7 Milliarden Franken zu steigern wusste