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Bei wirtschaftspolitischen Abstimmungen wird die Kluft zwischen Basis und Elite grösser. Die Vertrauenskrise kommt nicht von ungefähr.
Es ist, wie wenn der Tanker auf den Eisberg zusteuert. Man sieht ihn nahen, merkt, dass es für das Wendemanöver zu spät ist, beginnt sich zu fragen, ob man den Kurs vielleicht doch schon früher hätte anpassen sollen, und hofft einzig noch darauf, dass der Aufprall nicht allzu heftig sein wird.
Etwa so fühlten sich die Befürworter der Unternehmenssteuerreform III noch am Sonntagmorgen. Als am Nachmittag klar wurde, dass es – um beim Bild zu bleiben – zu einer Frontalkollision kommen wird, begann das grosse Wundenlecken. Verbunden mit der Frage: Wie konnte es so weit kommen?
Präzise Rückschlüsse darüber wird erst die Abstimmungsanalyse in ein paar Wochen geben, die sich auf Nachbefragungen stützt. Landauf, landab wird aber bereits jetzt über die Entfremdung eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung gegenüber den wirtschaftlichen und politischen Machtzentren sinniert. Man spürt – dafür muss man nicht nach Frankreich, Italien oder die USA schauen – eine eigentliche Vertrauenskrise gegenüber der Elite.
Das Referendum gegen die USR III hat die SP zusammen mit den Grünen lanciert, die beiden Parteien kommen zusammen auf einen Wähleranteil von gerade mal gut 25 Prozent. Am Sonntag folgten ihnen aber fast 60 Prozent und damit mehr als das doppelte Elektorat. Der Blick auf die Abstimmungskarte zeigt, dass neben den Städten insbesondere ländliche Gemeinden Nein stimmten – also oftmals Gegenden, in denen die SVP mit Abstand wählerstärkste Partei ist.
Dass die Basis der Partei mutmasslich die Gefolgschaft verweigert hat, interpretierte SVP-Bundesrat Ueli Maurer am Sonntagabend mit dem Unmut über die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative und folgerte daraus, dass viele Leute «denen in Bern» auch bei anderen Themen nicht mehr trauten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet ein Bundesrat jener Partei, welche den Graben zwischen dem «Volk» und der «Elite» rhetorisch jeweils am meisten bemüht, nun selbst Opfer davon geworden ist. Peter Bodenmann, langjähriger SP-Präsident und heute Hotelier in Brig, sieht in der SVP eine «Zwitterpartei», die Migrationskritik mit der neoliberalen Lehre verbinde. «Christoph Blocher beherrscht das Spiel auf beiden Klaviaturen, Ueli Maurer kann das nicht. Also bricht dieser Widerspruch jetzt auf», sagt er.
Tatsächlich ist in Fragen der Wirtschaftsordnung – anders als in der Migrations- oder Aussenpolitik – die Diskrepanz zwischen den Mehrheiten im Parlament und denen bei Volksabstimmungen besonders gross, wie Politgeograf Michael Hermann im Herbst in einer Studie nachwies. Die USR III sei dafür ein Paradebeispiel. «Mit dem Rechtsrutsch des Parlaments hat sich dieser Graben in der Tendenz sogar noch vertieft und ist heute der grösste aller Gräben», sagt er.
Die SP schürte diese Entfremdung im Abstimmungskampf, indem sie nicht müde wurde, darauf hinzuweisen, dass der Mittelstand die Zeche für wegfallende Steuereinnahmen zu bezahlen habe. Sie thematisierte damit geschickt die verbreitete Furcht vor sozialem Abstieg. Dabei ist nicht mal entscheidend, ob sich dieser statistisch auch beweisen lässt – es zählt das Gefühl. «Die empirischen Grundlagen zeigen keine Anzeichen einer Destabilisierung des Mittelstands. Mit anderen Worten: Es ging ihm noch nie so gut wie jetzt», sagt Christoph Schaltegger, Professor für Politische Ökonomie an der Universität Luzern.
Ein Mitgrund für den gefühlten Niedergang der mittleren Einkommensschichten ist gemäss Schaltegger der Einkommenszuwachs bei tieferen Schichten. «Der untere Mittelstand kann sich nur noch schwer gegenüber der Unterschicht abgrenzen. Das verursacht ein gewisses Unbehagen.» Hinzu kommt, dass der Wohlstand auch in anderen Ländern zunimmt: «Der Zukunftsoptimismus ist dahin. Uns gehts zwar gut, aber andere sind am Aufholen», so Scheidegger.
Bleibt die Frage, wie sich diejenigen Teile der Bevölkerung, die sich insbesondere in wirtschaftspolitischen Fragen von Bundesbern nicht mehr vertreten fühlen, wieder zurückgewinnen lassen. Maurer wünscht sich glaubwürdigere Vertreter der Wirtschaft. «Ihr fehlen Köpfe, in die man Vertrauen hat», sagte er gestern gegenüber SRF. Zudem hätte man die Abstimmungskampagne «besser machen können», so der Finanzminister.
Auch alt Bundesrat Pascal Couchepin (FDP) nimmt die privatwirtschaftliche Führungsriege in die Pflicht und erhofft sich von ihr mehr Demut. Eine stärkere Reglementierung sei nicht vonnöten und ohnehin nur im internationalen Kontext durchsetzbar, aber sie müsse anerkennen, dass Schlagzeilen über überrissene Managersaläre Gift für den Zusammenhalt der Bevölkerung seien. «Wenn die politischen und vor allem wirtschaftlichen Eliten Glaubwürdigkeit zurückgewinnen wollen, müssen sie wieder mehr Bescheidenheit an den Tag legen.»