Die EU will sich vor Billigstahl aus Ländern wie China und Indien schützen. Doch auch die Schweiz ist in diese Drittstaatengruppe geraten. Nun drohen hohe Zölle auf Stahl von Swiss Steel.
Mit Schutzzöllen auf Stahl und Aluminium wollen die USA Billigstahlhersteller aus China vom US-Markt fernhalten. Doch die amerikanischen Schutzzölle sorgen nun ausgerechnet beim Luzerner Spezialstahlhersteller Schmolz + Bickenbach (S+B) für Kopfzerbrechen. Grund dafür sind nicht die US-Zölle, die sich kaum auf den Gruppenumsatz von S+B auswirken, vielmehr sind es die Gegenmassnahmen der Europäischen Union. Die EU befürchtet nämlich, dass chinesischer Billigstahl in die EU umgeleitet wird, da der US-Markt mit hohen Zöllen geschützt ist.
Um die eigene Industrie vor einer Stahlflut aus China zu schützen, hat die EU deshalb im Juli provisorische Schutzzölle auf Stahl aus Drittstaaten wie China, Russland oder Indien erlassen. Für diese Drittstaaten gilt derzeit eine gesamthafte Importquote. Bei Erreichen des Kontingents werden Zölle in der Höhe von 25 Prozent fällig. Die EU hat die Schutzmassnahmen am 19. Juli für vorläufig maximal 200 Tage in Kraft gesetzt.
Schmolz + Bickenbach müsste das alles gar nichts kümmern. Das Problem ist jedoch: Auch die Schweiz wird von der EU als Drittstaat betrachtet. Das bedeutet, dass die Schweizer Tochter von S+B, die Swiss Steel in Emmenbrücke, schon bald erhebliche Zölle zahlen müsste auf ihren Stahl, den sie grossmehrheitlich nach Deutschland, Italien und Frankreich exportiert.
Anlässlich der Präsentation der jüngsten Quartalszahlen Anfang August sprach der Luzerner Stahlkonzern von einer «erheblichen Bedrohung für die Stahlindustrie». Die möglichen Auswirkungen der von der EU eingeführten Schutzmassnahmen auf die Schweizer Aktivitäten seien zurzeit «nicht quantifizierbar». Länderquoten gibt es nicht: Das heisst, dass es keine Rolle spielt, ob China, Indien, die Schweiz oder ein anderer Nicht-EU-Staat den Stahl in die EU importiert. «Wenn das Kontingent voll ist, ist es voll», sagt S+B-Sprecher Ulrich Steiner. Es gilt also quasi das Prinzip «wer zuerst kommt, mahlt zuerst». In Emmenbrücke weiss man derzeit schlicht nicht, wie lange man noch von hier aus die EU beliefern kann, ehe die von der EU definierte Importquote ausgeschöpft ist. Es könnte jeder Produzent versucht sein, raschmöglichst noch Mengen in die EU zu bringen und Lager aufzubauen, damit kein Schutzzoll fällig wird. «Niemand weiss, wann die Quote ausgeschöpft sein wird», sagt Steiner.
Sind die Kontingente einmal ausgeschöpft, werden auf Exporte aus Emmenbrücke in die EU 25 Prozent Zoll erhoben. «Ob diese Zölle von den Kunden dann ganz oder teilweise getragen werden, hängt von vielen Faktoren ab», erklärt Steiner. Eine reale Gefahr für den Standort Emmenbrücke ist zum Beispiel, dass die Kunden aufgrund der Verunsicherung Aufträge stoppen. Allerdings ist es für langjährige Kunden – etwa aus der Autoindustrie – gar nicht so einfach, auf die Schnelle auf einen anderen Hersteller auszuweichen. Trotzdem: «Es gilt, diesbezüglich bald Klarheit zu schaffen», sagt Steiner. Die Konzernzentrale in Luzern wie auch die Geschäftsleitungen des Stahlkochers Swiss Steel und des Verarbeiters Steeltec in Emmenbrücke seien in engem Kontakt mit der Schweizer Regierung, dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), aber auch den EU-Behörden sowie dem europäischen Branchenverband Eurofer.
Bemühungen, die Schweiz aus der Drittstaatengruppe herauszuhalten, sind bislang gescheitert. Die Schweiz habe mehrfach bei der EU-Kommission sowie bei den EU-Mitgliedstaaten interveniert und sich für eine Ausnahme von EU-Schutzmassnahmen eingesetzt, sagt Fabian Maienfisch, Sprecher beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Man verlange, dass die Schutzmassnahmen so ausgestaltet werden, dass sie den Handel zwischen der Schweiz und der EU nicht einschränken.
In Brüssel findet nun Mitte September ein Hearing statt, an dem die Stahlindustrie, Verbände und Exportländer ihre Interessen kundtun können. «Die Schweiz wird am Hearing teilnehmen und die Interessen der Schweizer Stahlindustrie vertreten», sagt Seco-Sprecher Maienfisch. Man stehe in dieser Angelegenheit «auf höchster politischer Ebene sowie Expertenstufe» in regelmässigem Kontakt mit der Europäischen Kommission. Ein von der Schweiz gefordertes ausserordentliches Treffen des Gemischten Ausschusses des Freihandelsabkommens Schweiz-EU werde voraussichtlich Ende September stattfinden. Zudem steht der Bundesrat im direkten Kontakt mit EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström.
Laut dem Seco wird die EU-Kommission voraussichtlich Ende 2018 oder Anfang 2019 darüber entscheiden, ob nach 200 Tagen die provisorischen in permanente Schutzmassnahmen umgewandelt werden. «Es ist zurzeit noch nicht bekannt,welchen Umfang, welche Form oder Art allfällige definitive Schutzmassnahmen einnehmen werden», so Maienfisch. Bei Swiss Steel hofft man bis dahin auf eine politische Lösung des Konflikts.