Der Tabak-Fabrikant Heinrich Villiger arbeitet seit 63 Jahren in seiner Firma und kämpft für seine Branche. Der 83-Jährige hat nicht im Sinn, als Besitzer kürzerzutreten. Er plädiert für massvolles Rauchen als eine Art Lebenskultur.
Heinrich Villiger: Möchten Sie eine Zigarre rauchen?
Die Zigarrenfabrik Villiger Söhne AG beschäftigt weltweit 1500 Mitarbeiter, davon 160 im Schweizer Werk in Pfeffikon LU, und macht einen Umsatz von 183 Millionen Euro (2012). In der Schweiz hat Villiger einen Marktanteil von 38,5 Prozent und ist damit zweitgrösster Zigarren-Händler. Der Besitzer Heinrich Villiger (83) arbeitet seit 1950 im Unternehmen. Bevor sein Bruder Kaspar Villiger Bundesrat wurde, führten sie das Unternehmen gemeinsam. Heinrich Villiger ist verheiratet und hat vier Kinder. Er wohnt in Full-Reuenthal AG und hat sein Büro im Villiger-Werk Tiengen (D). (NCH)
Nein, danke – wir sind Nichtraucher. Haben Sie heute schon geraucht?
Noch nicht. Aber wenn ich kribbelig werde, zünde ich mir eine Zigarre an.
Hat Sie Ihr Herzinfarkt vor sechs Jahren nicht abgeschreckt?
Seither rauche ich weniger. Zuvor waren es zehn Zigarren am Tag, heute darf ich auf Befehl meines Kardiologen nur noch eine rauchen.
Halten Sie sich daran?
Nein. Zwei oder drei werden es meistens ...
Sie arbeiten seit 63 Jahren in derselben Firma. Wie hält man es so lange aus?
Mithilfe meiner Frau, die gut zu mir schaut. Ausserdem ernähre ich mich praktisch nur mit Bio-Produkten und bin oft mit dem Fahrrad unterwegs. Ich schlafe jeden Tag aus, bin selten vor 10 Uhr im Büro. Dafür bleibe ich abends umso länger – vor 22.30 Uhr komme ich nie nach Hause.
Warum arbeiten Sie mit 83 überhaupt noch?
Die Firma ist mein Leben. Ich sehe meine Aufgabe darin, sie so lange wie möglich aufrechtzuerhalten – was heutzutage gar nicht so einfach ist, wenn man in einer umstrittenen Branche tätig ist. Dass wir nun unser 125-Jahr-Jubiläum feiern können, ist ein Glücksfall – schliesslich gibt es wenige Unternehmen, die so lange überleben. Und darüber hinaus in der eigenen Familie bleiben!
Mit dieser Tradition könnte nach Ihnen Schluss sein. Sind Sie auch deshalb noch in der Firma, weil keines Ihrer vier Kinder übernehmen will?
Meine vier Kinder haben sich beruflich anders ausgerichtet und sind nicht operativ im Unternehmen tätig. Ich spekuliere nun auf meine neun Enkelkinder – die älteste Enkelin ist 24 Jahre alt und studiert Betriebswirtschaft. Ich will sie aber nicht dazu zwingen.
Belastet Sie diese Ungewissheit?
Nein, denn: Wenn ich nicht mehr hier bin, habe ich keinen Einfluss mehr. Nach dem Austritt aus dieser Welt ist alles vorbei. Das ist vielen alten Leuten nicht bewusst: Man kann noch so vorsorgen und planen für die Zeit danach – die Nachfolger machen dann ohnehin, was sie wollen.
Warum sind Sie, im Gegensatz zu Ihrem Bruder Kaspar, nie in die Politik eingestiegen?
Diese Frage hat sich für mich nie gestellt. Und auch Kaspar schlug mehr durch Zufall als durch Absicht eine politische Karriere ein. Als mein Onkel altershalber aus dem Grossen Rat zurücktrat, folgte Kaspar in seine Fussstapfen. Dann kandidierte er für den Nationalrat, war erster Ersatz – und konnte nachrutschen.
War es für Ihr Geschäft von Vorteil, dass Ihr Bruder Bundesrat war – und der Name Villiger somit landesweit in aller Munde?
Er wurde ja nicht von heute auf morgen Bundesrat, sondern kletterte die Leiter langsam empor. Darum entstand daraus kein spürbarer Werbeeffekt. Für mich begann eine schwierige Phase: Ich verlor einen mitarbeitenden Partner und musste gleichzeitig seine 50-prozentige Beteiligung am Unternehmen übernehmen, da ein Bundesrat keine persönlichen Interessen in der Industrie haben darf. Für die Finanzierung musste ich Kredite aufnehmen. Ich brauchte fast 20 Jahre, um sie zu amortisieren. Dafür bin ich nun Alleininhaber mit viel Spielraum in der Führung.
Sie machen, was Sie wollen?
Nicht ganz. Ich habe einen Verwaltungsrat, der mich beratend unterstützt. Aber in unserer Wirtschaft hat schliesslich immer der Aktionär das letzte Wort.
Das Rauchen wird mehr und mehr eingeschränkt. Wie wirkt sich das auf Ihr Geschäft aus?
Wenn es Sie nicht stört, möchte ich jetzt doch eine Zigarre rauchen. (Holt eine Zigarre aus der Kiste und zündet sie an.) Also: Der Druck der Gesundheitsindustrie auf die Tabakbranche wird zunehmend stärker. Unserer Branche geht es mit den Rauchern wie dem Pfarrer mit den Gläubigen: Es werden immer weniger. Der Raucheranteil an der Weltbevölkerung ist abnehmend. Aber weil diese wächst, gleicht sich das wieder aus. Insgesamt wird es aber immer schwieriger, den Kopf über Wasser zu halten.
Warum?
Die Tabakindustrie muss dem Staat mehr Tabaksteuer abgeben, als sie für sich behalten kann. Sie ist damit der Steuer-Eintreiber für einen stillen Partner, den Staat. Wird jedoch an der Steuerschraube zu stark gedreht, weicht der Raucher auf billigere Alternativen oder auf geschmuggelte Produkte aus, zum Nachteil von beiden. Gleichzeitig bekämpfen uns die Gesundheitsbehörden dieses gleichen Staates. All diese abschreckenden Bildwarnhinweise, die wir auf die Packungen aufdrucken müssen. Diese sind europaweit nicht einmal obligatorisch, und trotzdem meinte der Musterknabe Schweiz, er müsse alle Tabakprodukte damit verschandeln.
Sie reden, als hätte sich die Schweiz gegen die Tabakindustrie verschworen.
Nicht so direkt, aber es ist tatsächlich schizophren: Wir spülen dem Staat jedes Jahr Millionen von Franken in die Kasse, und gleichzeitig bekämpft er uns. Dabei sind doch die Bürger – also wir alle – der Staat. Das betrifft aber nicht nur die Schweiz, die ganze Weltgesundheitsorganisation WHO macht extrem viel Aufhebens, weil angeblich allein in der EU 700 000 Menschen jährlich wegen des Rauchens sterben. All das Elend in Drittwelt-Ländern ist ihnen egal – die WHO und die EU interessieren sich nur dafür, wie viel Prozent der Packung mit Warnhinweisen bedeckt sein sollen.
Wollen Sie denn bestreiten, dass Rauchen schädlich ist?
Natürlich ist Rauchen nicht gesund. Aber es ist alles eine Frage des Masses. Zigarren gehören zu unserer Lebenskultur. Bei allem Respekt für die Nichtraucher: Wir Raucher werden langsam wie in einem Zoo ausgestellt. Aber klar: Wenn jemand 50 Jahre Kette raucht, muss er sich nicht wundern, dass sich das rächt – ich hatte ja auch einen Herzinfarkt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Ihrer Firma?
Bereits an unserem 90-Jahr-Jubiläum wurden wir gefragt, warum wir ein solches Jubiläum feiern. Mein Bruder antwortete scherzhaft: «Weil ich nicht sicher bin, ob wir das 100. noch erleben.» Was 1978 ein Scherz war, ist heute bitterer Ernst. Die Generaldirektorin der WHO hat vor kurzem erklärt, dass sie bis Mitte dieses Jahrhunderts eine rauchfreie Gesellschaft anstrebt. Da wird sich die Frau aber noch die Zähne ausbeissen.
Wird das Unternehmen vielleicht bereits unter Ihrer Führung verkauft?
Das ist ausgeschlossen. Im Zeitraum, der für mich überschaubar ist, werden wir überleben. Doch der Druck zur Grösse nimmt immer stärker zu, für uns mittelständische Unternehmen wird es immer schwieriger.
Auch weil Junge kaum Zigarren rauchen?
Die jungen Leute rauchen tatsächlich keine Zigarren, sondern Zigaretten. Das ist zwar schlecht für unser Geschäft, verleiht uns in der Gesundheits-Debatte dafür einen besseren Stand. Wir zielen nicht explizit auf die Jungen ab, denn es schickt sich nicht, sie zum Rauchen zu verleiten.
Sie kündeten kürzlich an, innert der nächsten drei Jahre das Geschäft zu verlassen.
Das war ein Scherz! Nur eine Anspielung auf den Papst, der im Alter von 86 zurücktrat. Ich habe kein Datum ins Auge gefasst und werde es vorerst auch nicht tun.
Könnten Sie überhaupt ohne das Geschäft leben?
Vielleicht schon, aber die Frage stellt sich momentan gar nicht. Mir gefällt die Arbeit und es geht mir gut genug, um die Geschicke der Firma weiterhin zu leiten.
Ihre Frau stört das nicht?
Sie freut sich, wenn ich zu Hause bin – auch wenn ich dort nicht viel Zeit verbringe. Wir sind schon seit 55 Jahren verheiratet, das ist heutzutage eine Seltenheit.
Wie schafft man das?
Durch gegenseitiges Nachgeben. Bei gutem Willen ist das kein Problem. Die grösste Sorge meiner Frau besteht darin, dass ich sie überlebe und dann noch irgendein Huschi heiraten könnte (lacht).