Krankenkassen - versuchen abgangswillige Kunden dazu zu zwingen, ein weiteres Jahr die teuren Prämien zu bezahlen - auch mit unrechtmäsigen Mitteln.
Der Schock kam mit Ansage: Schweizer Krankenkassen erhöhten auf 2010 ihre Prämien um bis zu 20 Prozent. Dies führte vor allem bei teuren Kassen zu einem Kundenexodus. Um den Verlust der Prämiengelder einzudämmen, versuchen jetzt einzelne Versicherer mit unerlaubten Mitteln den Abgang ihrer wechselwilligen Kunden zu verhindern - und gehen dabei folgendermassen vor: Löst ein Prämienzahler den Vertrag mit seiner Krankenkasse fristgerecht auf, begleicht aber seine ausstehenden Rechnungen nicht bis spätestens 31.Dezember, und erhält die Zahlungserinnerung bis zum 30. November, darf die Krankenkasse die Kündigung für ungültig erklären. Die Krankenversicherungsverordnung sieht allerdings auch vor, dass die Kündigung trotzdem rechtskräftig ist, wenn der Anbieter den Konsumenten nach diesem Stichtag die Zahlungserinnerung zugestellt hat.
Ombudsmann spricht von Missbrauchsfällen
Jetzt zeigen Recherchen der Online-Ausgabe dieser Zeitung, dass einzelne Kassen trotz klarer Rechtslage bei vielen Kunden ein weiteres Jahr auf den Verträgen bestehen. «Wir stellen fest, dass verschiedene Versicherer anhand ihrer Datenbank rückwirkend prüfen, ob Ende Jahr noch Ausstände bestehen, die einen Kassenwechsel verhindern», bestätigt Rudolf Luginbühl von der Ombudsstelle für Krankenkassen.
Inzwischen lägen der Ombudsstelle gegen 100 solcher Fälle vor - bei der Mehrheit handelt es sich um Missbrauch der Krankenkassen. «Wurden die Kunden für die Ausstände rechtzeitig gemahnt, ist das in Ordnung. Stellen wir fest, dass sich Missbräuche bei einer Kasse häufen, weisen wir diese ausdrücklich darauf hin und verlangen eine Erklärung», sagt Luginbühl.
Auch die Sanitas - welche im hohen Wechselmarkt wachsen konnte - stellt diese Entwicklung fest. «Es kommt vor, dass Neukunden nicht aufgenommen werden können. Bei uns sind mehrere hundert Kunden betroffen. Die Anzahl und das Prämienvolumen lassen sich aber nicht genau beziffern,» sagt Sanitas-Sprecherin Isabelle Vautravers. Wie viele Kunden zu Unrecht bei ihrem bestehenden Anbieter bleiben mussten, lasse sich ebenfalls nicht nachvollziehen.
Helsana beging «Fehler»
Welche Krankenkassen sich nicht an geltende Gesetze halten, wollte Luginbühl aus vermittlungstaktischen Gründen nicht sagen. Allerdings liegen der Redaktion Informationen vor, wonach vor allem die Helsana-Gruppe unrechtmässig vorgeht. Diese spricht von einem Fehler, als sie mit den Fakten konfrontiert wurde. «Bei der Abwicklung einer Reihe von Kündigungen ist uns ein Fehler unterlaufen. Kündigungen von Kunden mit unproblematischen Ausständen sind fälschlicherweise auf dem Stapel ‹nicht kündbar› gelandet. Wir wurden auf diesen Fehler aufmerksam gemacht, haben ihn sofort behoben und uns für die Fehlleistung entschuldigt», sagt Helsana-Sprecherin Claudia Wyss. Die Betroffenen würden per 31.Dezember aus dem Vertrag entlassen.
Viele Prämienzahler sind sich der Rechtslage nicht bewusst oder wurden nicht darüber informiert. Dies kann für Kunden gravierende finanzielle Konsequenzen haben. «Muss jemand bei der alten Kasse bleiben, zahlt er höhere Prämien weiter. Dabei kann die Differenz bei Familien zwischen den günstigsten und der teuersten Kasse bis zu 500 Franken pro Monat ausmachen,» sagt Luginbühl.
Im Zuge dieser «Fehlleistungen» rät Luginbühl den Konsumenten zu prüfen, ob sie wirklich vor dem 30. November eine Mahnung erhielten. Traf diese nach dem Stichtag ein, bleibt die Kündigung rechtskräftig; die übrigen Fälle müssen ein Jahr bei der alten Kasse bleiben. Diesen Kunden bestätigt Luginbühl, dass sie die bereits einbezahlten Prämien bei der neuen Krankenkasse zurückfordern können, da die Grundversicherung nicht doppelt abgeschlossen werden kann.