Immobilien
Ein Gerichtsurteil könnte Tausenden Libor-Hypothekarnehmern Geld bringen

Bei Libor-Hypotheken beträgt der Basiszins immer mindestens null Prozent. Das haben einige Banken aber vertraglich zu spät festgehalten. Nun könnten Kunden Rückforderungen beantragen.

Maurizio Minetti
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Die Überbauung Rigiblick in Reussbühl.

Die Überbauung Rigiblick in Reussbühl.

Bild: Pius Amrein
(27. April 2021)

Viele Haus- und Wohnungsbesitzer greifen heute zu einer Festhypothek, weil die Zinsen selbst für längere Laufzeiten historisch tief sind. Wer aber mehr Risiken eingehen will und eine sogenannte Geldmarkthypothek wählt, bezahlt in der Regel noch weniger für den Hauskredit. In diesem Fall wird der Schuldzins in kurzen Perioden an die jeweilige Marktsituation angepasst. Und die aktuelle Marktsituation bedeutet: Negativzinsen. Die Banken haben allerdings eine Art Sicherheitsmarge eingebaut, die ihrer Meinung nach von den Negativzinsen nicht berührt wird – ansonsten hätten die Kunden beim Abschluss einer Libor-Geldmarkthypothek im Extremfall sogar Geld von den Finanzinstituten bekommen.

Als die Zinsen Anfang 2015 fielen, informierten einige wenige Banken ihre Kunden zwar in periodischen Bestätigungsschreiben über die aktuellen Zinsen, liessen die Rahmenverträge aber unangetastet. Die Kunden stimmten den Bedingungen sozusagen stillschweigend zu. Nun zeigt ein Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, dass diese Praxis der Banken möglicherweise nicht korrekt war. Über dieses «Urteil mit Sprengkraft» hat die NZZ am Dienstag berichtet.

Für das Obergericht stellt das Bestätigungsschreiben nämlich keine vertragliche Vereinbarung dar. Ausschlaggebend sei vielmehr, ob sich die Parteien in einer separaten, spezifischen Vereinbarung auf einen minimalen Basiszins geeinigt hätten. Liegt keine Vereinbarung über einen Basiszins von mindestens null Prozent vor, haben die Kunden also rückwirkend gesehen zu viel bezahlt.

Das Zürcher Urteil wurde zwar nicht angefochten und ist damit rechtsgültig. Das Obergericht hat den Fall aber an das Bezirksgericht zurückgewiesen. Zudem könnten Gerichte in anderen Kantonen oder das Bundesgericht zu einem anderen Ergebnis kommen.

Bankenprofessor setzt ein Fragezeichen

Schweizweit dürften laut NZZ mehr als 200'000 private Haushalte und Unternehmen potenziell vom Urteil betroffen sein. Im Einzelfall könnte es um mögliche Rückforderungen von Beträgen im fünfstelligen Bereich gehen. Betroffen seien grundsätzlich Libor-Hypotheken, die vor dem Januar 2015 abgeschlossen wurden und bei denen der Vertrag nicht bereits eine Klausel enthielt, welche einen Basiszins von mindestens null festschreibt.

Bankenprofessor Maurice Pedergnana von der Hochschule Luzern hinterfragt allerdings auf Anfrage die Zahl von potenziell 200'000 Betroffenen. Seiner Meinung nach liegt die Zahl viel tiefer. Er glaubt, dass die meisten Banken Anfang 2015 schnell auf die neue Situation reagiert und ihre Rahmenverträge angepasst haben. «Ausserdem signalisiert der Kunde ja mit der regelmässigen Bezahlung der Zinsschuld, dass er mit der Belastung stillschweigend einverstanden ist.» Hätte damals ein Kunde darauf bestanden, weniger als null Prozent Zins zu bezahlen, wäre ihm durch die Bank gekündigt worden, ist Pedergnana überzeugt. Dieser Fall zeige aber einmal mehr, dass Banken Wert darauf legen sollten, auch bei kleinsten Vertragsänderungen die Unterschrift ihrer Kunden zu verlangen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Tatsächlich zeigt eine Umfrage unserer Zeitung bei diversen Banken, dass so gut wie alle angefragten Finanzinstitute den Rahmenvertrag rechtzeitig angepasst haben. Mehrere Banken wie etwa die Zuger Kantonalbank schreiben auf Anfrage, dass sie bereits vor 2015 einen Basiszins von unter null vertraglich ausgeschlossen haben. So sagt eine UBS-Sprecherin: «Unsere Libor-Hypotheken-Standardverträge enthalten seit Januar 2012 eine Vertragsbestimmung, die ausdrücklich festhält, dass der Zinssatz nie kleiner als Null sein kann.» Dieselbe Bestimmung sei auch in Verträgen mit dem Libor-Nachfolger Saron enthalten, so die UBS-Sprecherin. Auch Raiffeisen hat die Verträge bereits 2012 angepasst, bei der Credit Suisse oder der Luzerner Kantonalbank war das schon ein Jahr vorher der Fall. Weitere Banken analysieren das Urteil und prüfen, ob es allenfalls Auswirkungen hat.

Einige Banken verweisen darauf, dass es sich nicht um das erste Urteil in diesem Zusammenhang handelt. Die Rede ist von einer Einzelfallentscheidung, die nicht abschliessend geklärt sei.