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Hoffnung in der Corona-Forschung: Mainzer Forscher wollen den weltweit ersten Corona-Impfstoff auf den Markt bringen. Die Wirksamkeit des Präparats soll 90 Prozent betragen. Experten zeigen sich erfreut, warnen aber vor zu hohen Erwartungen.
Sorgt ein vergleichsweise kleines, deutsches Pharmaunternehmen für den grossen Durchbruch in der Corona-Impfstoff-Forschung? Die Zwischenergebnisse, die das Mainzer Unternehmen Biontech gestern per Pressemitteilung vorgelegt hat, klingen vielversprechend. Demnach bietet der im Mainzer Labor seit Januar dieses Jahres entwickelte Impfstoff mit der Bezeichnung «BNT162b2» einen 90-prozentigen Schutz vor der Krankheit Covid-19. Schwere Nebenwirkungen sind laut dem Unternehmen in der dritten und letzten, seit Sommer laufenden Testphase mit mehr als 43 500 Testpersonen nicht registriert worden.
Biontech hat sich wegen mangelnder Erfahrung und Kapazitäten in der globalen Impfstoff-Produktion im Frühjahr mit dem amerikanischen Pharma-Riesen Pfizer zusammengetan. Biontech und das zur Hälfte an den Entwicklungskosten beteiligte US-Unternehmen wollen voraussichtlich in der nächsten Woche die Zulassung des Impfstoffes bei der US-Arzneimittelbehörde FDA beantragen. Eine Zulassung eines Impfstoffes nach einer Entwicklungszeit von weniger als einem Jahr wäre bahnbrechend. Normalerweise benötigt die Entwicklung eines Impfstoffes acht bis zehn Jahre.
Obwohl es sich um ein Zwischenergebnis einer letzten Testphase handelt, zeigte sich der federführende Entwickler des Impfstoffes, Biontech-Chef Ugur Sahin, gegenüber Reuters überzeugt, dass im Kampf gegen Corona ein Durchbruch gelungen ist: «Das ist die erste Evidenz, dass Covid-19 durch einen Impfstoff beim Menschen verhindert werden kann.» Die hohe Wirksamkeit zeige, dass «Corona kontrolliert werden» könne. «Letztlich ist es wirklich ein Sieg der Wissenschaft», fügte Sahin hinzu. Laut Biontech und Pfizer muss man sich innerhalb von drei Wochen zwei Mal mit dem neuartigen RNA-Impfstoff impfen lassen. Der Impfschutz soll laut Angaben der Entwickler eine Woche nach der zweiten Injektion erreicht sein.
Allerdings ist die Studie noch nicht zu Ende geführt. Ingesamt wurden für die Zwischenanalyse die ersten 94 bestätigten Corona-Fälle unter die Lupe genommen. Die Studie ist erst abgeschlossen, wenn unter den Versuchspersonen 164 bestätigte Corona-Fälle aufgetreten sind. Dann wird untersucht, wer von den Erkrankten den Impfstoff erhalten hatte und wer bloss ein Placebo. Nicht zu erfahren war gestern, wie lange der Impfschutz anhält. Auch etwaige Nebenwirkungen müssen nach Zulassung über einen Zeitraum von zwei Jahren beobachtet werden.
In der dritte Novemberwoche wollen Biontech und Pfizer bei der US-Arzneimittelbehörde FDA die Zulassung für den Impfstoff beantragen, noch vor Ende Jahr könnte eine Notzulassung erlassen werden. Noch in diesem Jahr sollen 50 Millionen Impfstoff-Dosen bereitgestellt werden, 2021 rechnen die beiden Pharmafirmen mit 1,3 Milliarden Impfdosen.
Eine Zulassung durch die FDA macht wahrscheinlich, dass das Präparat auch in Europa zeitnah erhältlich sein wird. Der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) betonte, dass eine «zeitliche Differenz» zwischen amerikanischer und europäischer Zulassung entstehen könne, doch gehe er von einer parallelen Beantragung bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA aus. Die Bundesregierung wolle keine falsche Versprechungen machen, sagte Spahn. Man rechne vorsichtig damit, dass der Impfstoff erst im ersten Quartal 2021 zur Verfügung stehen werde.
Die Zwischenergebnisse von Biontech und Pfizer werden in Fachkreisen positiv beurteilt. «Ich halte die vorgestellten Ergebnisse für sehr ermutigend», sagt der Virologe Stephan Becker gegenüber der «Süddeutschen Zeitung». Ähnliche Töne schlägt der Infektiologe Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln gegenüber der «Welt» an: «Ich denke, das wird unseren Umgang mit der Pandemie entscheidend beeinflussen.»
Die Studie sorgte indes auch für Zurückhaltung bei Fachleuten. Es müsse darauf hingewiesen werden, «dass der Beobachtungszeitraum für relevante Impfnebenwirkungen noch zu kurz ist», so Leif-Erik Sanders von der Berliner Charité. Unklar ist zudem, wie effektiv der Impfstoff in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen wirkt. So fehlt die Angabe, ob das Präparat bei Risikogruppen genauso wirksam ist wie bei gesunden und jüngeren Menschen.
Laut dem «Spiegel» durchlaufen derzeit weltweit 48 Vakazine klinische Studien, 11 davon befinden sich in der Schlussphase. Darunter befindet sich auch der Impfstoff des US-Biotech-Unternehmens Moderna, mit dem die Schweiz einen Vertrag über den Bezug von 4,5 Millionen Impfdosen abgeschlossen hat. Vor wenigen Wochen teilte das Unternehmen mit, dass der Impfstoff frühestens Ende November zur Verfügung stehen wird.