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Wirtschaft
Nach der Flugzeug-Entführung durch Weissrussland könnte Stadler-Patron Peter Spuhler eine Fabrik in die Ukraine verlegen.
Nach der erzwungenen Landung eines Ryanair-Flugzeugs in Minsk und der Inhaftierung des Passagiers und weissrussischen Oppositionellen Roman Protasewitsch versucht die EU, Diktator Alexander Lukaschenko mit Sanktionen zur Raison zur bringen. So hat Brüssel jüngst den EU-Luftraum für die weissrussische Staatsairline Belavia gesperrt. Weitere Sanktionen könnten folgen.
Was die Frage aufwirft, ob nun auch der Druck auf den grössten Schweizer Investor im Land steigt, den Schienenfahrzeugbauer Stadler. Das Unternehmen von Peter Spuhler betreibt seit Ende 2014 eine Fabrik in Fanipol nahe Minsk und beschäftigt dort mittlerweile über 1500 Mitarbeitende. Insgesamt wurden über 100 Millionen Franken in den Standort investiert, der zu Stadlers grössten zählt. Nichtregierungsorganisationen haben Spuhler wiederholt aufgefordert, sich von Lukaschenko zu distanzieren. Spuhler kontert jeweils, er mische sich im Ausland nicht in die Politik ein, er stelle Züge her, die dem Volk zugute kämen, doch allfällige internationale Sanktionen gegen Weissrussland würde er selbstverständlich befolgen, falls sie Stadler beträfen.
Nun wirft die Nachrichtenagentur Interfax Ukraine eine Spekulation auf, die wie ein Ausweg aus Spuhlers Dilemma klingt. Sanktionen gegen Weissrussland könnten die dortige Produktion Stadlers lahmlegen, schreibt Interfax. Und: «In dieser Situation sieht es so aus, als ob die Stadler-Konzernleitung beschlossen hat, einen Produktionsstandort in der Ukraine zu schaffen, um die Kapazitäten des weissrussischen Werks hierhin zu verlagern.»
Nähere Hinweise, wie handfest diese Spekulation sein könnte, liefert Interfax nicht. Fakt ist: Spuhler erwägt seit einiger Zeit den Aufbau eines Produktionsstandorts in der Ukraine. Dazu hat er vor einem Monat mit dem Chef der Ukrainischen Eisenbahnen im Beisein von zwei Ministern eine entsprechende Absichtserklärung unterzeichnet. Diese ist noch ziemlich unverbindlich und unter anderem an die Bedingung geknüpft, dass Stadler bei laufenden Projekten für die Modernisierung und den Ausbau des S-Bahn-, U-Bahn- und Regionalverkehrs in der Ukraine zum Zug kommt. Dafür wiederum verlangt die Regierung in Kiew einen lokalen Wertschöpfungsanteil.
Über die Verlagerungsspekulation von Interfax sagt Stadler-Sprecher Fabian Vettori: «Eine Verlegung unseres weissrussischen Werks ist kein Bestandteil der Verhandlungen mit der Ukraine, und eine Verlegung ist auch nicht geplant.» Klar ist: Eine Verlagerung wäre eine logistische und technische Herkulesaufgabe. Das Werk bei Minsk produziert nicht nur Schienenfahrzeuge für Weissrussland, sondern hat auch schon Triebzüge und Strassenbahnen für Russland, Aserbaidschan, Georgien oder Bolivien geliefert. Für die wirtschaftlich gebeutelte Ukraine und ihre marode Industrie wäre ein solches Werk freilich ein Segen.