Industriepolitik
Zurück in die Zukunft: England erwägt Rückkehr zum Untertagabbau von Kohle

Fünf Monate nachdem Boris Johnson am Klimagipfel von Schottland der Kohleenergie die Totenglocke geläutet hat, könnte sich London zu einer Kehrtwende entschliessen.

Daniel Zulauf Jetzt kommentieren
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Danach war Schluss: Minenarbeiter verlassen nach ihrer letzten Schicht am 18. Dezember 2015 die Mine von Knottingley, die danach geschlossen wurde.

Danach war Schluss: Minenarbeiter verlassen nach ihrer letzten Schicht am 18. Dezember 2015 die Mine von Knottingley, die danach geschlossen wurde.

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Die britische Regierung will in den nächsten Wochen über das Gesuch einer Betriebsbewilligung für ein neues Steinkohlebergwerk in der Grafschaft Cumbria im Nordwesten Englands entscheiden. Nach Informationen der regierungsnahen Zeitung «Sunday Telegraph» stehen die Chancen gut, dass der zuständige Minister Michael Gove schon im Mai grünes Licht für den Bau der ersten Kohlemine seit über 30 Jahren gibt.

Ersatz für Steinkohle aus Russland

Trudy Harrison lobbyiert für den Wiedereinstieg in den Kohleabbau.

Trudy Harrison lobbyiert für den Wiedereinstieg in den Kohleabbau.

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Die konservative Parlamentsabgeordnete Trudy Harrison aus dem Wahlbezirk Copeland lobbyiert schon lange für das Projekt, das seit 2014 mit der finanziellen Hilfe einer australischen Investmentgesellschaft vorangetrieben wird. Der von Betreibergesellschaft Woodhouse Colliery abzubauende Rohstoff soll in der Form von Koks ausschliesslich für die Herstellung von Stahl in Grossbritannien eingesetzt werden. Harrison sagt: Ohne Koks gibt es keine Stahlindustrie.

Das Argument hat seit der russischen Invasion in der Ukraine stark an Zugkraft gewonnen. Vor Kriegsbeginn importierte die britische Stahlindustrie 40 Prozent ihres Kohlebedarfs aus Russland. Seither führt die Industrie ihren Bedarf von sechs Millionen Tonnen pro Jahr vollumfänglich aus den USA und aus Australien ein. Die neue Mine könnte die Hälfte dieses Bedarfs abdecken, sagt Gail Mulvey, die an der Universität von Cumbria über Regionalökonomie forscht.

Ein Wettbewerbsvorteil für die Stahlindustrie

Ökonomin Gail Mulvey von der Universität in Cumbria.

Ökonomin Gail Mulvey von der Universität in Cumbria.

ZVG

Die britische Stahlindustrie hat zwar längst nicht mehr die gleiche wirtschaftliche Bedeutung vergangener Jahrzehnte. Doch sie produziert noch immer sieben Millionen Tonnen Stahl pro Jahr und sie beschäftigt weiterhin gegen 40’000 Leute, die meisten in ökonomisch benachteiligten Regionen. Die Nutzung der beträchtlichen Steinkohlevorkommen in Grossbritannien wären für die nationale Stahlindustrie ein Wettbewerbsvorteil, sagt Mulvey.

In Copeland gibt es offenbar eine breite Unterstützung für das Minen-Projekt. Die Betreibergesellschaft verspricht 500 direkte und 1500 indirekte Jobs in der Region und den Miners winken vergleichsweise hohe Löhne zwischen 40’000 und 60’000 Pfund pro Jahr. Es lägen bereits 1600 Bewerbungen vor, schreibt Woodhouse Colliery auf der Webseite.

Miner-Jobs locken mit hohen Löhnen

Der mittlere Lohn in Grossbritannien (Median) liegt aktuell bei 31’400 Pfund, was ziemlich genau dem Mittelwert der Grafschaft Cumbria entspricht. In Copeland liegt der Median-Lohn allerdings bei 49’800 Pfund, was Ökonomin Mulvey mit der Existenz zweier Hochlohngesellschaften in der Region erklärt: Die Atomkraftanlage Sellafield beschäftigt 12’000 überdurchschnittlich gut bezahlte Mitarbeitende und die private British Aerospace Systems betreibt in der Region eine Werft für U-Boote mit 10’000 Leuten. Im Unterschied zu früheren Zeiten scheint es in Copeland somit keinen dringenden Bedarf an Miner-Jobs mehr zu geben. Mit drei Prozent liegt die Arbeitslosenquote in der Region deutlich unter dem britischen Durchschnitt (4,2 Prozent).

Tony Bosworth kämpft gegen den Wiedereinstieg in den Kohleabbau.

Tony Bosworth kämpft gegen den Wiedereinstieg in den Kohleabbau.

ZVG

In Cumbria und im Norden Englands seien neue gut bezahlte Arbeitsplätze zwar hochwillkommen, sagt Tony Bosworth von der Umweltorganisation «Friends of the Earth». Aber das Land brauche «sicher keine neuen Miner-Jobs». Der Aufbau einer neuen Infrastruktur zum Abbau fossiler Energieträger sei «das letzte, was wir tun sollten», sagt der Kampagnenaktivist.

Die Regierung riskiert ihre Glaubwürdigkeit

Grosse Versprechen: Boris Johnson am Klimagipfel in Glasgow.

Grosse Versprechen: Boris Johnson am Klimagipfel in Glasgow.

Christopher Furlong / Getty Images Europe

Erst im November des vergangenen Jahres hatte Boris Johnson am Klimagipfel in Schottland die ehrgeizigen Ziele Grossbritanniens zur Schaffung einer klimaneutralen Wirtschaft dargelegt. Die 200 an dem Gipfel beteiligten Länder einigten sich auf einen schrittweisen Ausstieg aus der Kohleenergie. «Glasgow hat die Totenglocke für die Kohleenergie geläutet», sagte Johnson und versprach mit gutem Beispiel voranzugehen.

«Die Eröffnung eines neuen Kohlebergwerks wäre der Glaubwürdigkeit der britischen Klimapolitik sicher abträglich», sagt Forscherin Gail Mulvey. Längerfristig sieht sie sogar mögliche Nachteile für die lokale Stahlindustrie. Diese ist gerade weltweit im Begriff, Koks durch andere Energieressourcen zu ersetzen. Diese Bemühungen könnten durch eine allzu leichte Verfügbarkeit des Rohstoffes unterlaufen werden, gibt sie zu bedenken.

Die grosse Gegnerin der Gewerkschaften: Die frühere Premierministerin Margaret Thatcher bei einem Besuch in einer Mine.

Die grosse Gegnerin der Gewerkschaften: Die frühere Premierministerin Margaret Thatcher bei einem Besuch in einer Mine.

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Keine Rückkehr zu den Zeiten vor Maggie Thatcher

Eine Rückkehr des Kohlebergbaus zu den alten Zeiten als die Branche noch ein zentraler Faktor der britischen Wirtschaft darstellte ist aber sicher nicht mehr zu erwarten. 1920 zählte der Sektor noch gegen 1,2 Millionen Beschäftigte. 1984, als sich die damalige Regierungschefin Margaret Thatcher und die Gewerkschaften die historische Schlacht um den Kohlebergbau lieferten, waren noch immer gegen 250’000 Kumpels in dem Sektor tätig.

Nach dem Sieg der Thatcher-Regierung ging es mit der Branche steil bergab. Zum Zeitpunkt der grossen Privatisierung im Jahr 1994 lag die Zahl der Beschäftigten schon weit unter 50’000. Aktuell zählt die Branche noch rund 1000 Beschäftigte, wobei die letzte Untertagmine 2015 geschlossen wurde.

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