Startseite
Wirtschaft
Big Valora is watching you: Am Zürcher Hauptbahnhof geht der Kiosk-Konzern neue Wege beim Verkauf von Kaffee und Zigaretten. Zum Einsatz soll eine Technologie kommen, die bereits in den USA für Aufsehen sorgt.
„Wie immer ein Espresso mit Zucker?“ Stammkunden sind es sich gewohnt, vom Personal in ihrem Lieblingscafé erkannt zu werden. Doch ob man sich das auch von Computern in der Öffentlichkeit wünscht, ist eine andere Frage. Der Kioskkonzern Valora glaubt: Ja. Schon bald will er in seinem neuen Mini-Supermarktformat „Avec X“ Kaffee- und Zigarettenautomaten testen, die das Gesicht der Kunden scannen und ihnen personalisierte Kaufempfehlungen machen.
Ein genaues Datum für den Test nannte Valora-Chef Michael Mueller bei der gestrigen Pressekonferenz im Zürcher Hauptbahnhof nicht. Dort stellte Valora nebst "Avec X" auch das Format "Avec Box" vor. Auf Nachfrage von CH Media betont Mueller jedoch, dass man keine Gesichter ohne ausdrückliche Einwilligung der Kunden analysieren werde. Der Datenschutz werde stets eingehalten. Wie dies technisch umgesetzt werden soll, sagt Mueller nicht.
Allerdings ist der Valora-Konzern, zu dem auch die Ketten Brezelkönig, Press&Books und Caffè Spettacolo gehören, ein gebranntes Kind. 2016 führte ein Bericht dieser Zeitung zu lauter Kritik an einem Test des Konzerns, bei dem Valora seine Kioske im Hauptbahnhof mit Sensoren ausrüstete. Diese werteten Daten von den Smartphones der Passanten aus und verfolgten deren Wege.
Auch ohne Gesichtserkennung kommen die neuen „Avec X“- und „Avec Box“-Shops, die ab heute geöffnet sind, futuristisch daher. Die Türen öffnen sich nur für Kunden, welche die entsprechende App heruntergeladen und darauf ihre Identitätskarte und Kreditkarte hinterlegt haben. Mit derselben App scannt der Kunde die Strichcodes der ausgewählten Sandwiches, Waschmittel oder Getränke.
Das Anstehen an der Kasse entfällt – denn es gibt sie nicht. Die Abrechnung erfolgt beim Verlassen des Geschäfts auf dem Handy. Das Valora-Personal ist in erster Linie da, um die Regale wieder aufzufüllen und die zahlreich installierten Kameras bei der Überwachung der Kunden zu ergänzen. Auch Stichproben sind geplant, um gegen potenzielle Diebstähle vorzugehen.
Die unbemannte, rote „Avec Box“ steht vorerst nur einige Tage in der Halle des Hauptbahnhofs. Die erste fix installierte „Box“ soll im Frühjahr in Wetzikon ZH entstehen, wie Mueller sagt. Es gehe für Valora nicht darum, Stellen abzubauen. „Im Vordergrund stehen die neuen Kundenbedürfnisse, namentlich mehr Frische und längere Öffnungszeiten.“
Theoretisch könnten die neuartigen Shops 24 Stunden offen bleiben. Vorerst bleiben sie in der Nacht aber für einige Stunden geschlossen. Und während Stosszeiten am Morgen und Abend unterstützen Angestellte die Kunden beim Einkauf. Zutritt haben nur Personen die mindestens 14 Jahre alt sind, und beim Kauf von Tabakprodukten wird das Alter geprüft. Bier ist aufgrund komplizierter Auflagen laut Mueller nicht im Sortiment.
Weitere Standorte seien bereits in Planung, sagt Mueller. Ein Ziel, wie viele Filialen es mittelfristig sein sollen, will er hingegen nicht nennen. Es gelte vorerst darum, Erfahrungen zu sammeln. Den nächsten Schritt wolle man sich bei Amazon abschauen: In den „Amazon Go“-Geschäften in den USA müssen die Kunden nicht einmal mehr das Einscannen tätigen. Sensoren in den Regalen und Kameras erkennen automatisch, welche Produkte im Einkaufskorb landen. Bei der ebenfalls für 2019 angekündigten „Kiosk Box“ wird Valora diese Technologie erstmals einsetzen in Kooperation mit dem Silicon-Valley Start-up Aifi.
Das zweite Format, „Avec X“, bleibt im Gegensatz zur „Box“ längerfristig im Hauptbahnhof im Untergeschoss. Es gilt für Valora in erster Linie als Labor, um Innovationen zu testen. Dazu gehört aktuell ein Salat- und Müesli-Automat. Diese spucken individuell zusammenstellbare Kreationen aus. Und beim Kaffee- und Tabakautomaten erhält der Kunde Vorschläge basierend auf seinen früheren Einkäufen. Im Erfolgsfall sollen die Innovationen auch in anderen Avec- oder Kiosk-Filialen zum Einsatz kommen, sagt Konzernchef Mueller.
Für Valora geht es nicht zuletzt darum, für die SBB ein attraktiver Partner zu bleiben. Diese hatten letztes Jahr angekündigt, dass sie die Mietverträge für 265 Geschäfte an ihren Bahnhöfen per 2021 neu ausschreiben. Mehr als 200 davon sind heute von Valora belegt.