Girsberger Informatik hat eine Software entwickelt, die den Stromverbrauch exakt voraussagt. Das spart bei den Kunden Arbeitszeit und Energiekosten.
Steigt im Tessin die Temperatur über 25 Grad, schalten viele Bewohner und Betriebe die Klimaanlage ein. Der Griff zur Schalttafel lässt den Stromverbrauch in die Höhe schnellen. Trifft er die Elektrizitätswerke südlich des Gotthards unvorbereitet, haben sie ein Problem der gröberen Sorte: Sie müssen von ihrem Lieferanten ungeplant Ausgleichsenergie besorgen. Je nach Marktlage kann das sehr teuer werden.
Haben sich die Werke zuvor mit genügend Strom für die Klimaanlagen-spitze eingedeckt, doch das Thermometer verharrt unter der 23-Grad-Grenze, haben sie sich genauso in eine unangenehme Lage manövriert: Die Klimaanlagen bleiben ausser Betrieb, die zusätzliche zugekaufte Energie gerät zum Ladenhüter und beschert den Elektrizitätswerken ebenfalls eine hohe Rechnung. Eine Rechnung ohne wirklichen Gegenwert, da sich Strom in grossem Stil nicht speichern lässt.
Das ist der Markt, in der sich das Brunner Unternehmen Girsberger Informatik AG bewegt. «Wir haben eine sehr genaue Prognosemathematik mit einem bedienerfreundlichen Softwaresystem entwickelt», sagt Geschäftsführer und Mitinhaber Hansueli Girsberger (56). Mit seinen Softwareprodukten für Energieeffizienz erwirtschaftet das Unternehmen einen Jahresumsatz von 2,5 Millionen Franken. Die Prognose-Software wird in drei unterschiedlichen Versionen an die Elektrizitätswerke oder Wasserwerke verkauft: als so genannter Sorglos-Service, mit dem sich die Kunden täglich aus Brunnen mit den Prognosen für Strom- oder Wasserverbrauch für die nächsten sieben Tage versorgen lassen. Oder als Prognosen-Werkzeugkasten, mit dem die Mitarbeiter der Abnehmer selber einfachere Programme entwickeln und betreiben können. Oder als Hochleistungspaket für versierte Prognosemodell-Spezialisten bei den Kunden. Zu Girsbergers Prognose-Kunden zählen unter anderem die Berner Kraftwerke, die Elektrizitätswerke der Stadt Zürich, des Bezirks Schwyz, der Gemeinde Schwyz, der Region Zug, der Gemeinde Altdorf, der Stadt St. Gallen oder des Tessins. «Wir sind der einzige unabhängige Stromprognosen-Softwareentwickler in der Schweiz und gelten in dieser Sparte hierzulande als Marktführer», sagt Girsberger. Zudem beliefern die Brunner mit ihrer Energieeffizienz-Software Kehrichtverbrennungsanlagen, Fernwärme-betreiber, Wasserversorger, Industriebetriebe und sogar Banken.
Für die Stromverbrauch-Vorhersagen sind nebst den Wetterprognosen die Erfahrungswerte wichtig. Girsberger zeigt auf Stromverbrauchskurven. Im Sommer erhebt sie sich auf den Tages-diagrammen zu einem einzigen, schlanken Berg. Im Winter entsteht ein breiterer Berg, weil es am Abend schneller eindunkelt und die Lichter früher brennen. Am Wochenende bildet der Stromverbrauch keine Berge mehr, sondern bloss noch kleinere Hügel. Das verhielt sich auch am 2. August ähnlich, als viele Leute zwischen dem Nationalfeiertag und dem Wochenende eine arbeitsfreie Brücke einschoben und den Arbeitsplätzen fernblieben.
Parallel zur Prognoselinie schlängelt sich eine rote Linie, die den effektiven Stromverbrauch deutlich macht. Girsberger: «Die durchschnittlichen Abweichungen belaufen sich auf 2,5 bis 3,5 Prozent. Bei einzelnen Kunden kratzen wir an der 2-Prozent-Marke. Unsere Software ist mit sogenannt künstlicher Intelligenz ausgestattet. Dank dieser Lernfähigkeit passt sich das System selbstständig neuen Situationen an.»
Die Prognosewerte gehen bei Girsberger im Viertelstunden-Takt raus. Zu grösseren Änderungen am erwarteten Stromverbrauch kommt es oft dann, wenn extreme Wetterlagen das Land im Griff haben. Etwa im Februar 2012, als eine hartnäckige Kaltwetterperiode viele Leute auf ihre alten, längst vergessen geglaubten Elektroöfen zurückgreifen liess. Das überraschte die Stromverbrauchspropheten bei Girsberger. Die Abweichungen zwischen Prognose und tatsächlichem Verbrauch waren höher als sonst üblich.
17 Mitarbeiter sind beim Brunner Softwareunternehmer beschäftigt, 11 von ihnen sind ausgebildete Ingenieure, weitere 3 Lehrlinge. «Unser Unternehmen ist ein Exot im Talkessel Schwyz. Die meisten andern Softwarespezialisten aus dem inneren Kantonsteil arbeiten in Zürich, Zug oder Luzern», so Girsberger. Es gelang ihm zwar, Wegpendler unter anderem mit dem Hinweis auf den kurzen Arbeitsweg nach Brunnen zu lotsen. Trotzdem würden der Region zahlreiche junge Ingenieure verloren gehen, die in die Nähe ihrer Arbeitsplätze ziehen, bedauert Girsberger.