Gesundheit
Jetzt gibts auch bei Antibiotikum Lieferprobleme

Die Krise bei der Medikamentenversorgung in der Schweiz dauert an. Neben Krebsmitteln sind auch Standartmittel gegen bakterielle Infektionen nicht lieferbar. Jetzt greift man auf die Armeelager zurück.

Isabel Strassheim
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Bei der Medikamentenproduktion kommt es vermehrt zu Problemen.

Bei der Medikamentenproduktion kommt es vermehrt zu Problemen.

Keystone

Das Antibiotikum Co-Amoxicillin bekommt man dieser Tage in Schweizer Apotheken nur dank den Vorräten im Armeelager. Auch andere Medikamente sind in der Schweiz derzeit nur dank grösster Anstrengungen lieferbar oder es gibt sie – wie etwa einige Krebsmittel – einfach nicht. «Die Situation ist unverändert angespannt», sagt Enea Martinelli vom Verein Schweizerischer Amts- und Spitalapotheker zur «Nordwestschweiz».

Sandoz lässt Ursache offen

Das hat nichts mit einer Epidemie zu tun, sondern mit der Krankheit der Pharmaindustrie selbst: Sie hat zunehmend Schwierigkeiten bei der Herstellung oder Auslieferung von Medikamenten. Probleme hat etwa die Co-Amoxicillin-Herstellerin Sandoz. «Sandoz unternimmt alle notwendigen Schritte, damit die Liefersituation sich so bald wie möglich normalisiert», heisst es bei der Novartis-Tochter auf Anfrage. Die Frage nach der Ursache liess das Unternehmen zunächst unbeantwortet.

Bekannt ist jedoch, dass der Basler Pharmakonzern Novartis in einigen US-Produktionsanlagen Qualitätsprobleme hat und ein Werk sogar stillgelegt werden musste. Zudem wird bei Sandoz die Anlage zur Herstellung von sterilen Krebsmitteln im österreichischen Unterach erweitert und technisch auf den neusten Stand gebracht. Dies ist einer der Auslöser für die Engpässe bei Krebsmedikamenten. Noch immer ist unklar, wann in Unterach wieder das normale Produktionsniveau erreicht werden kann. Es sei keine «definitive Zeitangabe» möglich, so Novartis.

Auch bei Roche oder beim US-Unternehmen Pfizer kommt es immer wieder zu Lieferschwierigkeiten. Zum Teil wegen Qualitätsproblemen, zum Teil auch, weil bei der Lagerhaltung von Medikamenten, bei denen der Patentschutz ausgelaufen ist, gespart wird: Die Vorräte für die Rohstoffe sind niedrig, und fällt ein Lieferant aus, kommt es zu einem Produktionsengpass. Betroffen sind nicht nur Patienten in der Schweiz, sondern weltweit.

Im Fall von Co-Amoxicillin konnte die Schweizer Armee den Engpass überbrücken. Sie hält Antibiotika auf Vorrat. Nicht jedoch Krebsmittel oder andere Spezialpräparate. «Engpässe können sich von heute auf morgen einstellen, wie wir befürchten», sagt Cornelia Desax von der Kantonsapotheke Zürich.

Meldepflicht wird diskutiert

Weil die Lieferschwierigkeiten in den letzten Jahren nicht nur häufiger vorkommen, sondern auch immer mehr Medikamente betreffen und länger anhalten, reagiert nun die Politik. So arbeitet eine Arbeitsgruppe aus der Armeeapotheke, Swissmedic, dem Bundesamt für Gesundheit und dem Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung derzeit Vorschläge aus. Im November sollen sie dann zunächst mit den Spitälern diskutiert und dann schliesslich den Pharmafirmen vorgelegt werden.

«Es kann sein, dass eine Meldepflicht für die Pharmaindustrie über Engpässe kommt oder dass ein Austausch auf freiwilliger Basis möglich ist», sagt Ueli Haudenschild vom Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung. Es werden jedoch auch noch weitergehende Vorschläge diskutiert: «Denkbar ist, dass bei wichtigen Medikamenten, deren Herstellung für die Pharmaindustrie nicht mehr lukrativ ist, die Armee die Produktion übernehmen könnte», so Haudenschild.

In dieselbe Richtung geht ein Postulat von der Solothurner SP-Nationalrätin Bea Heim, das der Bundesrat vergangene Woche gutgeheissen hat. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Grundversorgung mit Medikamenten in der Schweiz nicht mehr bei den Pharmaunternehmen liegt, sondern vom Staat übernommen wird. Das käme dann einem Noteingriff in der Branche gleich.