Am Donnerstag gibt Peter Brabeck sein Amt als Nestlé-Präsident an seinen Nachfolger Paul Bulcke weiter. Ein über lange Zeit erfolgreicher Manager und streitbarer Kämpfer für die Wirtschaftsfreiheit verabschiedet sich aus dem internationalen Grosskonzern.
Daniel Zulauf
Für die Nestlé-Aktionäre hat Peter Brabecks bevorstehender Abgang als Verwaltungsratspräsident nur noch eine symbolische Bedeutung. Der Übergang zum Belgier Paul Bulcke ist längst eingefädelt, und mit dem Deutschen Mark Schneider sitzt auch der neue CEO schon im Sattel. Immerhin darf der 72-jährige Österreicher am Donnerstag an der Generalversammlung in Lausanne noch einen tüchtigen Schlussapplaus für die «hervorragenden und unschätzbaren Dienste» aus 50 Jahren Arbeit für Nestlé erwarten.
Brabeck hinterlässt seinen Aktionären in der Tat eine seltene Erfolgsgeschichte: Der Unternehmenswert hat sich in seiner 20-jährigen Zeit als CEO und Verwaltungsratspräsident von 55 Milliarden Franken auf 240 Milliarden Franken erhöht. Jahr für Jahr wurden Dividenden in Milliardenhöhe ausgeschüttet. Allein in den nächsten Tagen werden wieder 7 Milliarden Franken an die Eigentümer fliessen. Diese Wertsteigerung ist umso spektakulärer, als Peter Brabeck bei seiner Ernennung zum CEO 1997 unter dem damaligen Präsidenten Helmut Maucher bereits das Steuer des weltgrössten Nahrungsmittelmultis in die Hände bekam.
Mächtige Leute wie Peter Brabeck sind natürliche Zielscheiben für Kritik. Und diese hat der Kärntner bisweilen geradezu angezogen. Sein Jahresgehalt von über 17 Millionen Franken, das er zwischen 2005 und 2008 bezog, als er neben der CEO-Funktion auch noch das Verwaltungsratspräsidium innehatte, bezeichnete er trotzig als «gerechtfertigt». Schliesslich habe er 1968 selber als Glaceverkäufer mit einem Monatsgehalt von 1500 Franken angefangen.
Auf die Meinung, Unternehmen müssten der Gesellschaft etwas zurückgeben, reagierte Peter Brabeck empfindlich bis wütend: «Was soll ich der Gesellschaft zurückgeben? Ich habe der Gesellschaft nichts gestohlen oder weggenommen, und es wurde mir auch nichts geschenkt», liess sich der Manager in der 2010 erschienenen Biografie «Gemeinsam Werte schaffen» zitieren. «Die einzige Grundverpflichtung eines Unternehmens gegenüber der Gesellschaft ist es, Arbeitsplätze zu schaffen und nützliche Produkte auf sinnvolle Weise herzustellen», sagt Brabeck.
Mit Peter Brabeck verlässt ein prominenter und streitbarer Kämpfer für die Wirtschaftsfreiheit die Bühne. Im Unterschied etwa zum ehemaligen Novartis-Präsidenten Daniel Vasella, dessen harte Positionen zum offenen Bruch mit der Schweizer Wirtschaftselite geführt und den Bündner für mehrere Jahre ins US-Exil getrieben haben, kann der Nestlé-Präsident in weitgehender Minne mit seiner nahen und entfernteren Umwelt den Abstieg in Angriff nehmen.
Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass es Brabeck verstanden hatte, schwierige Momente auszusitzen und die Medien bisweilen auch zu ignorieren. Eine kritische Haltung gegenüber den Medien habe er sich in den 17 Jahren als Nestlé-Manager in Lateinamerika angeeignet, erklärte er seinem Biografen Friedhelm Schwarz. Tatsächlich waren Brabecks Erfahrungen in dieser Weltgegend ausschlaggebend dafür, dass er zum CEO aufsteigen konnte. 1969 erhielt er die Verantwortung für das Glacegeschäft in Chile. Ein Job, den er sich kurz nach der Machtübernahme des kommunistischen Präsidenten Salvador Allende gegen wenig Konkurrenz sichern konnte. In der dreijährigen Präsidentschaft Allendes konnte Brabeck die drohende Verstaatlichung der Fabrik nicht nur erfolgreich verhindern, sondern sogar die Basis für künftiges Wachstum legen.
Brabeck blieb auch nach der Machtübernahme durch Augusto Pinochet. Brabeck habe sich mit Bezug auf die politische Berichterstattung europäischer Medien immer an der Diskrepanz zwischen gelebter Realität und Interpretation gestört, liest man im Buch über das Leben des Managers. Er sehe sich keine Nachrichten im Fernsehen mehr an, weil man dort zu leicht einen falschen Eindruck von der Realität erhalten könne.
Peter Brabeck ging allerdings auch der direkten Konfrontation mit seinen Kritikern nicht aus dem Weg. Als er 2005 nebst seiner Rolle als CEO auch noch zum Verwaltungsratspräsidenten gewählt werden sollte, rümpften auch viele Aktionäre die Nase. Brabeck drohte mit dem Rücktritt, wenn die Doppelfunktion verwehrt werden sollte. Der Widerstand war gross, einflussreiche Stimmrechtsvertreter wie die Genfer Anlagestiftung Ethos sahen sich in ihrem Kampf für gute Grundsätze der Unternehmensführung bestätigt.
Damals vor 12 Jahren hatte Brabeck den Plan, den Nahrungsmittelkonzern strategisch in Richtung einer «Wellness-Firma» weiterzuentwickeln, die das Geschäft mit der Herstellung von Lebensmitteln in einem breiteren Kontext betreiben sollte. Der Auf- und Ausbau des Wassergeschäfts, die Entwicklung funktionaler Nahrungsmittel oder auch die Herstellung von Kosmetika und pharmazeutischer Produkte ist inzwischen Realität geworden. Eine strategische Neuausrichtung von Nestlé wäre ohne das Doppelmandat nicht möglich gewesen, behauptet Brabeck. Der sichtbare Erfolg macht es schwer, die Leistung Brabecks auch kritisch zu hinterfragen. Nestlé gehört zweifellos zu den grossen Profiteuren der Globalisierung, die es dem Unternehmen erlaubte, viele bis vor zwanzig Jahren noch kaum entwickelte Märkte zu erschliessen und damit eine hohe Wachstumsrate zu erzielen. Im Glauben an grenzenlose Möglichkeiten der Expansion entwarf Brabeck das Nestlé-Modell, nach dem das Unternehmen den Umsatz langfristig und aus eigener Kraft jährlich um 5 bis 6 Prozent steigert – und dabei eine laufend höhere Gewinnmarge erreichen soll. Dieses Modell ist in den vergangenen Jahren aber ins Stocken geraten.
Nicht wenige Beobachter glauben inzwischen, dass der passionierte Extrembergsteiger Brabeck mit Nestlé den höchsten Gipfel bereits hinter sich hat. Zweifellos müssen seine Nachfolger ihre Bestleistung abrufen können, um die Wachstumsstory von Nestlé weiterschreiben zu können. Schwierig könnte dies auch werden, weil die Erwartungen der Gesellschaft in den Industrieländern an das Sozial- und Umweltverhalten von Grosskonzernen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind.
Im Zug einer stärker werdenden Kritik von Nichtregierungsorganisationen an den Produktionsmethoden der Multis im Kaffee- und Kakaogeschäft war auch Nestlé zu grösseren inhaltlichen und qualitativen Veränderungen sowie Sortimentsanpassungen gezwungen.
Auch die beschränkte Verfügbarkeit der Ressourcen ist für Nestlé zu einem drängenden Thema geworden. Ein Ausdruck dafür sind die oft sehr empfindlichen und negativen Reaktionen in der Gesellschaft und in den Medien auf Brabecks Forderung, den Verbrauch von Trinkwasser durch eine marktgerechte Bepreisung zu steuern. Brabeck zielte dabei auf den vor allem in den Industrieländern verbreiteten verschwenderischen Umgang mit dem Rohstoff. Die Kritik, dass Brabeck die Botschaft nur zum Vorteil des eigenen Wassergeschäfts verlauten liess, ist in den letzten Jahren allerdings auffallend leise geworden.
Ohne Alterslimite hätte Brabeck Nestlé wohl noch gut und gerne ein paar Jahre länger präsidieren können. Vor vier Jahren erkrankte er an einem Blutkrebs, den er nach einer Reihe fehlgeschlagener Heilungsversuche mit einer gefährlichen Stammzellentransplantation besiegen konnte. Langjährige Begleiter attestieren Brabeck nicht nur eine grosse Tatkraft, sondern auch viel Mut, die er als Berggänger, Gletscherpilot, Manager und zuletzt auch als Patient schon oft unter Beweis gestellt hat. Peter Brabeck will in seiner Zeit nach Nestlé eigene unternehmerische Projekte – unter anderen die Pflege eines Kaviarproduzenten im Wallis – verfolgen.