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Erstmals seit 2004 erhält die Lufthansa-Tochter mit Dieter Vranckx wieder einen Schweizer Chef - allerdings nicht jenen, der erwartet wurde. Auf den Nachfolger von Thomas Klühr wartet eine Herkulesaufgabe – und das Personal stellt erste Forderungen.
Damit hatte wohl niemand gerechnet: Nach der Ankündigung von Swiss-Chef Thomas Klühr, per Ende Jahr zurückzutreten – mitten in der grössten Krise der Luftfahrt – fiel sofort der Name von Markus Binkert. Der derzeitige Finanzchef aus Zürich mit steiler Karriere im Lufthansa-Konzern galt als Kronfavorit für die Nachfolge. Schliesslich leitete Binkert einen Grossteil der Verhandlungen mit dem Bund für ein Hilfspaket– und er ist Schweizer. Das Rennen gemacht hat nun aber der aktuelle Chef der Lufthansa-Tochter Brussels Airlines, Dieter Vranckx.
Der 47-Jährige aus Belgien ist Doppelbürger und wohnt im Kanton Zürich, wie die Swiss in einer Medienmitteilung schreibt. Wie Binkert ist auch Vranckx seit langem im Konzern tätig. Während dreizehn Jahren war er für die Swissair und die Swiss tätig. Seine Karriere begann er bei der belgischen Sabena, einer Swissair-Beteiligung, die wie die Schweizer Airline 2001 bankrott ging.
Ein Weggefährte aus Swissair- und Swiss-Zeiten, der Vranckx gut kennt, bezeichnet den Vater von zwei Kindern als «ruhigen, fachlich kompetenten Typ», der bescheiden auftrete. «Er ist definitiv kein Showman, eher ein Technokrat, ein echter Manager halt.» Vranckx werde kaum alles umkrempeln, sondern pragmatisch agieren. «Und der Swiss kommt zugute, dass er die Firma und die Schweiz gut kennt.»
Tatsächlich dürfte der Schweizer Pass eine grosse Rolle gespielt haben bei Vranckx’ Ernennung. Mit ihm, Finanzchef Binkert und Betriebschef Thomas Frick sind die Schweizer im Swiss-Management nun wieder in der Mehrheit. Teil des Gremiums ist zudem der Deutsche Tamur Goudarzi Pour. Eine Frau fehlt hingegen nach wie vor.
Ein Abgesandter aus der Lufthansa-Zentrale in Frankfurt wäre in der Corona-Krise politisch heikel gewesen. Denn die Swiss kämpft wie alle Airlines derzeit um Ihr Überleben und ist dabei auf die Hilfe der Schweizer Regierung angewiesen. Und dass die Swiss-Führungsetage, mit Ausnahme von Thomas Klühr, auf die Boni von 2019 bestand, kam in der Öffentlichkeit nicht gut an. So kritisierte Sandrine Nikolic-Fuss, Präsidentin der Kabinenpersonal-Gewerkschaft Kapers, kürzlich gegenüber dieser Zeitung: «Die Swiss-Manager haben damit in der Bevölkerung und in der Politik leider viel Goodwill verspielt.»
Damit wird der Start für Vranckx nicht einfacher. Sein Vorgänger hat bekanntgegeben, 1000 Stellen abbauen zu müssen. Dies soll nach wie vor ohne Entlassungen geschehen. Doch wenn sich im ersten Quartal keine signifikante Verbesserung bei den Buchungszahlen für das Sommergeschäft abzeichnet, dürfte dieses hehre Ziel bald Makulatur sein. Massenentlassungen würden drohen – das wissen auch die Gewerkschaften, die sich aktuell in Verhandlungen über Sparmassnahmen mit der Swiss befinden.
So schreibt der Pilotenverband Aeropers in einem Communiqué hoffnungsvoll: «Wir legen grossen Wert auf sozialpartnerschaftliche Verhandlungen und gehen davon aus, dass wir auch mit der Swiss unter Dieter Vranckx diese schweizerische Tradition fortführen können und so rasch gute und tragbare Lösungen zugunsten der Firma und der Mitarbeiter finden».
Die Wahl von Dieter Vranckx überrascht auch Schweizer Politiker. «Ich kenne ihn nicht», heisst es bei mehreren angefragten Verkehrspolitikern. Auch für CVP-Nationalrat Philipp Kutter, der im Vorstand des Verein Pro Flughafen sitzt, ist der Neue ein unbeschriebenes Blatt. Dass Vranckx Schweizer ist und schon früher bei der Swiss arbeitete, sei sicher ein Vorteil, sagt er. «Er muss die Airline im Lufthansa-Konzern vertreten. Es ist gut, dass er die Swiss schon kennt, Schweizer ist und einen persönlichen Bezug zum Land hat.»
Die Erwartung an den neuen Chef sei, dass er dem Hub Zürich Sorge halte. «Als der abtretende Thomas Klühr Chef der Swiss wurde, war Zürich ein unbestrittener Hub im Lufthansa-Konzern. Das ist der Flughafen auch jetzt bei seinem Abtritt noch. Das ist ein guter Leistungsausweis – und es ist wichtig, dass Zürich diese Stellung halten kann», sagt Kutter. Das sei eine der wichtigsten Aufgaben für den neuen Chef. Ob sich die Airline mit Vranckx auf einen härteren Sparkurs gefasst machen müsse, könne er nicht beurteilen.
Brussels Airlines, die Vranckx derzeit leitet, muss die Flotte wegen der Coronakrise um 30 Prozent und die Belegschaft um 25 Prozent reduzieren – viel mehr, als es die Swiss derzeit plant. Philipp Hadorn, SP-Politiker und Präsident der Gewerkschaft SEV-Gata, die das Bodenpersonal vertritt, sieht die Entwicklung der Arbeitsbedingungen für das Personal sowie ein klares Statement zur Sozialpartnerschaft und zum Standort Schweiz als dringendste Aufgaben für den neuen Chef. «Ganz wichtig ist auch das Bekenntnis seines Vorgängers Thomas Klühr, die Krise mit der ganzen Crew durchstehen zu wollen.»
Der neue Chef müsse wie Thomas Klühr eine hohe Sozialkompetenz mitbringen. Klühr habe die soziale Fürsorge im Konzern gelebt. «In der aktuellen Krisensituation ist der neue CEO besonders gefordert», sagt Hadorn. «Er muss pragmatisch und hoffnungsvoll auftreten.» Die Kenntnis der Schweizer Kundschaft und der hiesigen Öffentlichkeit sei wichtig – gerade im aktuellen politischen Umfeld. «In der momentanen Situation braucht es eine Sensibilität, die das Management in der jüngeren Vergangenheit missen liess», sagt Hadorn in Anspielung auf die ausbezahlten Boni.
Am Freitag wird die Gewerkschaft erstmals per Online-Meeting mit Vranckx zusammenkommen. Es ist auch für Hadorn eine Premiere: «Als Gewerkschafter hatten wir bisher null Kontakt mit ihm. Seine Wahl überrascht mich wirklich.»