Kolumne
Wie MP3 Musik digitalisierte – und sich das Analoge rächen könnte

Wenn man «Pro» und «Kontra» überwinden kann, dann sollte man auch gleich «Neu» und «Alt» überwinden.

Edy Portmann
Drucken
Edy Portmann.

Edy Portmann.

Bereits 25 Jahre ist es her, seit das Dateiformat MP3 erfunden wurde. Es prägte unseren Konsum, denn durch das Format liess sich Musik nun ohne Tonträger in guter Qualität in einem Standardformat abspielen. Die steigende Zahl an Internetnutzern führte damals zu einer starken Nachfrage nach Musik, die über das Internet bezogen werden konnte. Seither steht das Digitale für die Zukunft, während das Analoge als ein Relikt der Vergangenheit angesehen wird.

Doch vielleicht steckt hinter diesen beiden Konzepten mehr, als man mit blossem Auge sieht? Und vielleicht tüfteln wir besser an einem zukünftigen Digital-/Analogmix, in dem technologischer Fortschritt, aus integrativer Sicht, stärker auf uns Menschen ausgerichtet wird? Diese zwei Fragen sind die Ausgangslage des Buchs «Das Neue Analog», welches ein gutes Weihnachtsgeschenk hergeben kann, da der Musiker und Autor Damon Krukowski darin die Geschichte der Musik geschickt nutzt, um eine andere Seite unserer digitalen Transformation aufzuzeigen.

Die Musikindustrie, die dem physischen Tonträger verhaftet war, erlebte mit Streamingdiensten nämlich als eine der ersten Branchen, wie die Digitalisierung ganze Geschäftsmodelle umpflügen kann. 20 Jahre nach der Erfindung von MP3 überstiegen hierzulande die Umsätze digital verbreiteter Musik erstmals diejenigen physischer Tonträger, und letztes Jahr wies Streaming einen Marktanteil von 68 Prozent aus, physische Tonträger nur noch 19 Prozent.

Die Absicht des Buches ist unter anderem, den Leser zum Nachdenken anzuregen, wo wir uns in der heutigen Digitalisierung befinden. Krukowski erörtert deshalb die Punkte, an denen sich zeigt, wie wir Konsumenten «Unternehmen, Designern etc. erlauben, für uns Entscheidungen über unseren musikalischen Hörgenuss zu treffen». Digitale Dateiformate wie MP3 eröffneten nämlich nicht nur neue Klangwelten und revolutionierten auf diese Weise die Musikbranche, sondern haben, vor allem in Verbindung mit kleinen und leistungsfähigen Geräten, dafür gesorgt, dass wir Musik überall hören können. Seit der Einführung von MP3 stand digital häufig für billig(er)en Hörgenuss. Aber die Vorstellung von gutem oder schlechtem Hörgenuss «ist einem stetigen Wandel unterworfen», schreibt er, «und er wird sich immer und immer wieder ändern».

Und so ist auch die Frage, was denn besser sei, Platte oder MP3 respektive analog oder digital, nicht zielführend und muss überwunden werden. Und wenn man dann «Pro» und «Kontra» überwinden kann, dann sollte man auch gleich «Neu» und «Alt» überwinden, denn es gibt immer wieder neue Dinge, welche die alten alt aussehen lassen, die ihrerseits dann in kürzester Zeit wieder alt werden. Die Unterscheidung ist also nicht wirklich nützlich, um mit dem, was heute in der digitalen Transformation vor sich geht, umzugehen. Analog ist nicht nur alt. Wir leben damit auch noch in der Gegenwart, und zwar ganz genau genommen in unseren Körpern. Solange wir nicht eines Tages «Cyborgs» werden, sind wir analoge Wesen. Unser Sehvermögen ist analog, ebenso wie unser Tastsinn und unser Gehör. Wir bringen das Analoge in die Gegenwart, unabhängig davon, wie sich unsere Medien verändern. Und digital ist auch nicht nur neu, es findet sich vielmehr bereits in der Geschichte der Informatik, etwa bei Lochkarten in einem Webstuhl. Wir Menschen haben das Digitale also schon immer gehabt, und so führt Krukowski das Analoge in die Zukunft.

«Obwohl MP3 heute nicht mehr das wichtigste digitale Musikformat ist, sondern zunehmend von besseren Technologien abgelöst wird, steht der Name weiter als Synonym für eine ganze Gattung, eben für digitale Musik», wird Lorenz Haas, der Geschäftsführer von IFPI Schweiz, in der «NZZ am Sonntag» zitiert, «mehr kann eine Technologie nicht erreichen.» Welches Format wohl in Zukunft für das Hybride stehen wird?

Der gebürtige Luzerner Edy Portmann ist Informatikprofessor und Förderprofessor der Schweizerischen Post am Human-IST- Institut der Universität Freiburg.