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Der Fall Sika hat schon jetzt Folgen für die Schweizer Wirtschaftswelt. In den Augen des Baarer Bauzulieferers haben die Erbenfamilie Burkard und die französische Firma Saint-Gobain Börsenpflichten zur Offenlegung verletzt.
Es vergeht keine Woche, in der nicht von neuen Klagen und Androhungen zu lesen ist. So will sich Sika an die Finanzmarktaufsicht (Finma) wenden. Dies wurde am Montag nach Börsenschluss bekannt. In den Augen des Baarer Bauzulieferers haben die Erbenfamilie Burkard und die französische Firma Saint-Gobain Börsenpflichten zur Offenlegung verletzt.
Die Erben ihrerseits, die über die Schenker-Winkler Holding (SWH) 16 Prozent des Kapitals und rund 52 Prozent der Stimmrechte an Sika halten, wollen wiederum die Wahlresultate der Generalversammlung (GV) vom 14. April, die ohne ihre volle Stimmkraft zustande gekommen sind, vor Gericht anfechten.
Der französische Baustoffkonzern Saint-Gobain ist mit fast stabilem Umsatz ins Jahr gestartet und hat dabei von günstigen Devisenkursen profitiert. An seinen Plänen, die schweizerische Konkurrentin Sika zu übernehmen, hält Saint-Gobain fest. Das teilte das französische Unternehmen am Dienstag im Zuge der Umsatzpublikation für das erste Quartal in Paris mit. Der Umsatz von Saint-Gobain war in den ersten drei Monaten mit 9,9 Mrd. Euro um 0,2 Prozent leicht tiefer als in der Vorjahresperiode. (SDA)
Der Hintergrund des Streits: Die Erben wollen die SWH – und damit die Stimmenmehrheit an Sika – für 2,75 Milliarden Franken an den französischen Konkurrenten Saint-Gobain verkaufen. Eine Mehrheit des Verwaltungsrats (VR), darunter VR-Präsident Paul Hälg, ist jedoch dagegen. Um die Transaktion dennoch einzuleiten, wollten sie an der GV eigene Kandidaten in den VR wählen lassen. Doch dieser hat deren Stimmrechte auf die statutarische Höchstlimite von 5 Prozent heruntergesetzt. Dieser Trick sicherte dem bestehenden VR die Wiederwahl.
«Juristisch ist der Verkauf der Aktien der Familie Burkard an Saint-Gobain an sich ein klarer Fall: Es findet ein Verkauf unter Privaten statt. Dazu hat der Verwaltungsrat eigentlich nichts zu sagen.», sagt Peter V. Kunz, Professor für Wirtschaftsrecht an der Uni Bern. «Es gibt im Aktienrecht keine Pflichten für den Aktionär – also hier im Fall der Familie Burkard. Er hat auch keine moralischen Verpflichtungen.»
Gleichwohl wird der Verkaufsprozess, der zunächst juristisch einwandfrei wirkt, zum Spiessrutenlauf: Für die Firma, für die Erben und für Saint-Gobain. «Werden wirklich alle Klagen bis hin zum Bundesgericht weitergezogen, kann dies drei bis vier Jahre dauern», sagt Kunz. «In den meisten Fällen wird vorher versucht, ein Vergleich zu finden.»
Noch wird gestritten und geklagt. Dass dies alles nicht zum Wohl des Wirtschaftsstandorts geschehen kann, haben auch Politiker erkannt. Sie haben auf die Parteien einzuwirken versucht. Doch ein Rücktritt der Erben käme teuer zu stehen. In solchen Verträgen ist es üblich, dass Strafzahlungen detailliert vereinbart werden. Kein Wunder, wollen die Erben also nicht auf das Angebot des VR eingehen, ihnen die Aktien abzukaufen.
Die Juristen und Gutachter auf den drei Seiten des Deals gehören zur Top-Garde der Schweizer Wirtschaftsjuristen: Urs Schenker von der Kanzlei Baker & McKenzie hat den Verkauf im Auftrag der Erbenfamilie Burkard eingefädelt, Rolf Watter von Bär & Karrer berät Saint-Gobain. Sika wird von Rudolf Tschäni von Lenz & Staehelin vertreten.
Die Publikumsaktionäre können trotz ihrer Kapitalmehrheit nur darauf vertrauen, dass sich die Streithähne bald finden. Zu den grossen Aktionären gehören neben der Stiftung von Bill Gates auch Investoren wie der Vermögensverwalter Fidelity. Sie befürchten im Gespräch mit der «Nordwestschweiz» einen Vertrauensschaden, nicht nur für das Unternehmen, sondern auch für die Schweiz als Börsenplatz. Nicht nur sie fragen sich: Was gilt hier noch?
Eine interessante Rolle hat «Clanchef» Urs Burkard. Er sitzt sowohl bei SWH als auch bei Sika im Verwaltungsrat. In einer Studie, die Sika-Rechtsvertreter Urs Schenker für eine juristische Publikation geschrieben hat, spricht er – ohne den Namen Sika zu verwenden – genau von den Risiken dieses «entsendeten Verwaltungsrats».
Zentraler Grundsatz: Alle Verwaltungsräte müssen von Gesetzes wegen alle Aktionären gleichbehandeln. Doch dies kann nicht immer gut gehen: «Eine Konfliktsituation kann sich aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen [...] ergeben.» Etwa wenn es um eine Transaktion gehe. Hier kann es sein, dass die beiden Firmen unterschiedliche Interessen haben. «Ich finde diesen Interessenskonflikt nicht so gravierend», relativiert Peter V. Kunz, der den Fachartikel mitherausgegeben hat.
Störender sei für ihn der Interessenskonflikt, in dem der VR-Präsident Paul Hälg stecke: «Hälg und die Mehrheit des VR haben an der GV beschlossen, den Burkards nicht das volle Stimmrecht zu geben. Ausgerechnet in Fragen, in denen es um ihre Wiederwahl geht.» Hätte der VR den Burkards das volle Stimmrecht gewährt, wie es Jahrzehnte lang üblich war, wäre Hälg heute nicht mehr VR. Genau darum werden sich die Gerichte wohl bald kümmern müssen, schätzt auch Kunz. Dann nämlich, wenn die Erben eine Verantwortlichkeitsklage anstrengen. «Kommt am Schluss heraus, dass die Verwaltungsräte, die gegen einen Verkauf stimmten, verlieren, könnte es für sie teuer werden.» Dann müssten sie die Kosten für das Verfahren, also auch für Anwälte und PR-Berater, tragen. Entscheidend dürfte das Verhalten der VR an der ausserordentlichen Generalversammlung sein. Wenn den Hauptaktionären, der Familie Burkard und der SWH also, noch einmal das Stimmrecht verwehrt wird.
Bis dahin bleiben einige juristische Knacknüsse: Können Grossaktionäre noch ohne Zutun der Firma ihre Aktien verkaufen? Oder: Wie steht es eigentlich um das Verhältnis der Firma zu ihrer Gründerfamilie? Viele börsenkotierte Firmen in der Schweiz haben sogenannte «Anker-Aktionäre» – von Swatch über Roche bis hin zu Schindler.
Was aus dem Streit um die Schweizer «Industrieperle» Sika schon jetzt klar ist, wird den Wirtschaftsjuristen künftig Kopfzerbrechen verursachen: Bis zu einem endgültigen Gerichtsurteil sitzt der VR und nicht die Aktionäre am längeren Hebel.