Langsam macht sich in der hiesigen Industrie vorsichtiger Optimismus breit. Die zuletzt positiven Signale aus dem Exportmarkt Deutschland schlagen sich in stabilisierenden oder gar steigenden Auftragseingängen nieder.
von Franz Schaible
Die Überraschung diese Woche war gross: Die Wirtschaft in Deutschland ist im zweiten Quartal 2009 um 0,3 Prozent gewachsen, nachdem das Bruttoinlandprodukt im Vorquartal noch um 3,5 Prozent schrumpfte. Bereits vorher meldete Deutschlands Industrie für Juni zum vierten Mal in Folge einen Anstieg des Auftragseingangs, und zwar um 4,5 Prozent, so stark wie seit zwei Jahren nicht mehr.
«Die deutsche Industrie ist damit auf dem Talboden angekommen», interpretiert Johann Schneider-Ammann, Präsident von Swissmem, dem Dachverband der Schweizerischen Maschinen- Elektro- und Metall-Industrie, die Meldungen. Es seien zwar insgesamt gute Signale, aber «Euphorie wäre zum jetzigen Zeitpunkt fehl am Platz». Erst wenn sich die Finanzindustrie nachhaltig erhole, werde auch die Realwirtschaft solider. «Falls dies eintrifft, bin ich zuversichtlich, dass es aufwärtsgeht», sagt Schneider-Ammann.
Auch wenn sich die konjunkturelle Lage etwas verbessert, «ist das Schlimmste auf dem Arbeitsmarkt noch nicht vorbei», erklärt Jonas Motschi vom Solothurner Amt für Wirtschaft und Arbeit. Die Beschäftigung hänge wesentlich davon ab, wie die exportorientierten Firmen in den nächsten Monaten ihre Auftragslage einschätzten. «Bei einem pessimistischen Szenario reicht das Instrument der Kurzarbeit nicht mehr aus, um die Krise definitiv zu überwinden.» In diesem Fall müssten die Betriebe «zusätzliche Massnahmen» treffen. Die Arbeitslosigkeit sei ein nachlaufender Konjunkturindikator, betont der Berner Wirtschaftsförderer Denis Grisel. «Der Aufschwung muss sich klar manifestieren, damit die Unternehmen bereit sind, neue Mitarbeiter einzustellen.» Vielfach sei die Kapazitätsauslastung auch relativ tief und die Firmen könnten die Produktion erhöhen, ohne neues Personal anzustellen. Exemplarisch dafür steht der Bellacher Werkzeughersteller Fraisa, der aufgrund des massiven Einbruchs der Aufträge seit Oktober 2008 den Personalbestand weltweit von über 600 auf heute 500 reduziert hat. «Die heutigen Umsätze würden mittelfristig nicht ausreichen, um 500 Personen zu beschäftigen», sagt dazu Fraisa-Chef Josef Maushart. Man setze deshalb alles dran, mit neuen leistungsfähigen Produkten das Umsatzniveau aus eigener Kraft wieder zu steigern. Maushart: «Ob diese Bemühungen zusammen mit der konjunkturellen Entwicklung mittelfristig ausreichen, um den jetzigen Personalbestand zu halten, ist derzeit nicht zu beantworten.» (FS)
Davon wird auch die Industrie in der Region profitieren. «Eine Verbesserung in Deutschland, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz, wirkt sich positiv auf die Solothurner Wirtschaft aus», hält Jonas Motschi, Leiter des kantonalen Amtes für Wirtschaft und Arbeit (AWA), fest. Sie sei stark exportorientiert und eng mit der deutschen Wirtschaft verflochten. Für Denis Grisel, Leiter der Berner Wirtschaftsförderung, hat die konjunkturelle Entwicklung in Deutschland «bedeutende Auswirkungen auf die Berner Volkswirtschaft». Bern sei der viertgrösste Exportkanton der Schweiz.
Beide Experten gehen davon aus, dass bei den Solothurner und Berner Exportfirmen der Auftragseingang die Talsohle erreicht hat. «Die Auftragslage bleibt angespannt, aber zumindest sind die Bestellungseingänge nicht noch weiter abgesackt», fasst Jonas Motschi die allgemeine Stimmung bei den Firmen zusammen. «Während für einige Branchen das Schlimmste bereits vorüber sein mag, werden andere wohl noch einige Zeit unter dem Rückgang leiden», ergänzt Grisel.
Eine Umfrage unter einigen Industriebetrieben in der Region bestätigt diesen Befund. «Im Vormonatsvergleich haben die Aufträge im Juni wieder zugelegt», berichtet Josef Maushart, CEO und Mehrheitsaktionär des Bellacher Werkzeugherstellers Fraisa. Im Vergleich zum Juni 2008 aber seien die Bestellungen mit 25 Prozent erneut massiv gesunken, im Mai habe der Rückgang 29 Prozent betragen. Die Auslastung liege nach wie vor geradezu dramatisch unter dem Vorjahr. Maushart: «Insgesamt hat sich die Situation für die Fraisa im Juni und im Juli auf tiefem Niveau stabilisiert.»
Der Unternehmer erwartet für das zweite Halbjahr eine leichte Verbesserung beim Auftragseingang, allerdings bleibe die Gesamtlage fragil. «Deshalb werden wir weiterhin vorsichtig planen.»
Gedämpft optimistisch äussert sich Elmar Stoll, Geschäftsführer der Etampa Feinstanztechnik AG in Grenchen. Als typischer Zulieferer versorgt er weltweit Firmen mit Stanzteilen, der Exportanteil liegt bei 92 Prozent. Die jüngsten Inputs kundenseitig deuteten auf eine leichte Erholung im zweiten Halbjahr hin. Aber der massive Rückgang in den Vormonaten zwischen 30 bis 40 Prozent werde lange nicht aufzuholen sein.
«Es regt sich was bei unseren Kunden», sagt seinerseits Rudolf Rebholz, Co-Geschäftsleiter und Mitbesitzer der Décolletage Aeschlimann AG in Lüsslingen. Der Juli sei umsatzmässig gut ausgefallen. «Wir haben trotz zwei Wochen Betriebsferien einen gleich hohen Umsatz wie im Juni erwirtschaftet.» Er zeigt sich zuversichtlich, dass das zweite Halbjahr besser ausfallen und 2010 wieder «ein erträgliches Niveau» erreicht werde. Handelt es sich bloss um ein Strohfeuer? «Das ist offen», antwortet Rebholz. «Wir sind nicht zu euphorisch, aber wir stufen die Entwicklung als positiv ein.»
Zumindest hat Aeschlimann die im Frühjahr eingeführte Kurzarbeit für die Monate Juli und August ausgesetzt. Grund dafür seien die Betriebsferien im Juli und der erhöhte Bestellungseingang. «Die Lieferbereitschaft muss auf jeden Fall gewährt sein.» Die Kurzarbeit gar ganz aufgehoben hat die Präzisionsteileherstellerin Neida AG in Wangen an der Aare für ihre rund 30 Angestellten. «Die Kunden haben die Lager abgebaut und müssen nun neue Teile bestellen», sagt Hansruedi Wyss, Leiter Marketing und Verkauf. Dieses Jahr werde man zwar den Umsatz von 2008 nicht erreichen, aber im 2010 sollten die Verkäufe wieder steigen.
Dagegen sind die Signale aus Deutschland beim Langenthaler Maschinenbauer Ammann «noch nicht spürbar», erklärt Johann Schneider-Ammann als CEO des Konzerns. Deutschland sei zwar eine wichtige Region. Gleichzeitig sei aber der dortige Infrastrukturmarkt weit entwickelt. «Der installierte Maschinenpark ist sehr gross und umso kleiner ist das Nachholpotenzial.» Ammann ist dort mit der ganzen Palette an Strassenbaumaschinen präsent.
Am Standort Langenthal mit 1200 Angestellten habe man die Krise gut gemeistert. Es habe keinen Stellenabbau aus wirtschaftlichen Gründen gegeben, und es sei nahezu auch keine Kurzarbeit eingeführt worden. Schneider-Ammann: «Wir sind bislang mit einem blauen Auge davongekommen.»