Medienkolumne
Amerika ist gefühlt unendlich weit weg – schon der Gang in die Redaktion scheint derzeit wie eine Weltreise

Die Coronapandemie veränderte die Medienrealität. Unser Lebensradius ist seit einem Jahr so klein wie derjenige unserer Grosseltern. Das hat Folgen für die Berichterstattung.

Matthias Ackeret
Matthias Ackeret
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Die Skyline von Manhattan, New York.

Die Skyline von Manhattan, New York.

Gary Hershorn / Corbis News

Es gibt Jubiläen, die man gerne feiert, andere nicht. Ein Jahr Corona gehört zu den zweiten. Trotzdem: Seit bald einem Jahr befindet sich die Welt in Schockstarre, der Journalismus im Homeoffice. Was zur paradoxen Situation führt, dass Journalisten aus dem Homeoffice ihren Lesern im Homeoffice beschreiben, wie ein leerer Flughafen, Bahnhof oder ein überfülltes Spital aussieht.

Clubhouse ist das Medium der Pandemie: man diskutiert stunden- ja tagelang, surft von Forum zu Forum und tauscht Lebensweisheiten aus, obwohl das wahre Leben gar nicht stattfindet. Unser Lebensradius ist seit einem Jahr so klein wie derjenige unserer Grosseltern. Amerika ist – trotz aller digitalen Möglichkeiten – mittlerweile auch gefühlt unendlich weit. Oder wann waren Sie zuletzt in New York oder LA? Für viele meiner Berufskollegen ist bereits der Gang in die Redaktion eine Weltreise.

Vor 2020 wusste die Mehrheit der Menschheit nichts von der spanischen Grippe, die vor hundert Jahren mehr Tote verursachte als beide Weltkriege zusammen. Wie konnte ein solches Ereignis aus dem kollektiven Gedächtnis verschwinden? Höchstwahrscheinlich wegen der fehlenden Bilder.

Bezeichnend: Von der spanischen Grippe gibt es keine fotografischen Ikonen. Und was bleibt von der Jetztzeit? Der Grenzzaun in Kreuzlingen, der Bundesrat mit Gesichtsmaske oder der Borsalino von Alain Berset? Das berühmte Foto der überfüllten Zürcher Lettenbadi schaffte es sogar in die New York Times. Es sah so aus wie in einem normalen Sommer.