Die Detailhändler Migros und Coop feierten einen massiven Rückgang beim Verschleiss von Einwegsäckchen. Die hohen Zahlen sind aber nur der eine Teil der Wahrheit.
Mit italienischem Akzent nehmen Mitarbeiterinnen die Bestellungen für Take-away-Kaffee entgegen. Im Kühlregal liegen einzeln und in viel Karton und Plastik verpackt sizilianische Süssspeisen. Es riecht nach frisch gebackener Focaccia. Willkommen bei Sapori d’Italia im Bahnhof Aarau, dem ersten und bisher einzigen Convenience-Shop von Coop, der auf italienische Spezialitäten setzt.
Vor dem Lokal stehen die Abfall- und Recycling-Kübel der SBB. Sie quellen mit fortgeschmissenen Verpackungsmaterialien des Italien-Shops über. Im Laden bezahlen Kunden an der Kasse. «Darf es ein Säckli sein?», fragt die Verkäuferin. Was das Säckli denn koste, fragt der Kunde. «Nichts», antwortet die Coop-Angestellte, «Sie sollen sich hier schliesslich fühlen wie in Italien.»
Italienisches Essen gekoppelt mit viel Verpackung soll hier also die Italianità verströmen, mit der Coop das Testlokal bewarb. Dabei vermeldete der Basler Detailhandelsriese erst vor kurzem an der Seite der Konkurrentin Migros einen Einbruch des Plastiksäckli-Verschleisses zugunsten der Umwelt.
Um 80 bis 90 Prozent sei die Nachfrage nach den Raschelsäckchen an den Supermarkt-Kassen eingebrochen, seit die Detailhändler den Preis auf fünf Rappen pro Säckli festgelegt hätten. Migros hatte das Gratis-Säckli im Herbst 2015 aus ihren Supermärkten verbannt, Coop zog Anfang 2016 nach.
Was die beiden Schweizer Grossisten allerdings nur nebenbei erwähnen: Gratis-Säckli gibt es nach wie vor in den Fachgeschäften der beiden Firmen, zum Beispiel in den Heimwerk-Geschäften Coop Bau + Hobby und Migros Do it + Garden oder in den kleineren Convenience-Shops von Migrolino und Coop Pronto. In der verkündeten Reduktion von bis zu 90 Prozent sind die Gratis-Säckli aus diesen Läden nicht einberechnet. 6,5 Millionen Stück sind es in den Pronto-Shops, wie eine Sprecherin mitteilt. Ebenfalls nicht berücksichtigt für die Berechnungen sind die transparenten Gratis-Säckli für Früchte und Gemüse (wie es sie auch in normalen Coop- und Migros-Supermärkten gibt).
Hinzu kommen die Gratis-Tragetaschen, die es etwa für Textilien oder in den Fachmärkten gibt. Mit aller Konsequenz verbannen weder Migros noch Coop die Gratissäcke aus ihren Märkten.
Zumindest Migros geht nun einen Schritt weiter. Wie die «Nordwestschweiz» weiss, plant die Migros-Tochter Migrolino bereits in ein paar Wochen die Einführung des kostenpflichtigen Plastiksacks. Per 1. Januar sollen auch Kunden in Migrolino-Shops einen Fünfräppler fürs Säckli bezahlen. Anders bei Coop: Bei Sapori d’Italia und den von der Coop Mineralöl AG geführten Coop-Pronto-Shops will man von kostenpflichtigen Plastiksäckli nichts wissen. Das Einkaufsverhalten in Convenience-Shops unterscheide sich eben stark von jenem in Supermärkten, so die Sprecher. Die Kundschaft mache dort viel mehr Spontan- und Kleineinkäufe. Coop betont, diese Praxis entspreche der Branchenvereinbarung, hinter der auch das Bundesamt für Umwelt steht. Die Detailhändler führten die Säckli-Gebühr an den Supermarkt-Kassen freiwillig ein und kamen so einem Schweizer Plastiksackverbot zuvor.
Wer sich mit Gratis-Säckli eindecken will, der kann das trotzdem weiterhin tun. Zum Beispiel in einem Bau+Hobby-Geschäft in der Berner Agglo: Dort suchen Rentner nach den richtigen Schrauben. An der Kasse können sie sich frei mit Einwegsäckli bedienen. Diese liegen beim Förderband gleich rollenweise auf. Und Einwegsäckli bedeutet hier auch wirklich Einwegsäckli. Sie sind so dünn, dass sich kantige Werkzeuge oder Schrauben nur schwer sicher nach Hause bringen lassen. Kaum stabiler sind die RecyclingSäckli mit Strichcode der Migros, die versuchsweise an den Self-Checkout-Kassen in der Do-It-Filiale der Berner Innenstadt aufliegen. Anders als in einem Migros-Supermarkt gibt es hier das erste Säckli pro Einkauf gratis.
Um italienisches Flair ist Coop im neuen Sapori d’Italia gleich auf allen Ebenen bemüht, wie das eingangs erwähnte Zitat der Kassiererin beweist. Was sie nicht weiss: Mit einem generellen Plastiksack-Verbot hat Italien die Gratis-Sack-Kultur bereits 2011 aus den Läden verbannt.