Startseite
Wirtschaft
David Dorn, Professor an der Universität Zürich, sagt: Die Kosten für die Pandemiebekämpfung würden zu stark einigen wenigen aufgebürdet, etwa den Besitzern von Restaurants oder Coiffeursalons.
David Dorn zählt in der Coronakrise zu den ökonomischen Vordenkern. Er ist Mitautor eines Positionspapiers der Universität Zürich, das schon früh die Strategie des Einfrierens und Wiederauftauens der Wirtschaft empfahl. Und er ist Mitglied der wissenschaftlichen Task Force des Bundesrates zur Coronakrise. In diesem Interview vertritt der Professor der Universität Zürich seine eigenen Ansichten.
Herr Dorn, der Bundesrat entlässt die Schweiz früher aus dem Stillstand. Nun dürfen etwa Restaurants schon am 11. Mai öffnen, jedoch mit Auflagen. Man könnte auch sagen, nachdem der Bundesrat die Wirtschaft eingefroren hat, taut er sie wieder auf. Kann er sie nun sich selbst überlassen?
David Dorn: Wir sind der Normalität näher gerückt, aber der Vorkrisen-Zustand ist nicht wieder hergestellt. Ganze Branchen sind noch geschlossen. Andere verlieren durch Auflagen viel Umsatz. Neu kommen die Folgen einer Rezession hinzu. Diese sind an sich bekannt, aber das Ausmass ist besonders gross.
Es bleibt eine aussergewöhnliche Krise – auch nach den Lockerungen?
Aussergewöhnlich an dieser Krise sind die neuartigen Probleme, mit denen die Betriebe zu kämpfen haben. Betriebe bleiben geschlossen. Läden, Coiffeure oder Restaurants werden Schutzregeln auferlegt, die sie viel Umsatz kosten. Die Grenzen sind zu und Touristen bleiben weg. Und Einschränkungen in anderen Ländern senken die Nachfrage nach Schweizer Produkten. Das alles sind direkte oder indirekte Folgen staatlicher Eingriffe, um unsere Gesundheit zu schützen.
Was unterscheidet diese Krise von anderen Rezessionen?
Es ist sehr aussergewöhnlich, dass viele Branchen betroffen sind, die sonst weniger unter konjunkturellen Abschwung leiden. Coiffeure oder Cafés, Restaurants oder Verkaufsläden haben ungleich weniger Erfahrung darin, abrupte Abschwünge zu bewältigen, als etwa die internationalisierte Maschinenindustrie.
Frühere Krisen gingen von Branchen aus, die zuvor schnell gewachsen sind. Die Schweizer Immobilienkrise in den 90er-Jahren, später die Internet-Blase, dann die Finanzkrise. Dieses Mal ist alles anders?
Auch das ist neu. Es trifft Branchen, die zuvor gut funktioniert haben. Sie waren produktiv, wuchsen nicht übertrieben schnell. Auf einmal brechen ihre Verkäufe ein. Je länger das anhält, desto eher droht eine Konkurswelle.
Liegt darin eine Chance: Aus Zerstörung entsteht etwas Neues?
Die Konkurswelle könnte weit über eine produktive, schöpferische Zerstörung hinausgehen. Diese Gefahr besteht. Es würden wirtschaftliche Strukturen zerstört, die eigentlich erhaltenswert sind.
Woran machen Sie das fest, dass die Welle solche Ausmasse annehmen könnte?
An den Zahlen. Derzeit ist Kurzarbeit beantragt für ein Drittel aller Erwerbstätigen. Das ergibt nur Sinn, wenn die Menschen in ihren Vorkrisen-Job zurückkönnen. Die Arbeitgeber dürfen also nicht Konkurs gehen.
Der Bund hilft mit Kreditgarantien. Der Arbeitgeberverband zum Beispiel glaubt, dass dies reichen wird und reichen muss.
Die Notkredite sind ein sehr gutes Mittel, um in der kurzen Frist die Liquidität zu sichern. So können die Betriebe die laufenden Rechnungen zahlen. Sie reichen aber nicht aus für die Betriebe in den am stärksten betroffenen Branchen. Ihre längerfristige Solvenz ist nicht gesichert.
Wie können Sie das wissen?
Die Notkredite sollen einem Betrieb zwei Monaten lang den Umsatz ersetzen. Aber es zeichnet sich heute schon ab, dass einige Branchen viel länger starken Restriktionen unterworfen sind: Gastgewerbe, Tourismus, Flugverkehr, Freizeitbranche, Tanzlokale, Eventorganisatoren oder Profisport.
Die Personalkosten sind immerhin gedeckt, durch die Kurzarbeit.
Die allermeisten Betriebe haben laufende Ausgaben, die über die Personalkosten hinausgehen. Für manche von ihnen reichen die Notkredite nicht aus, um sich über Wasser zu halten.
Wir sind also nicht gegen eine Konkurswelle geschützt?
Im Moment scheint diese Frage auf die lange Bank geschoben zu werden.
Welche Lösung empfehlen Sie?
Wir müssen diskutieren, wie man Betriebe und Branchen stützen kann, die über längere Zeit grosse Umsatzausfälle haben und zugleich laufende Kosten. Beispielsweise muss man über einen Teilerlass der gesprochenen Darlehen nachdenken, oder eine finanzielle Beteiligung des Staates an Mietreduktionen für Geschäftslokale.
Obschon man für die Kredite keinen Zins zahlt und für die Rückzahlung fünf bis sieben Jahre Zeit hat?
Die Rückzahlung der Kredite geht zu Lasten des Unternehmensgewinns. Branchen wie das Gastgewerbe haben aber geringe Gewinnmargen, die nur wenige Prozente vom Umsatz ausmachen. Da kann für einen Betrieb schnell einmal ein grosser Teil des Gewinns weg sein, wenn der Kredit zurückbezahlt werden muss, und das 5 Jahre lang. Womit es fraglich wird, ob es sich noch lohnt, das unternehmerische Risiko zu tragen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Die Kredite sind so ausgestaltet, dass sie maximal 10 Prozent des Umsatzes ausmachen. Wenn sie über 5 Jahre zurückbezahlt werden, dann muss der Betrieb also jährlich 2 Umsatzprozente abliefern. Das Geld nimmt er aus seinem Gewinn. Angenommen der Gewinn beträgt 4 Prozent des Umsatzes. Dann gehen von diesen 4 Prozent also 2 Prozent weg für die Kreditrückzahlung. Für fünf Jahre ist dann der halbe Gewinn weg.
Und aktuell schreiben die Unternehmen einen Verlust.
Ja, wie lange das dauert, ist offen. Die Restriktionen behindern den Geschäftsgang und die Nachfrage wird zusätzlich geschwächt durch die Rezession. Bei diesen Aussichten werden sich viele Geschäfte überlegen, ob der Betrieb noch Sinn ergibt.
Wenn man den Kredit nicht zurückzahlen muss, wird es nicht massenweise zu Missbräuchen kommen?
Missbrauch kann es immer geben. Das ist schon bei den aktuellen Notkrediten so. Dort wurde das Programm richtigerweise so aufgesetzt, dass es sehr schnell gehen konnte – mit sehr geringen Kontrollen. Wenn man nun einen Weg sucht, um einen Teil der Kredite den Betrieben zu erlassen, wird es anders sein. Man wird einen Teilerlass der Kredite an Bedingungen knüpfen. Dazu kann man über mehrere Jahre die Betriebsabschlüsse anschauen. Unterstützung ginge nur dorthin, wo es zu grossen, temporären Verlusten gekommen ist.
Das würde viel Bürokratie mit sich bringen?
Nicht notwendigerweise. Man könnte sich auf ohnehin vorhandene Zahlen stützen, etwa aus den Steuerunterlagen.
Würden Krediterlasse reichen, um eine Konkurswelle zu verhindern?
Es wird wohl zusätzliche Kredite, wie auch die Möglichkeit eines Erlasses brauchen. Wenn man nur die Kredite erhöht, dann gehen die Unternehmen immer mehr in Richtung einer Überschuldung.
Sind die Notkredite überhaupt eine Hilfe für die Betriebe?
Die Kredite bringen Zeit. Sie ermöglichen es den Unternehmen, laufende Kosten und Mieten zu bezahlen. Letzten Endes muss man sich aber entscheiden. Will man die Betriebe immer mehr mit Schulden beladen – und viele von ihnen in den Konkurs gehen lassen? Oder will man den Staat mehr mit Schulden beladen?
Ihre Empfehlung.
Der Staat ist viel besser in der Lage, Schulden aufzunehmen und eine höhere Schuldenlast zu tragen. Vor allem in einer so aussergewöhnlichen Krise wie der aktuellen. Lässt man die Betriebe in den Konkurs gehen, wird die Arbeitslosigkeit stärker ansteigen und damit die Kosten für die Arbeitslosenversicherung. Es wird auch weniger Betriebe geben, die Steuern zahlen. Letzten Endes wird also wieder der Staat zur Kasse gebeten.
Aber auch der Staat kann nicht alles tun.
Natürlich darf es keine Vollkasko-Versicherung geben. Das darf der Staat nicht tun, das kann er auch nicht tun. Daher spricht auch niemand davon, dass der Staat von irgendwelchen Betrieben alle Verluste übernehmen soll.
Aber alles den Betrieben zu lassen, ist auch problematisch?
Es ist problematisch zu sagen, dass die Besitzer von Coiffeursalons und Restaurants halt Pech gehabt haben und selbst ihre Verluste verdauen sollen.
Was genau ist das Problem?
Wenn Verluste und Verschuldung die Unternehmen in den Konkurs drängen, dann werden viele Menschen arbeitslos. Der wirtschaftliche Schaden wäre gross. Aber es ist wohl unbestritten, dass wir eine Gastronomie brauchen sowie Tourismus und Kultur. Also müssten wir alles wieder neu aufbauen. Es würde schwieriger werden, die Krise hinter uns zu lassen.
Müssen wir alle mehr Steuern zahlen, wenn man Notkredite teils erlässt?
Die Wahrnehmung ist hier oft etwas verzerrt. Wenn man über finanzielle Hilfe für gewisse Branchen diskutiert, glaubt man riesige Ausgaben tätigen zu müssen, die man sich durch Nichtstun sparen kann. Dabei ist man sich zu wenig bewusst, dass man für die Hilfe einen Gegenwert bekommt: Arbeitsplätze und Steuersubstrat bleiben erhalten, was später die Staatsfinanzen entlastet. Auch eine passive Politik verursacht hohe Kosten: Das Wegbrechen von Betrieben und Arbeitsplätzen belastet die Staatsfinanzen.
Wird durch staatliche Hilfe nicht Geld umverteilt: von der Allgemeinheit auf bestimmte Branchen?
Man muss sehen: Auch mit der aktuellen Politik werden finanzielle Lasten umverteilt, und zwar auf sehr ungleiche Weise und in ungewöhnlichem Ausmass. Man hat Massnahmen getroffen, um die Gesundheit zu schützen – die Gesundheit von uns allen. Die Kosten davon werden aber überproportional getragen von den Besitzern von Hotels, Restaurants oder Coiffeursalons. Teils tragen die Kosten auch die Angestellten dieser Branchen.
Sie halten das für willkürlich?
Die Frage steht unbeantwortet im Raum: Warum sollen ausgerechnet diese Leute zahlen für Massnahmen, die der allgemeinen Gesundheit dienen? Warum sollen nicht auch andere Gruppen für die Kosten aufkommen: zum Beispiel Staatsangestellte, Rentner oder eben die Allgemeinheit?
Ihre Antwort?
Zurzeit sind es einige wenige Menschen, denen der Staat einen sehr grossen Teil der Lasten aufbürdet.
Ist es vielleicht dennoch die am wenigsten schlechte Lösung?
Nein. Es ist kaum die beste Lösung, wenn die Wirtschaft zurückkehren soll in den Vorkrisen-Zustand. Und es ist kaum die beste Lösung, wenn wir die finanziellen Lasten einigermassen gerecht verteilen wollen.
Wird es so oder so Steuererhöhungen für alle geben, egal was wir tun?
Das hängt von einer anderen Frage ab: Gelingt es uns, die gegenwärtigen Strukturen so gut zu erhalten, dass die Wirtschaft bald wieder so gut wie vor der Krise funktioniert? Dann sind die laufenden Staatsfinanzen im Lot. Denn in den Jahren vor der Krise hatte der Bund gesunde Finanzen. In neun von zehn Jahren erzielte er einen Überschuss.
Aber der Schuldenstand wird viel höher sein?
Ja, aber der laufende Staatshaushalt wäre stabil, die Zinsen niedrig. Daher wird es keinen starken Druck geben, unmittelbar die Steuern zu erhöhen oder die Schulden rasch wieder abzuzahlen.