Die Pensionskassen wollen das finanzielle «Risiko», dass die Versicherten länger als erwartet leben, diesen selber überlassen.
«Cent’ anni!», hundert Jahre, wünscht man sich in Italien beim Anstossen. Dass der Trinkspruch eine lange Tradition hat, zeigt sich auch daran, dass sehr alte Menschen immer weniger selten werden.
Der Wunsch der Tischgenossen vergangener Jahrhunderte scheint also erhört worden zu sein. So sehr, dass er in den Ohren der Pensionskassenvertreter allmählich als Hohn nachhallen dürfte. Für ihr Geschäft erweist er sich als Fluch.
Die Langlebigkeit ist für sie zum Risiko geworden. Denn werden die Versicherten älter als erwartet, müssen die PK ihnen nach der Pensionierung viel länger Renten zahlen als kalkuliert. Das demografische Problem wird noch verschärft durch die seit Jahren tiefen Zinsen, die die Verzinsungsversprechen für die Versicherten immer unrealistischer werden lassen.
Im Kundenmagazin vom September schreibt das VZ Vermögenszentrum, die Kassen würden daher versuchen, Kunden den Kapital- statt Rentenbezug schmackhaft zu machen. Einige – etwa jene von Novartis und Credit Suisse (CS) – hätten ihr Reglement angepasst, sodass sich Versicherte im überobligatorischen Teil (Lohnbestandteile über 84 600 Franken/Jahr) einen Teil des Pensionsanspruchs als Kapital auszahlen lassen müssen.
Das bestätigt auf Nachfrage Satoshi Jean-Paul Sugimoto, stellvertretender Leiter der Kommunikation für die Schweiz bei Novartis: Bei Einkommensbestandteilen über 150 000 Franken sei für die daraus gebildeten Vorsorgeguthaben eine Kapitalauszahlung vorgesehen. Ab Januar 2017 trete das neue Reglement in Kraft, erklärt auch CS, wonach bei einer Gesamtvergütung von über 126 900 Franken der Mehrbetrag bei Pensionierung als Kapital ausbezahlt werde.
Sie sind nicht allein. Hanspeter Konrad, Direktor des Schweizerischen Pensionskassenverbands ASIP, erklärt: Einzelne Pensionskassen hätten für den überobligatorischen Bereich solche Entscheide getroffen.» Jede PK wähle Einführungsdatum und Umfang der Massnahme selbst. Konrad betont, dass die Rente als Ersatzeinkommen im Alter im Vordergrund stehen sollte. Genau deswegen sei es wichtig, dass die Reform Altersvorsorge 2020 gelinge und die Leistungsversprechen ökonomisch realistischer definiert werden. Bei realistischeren Parametern würden sich diese Fragen kaum stellen.
Droht das auch beim obligatorischen Teil? Konrad winkt ab: «Im BVG Bereich ist das nicht möglich. Heute kann ein Versicherter einen Viertel seines Altersguthabens als Kapital beziehen. Eine Verpflichtung, Kapital zu beziehen, gibt es nicht.»
Ähnlich sieht das die Sozialversicherungsexpertin Gertrud E. Bollier von gebo Sozialversicherungen AG: Das BVG sehe für den obligatorischen Teil der Altersvorsorge vor, dass maximal ein Viertel der Altersleistung als Kapital bezogen werden könne, mindestens drei Viertel als laufende Rente. Das Reglement der Vorsorgeeinrichtung (PK) könne zwar einen höheren Anteil des Kapitalbezugs vorsehen, aber dann betreffe es nur den überobligatorischen Teil. Für den obligatorischen Teil müsse den Versicherten die Wahl bleiben, ob sie bis zu einem Viertel in Form einer Kapitalauszahlung wollen oder nicht.
Durch steigende Lebenserwartung verbunden mit tiefen Zinsen kommen Pensionskassen speziell für Versicherte im Hochlohnbereich in Not, erklärt Bollier. Die erforderlichen Rückstellungen liessen sich kaum finanzieren. Daher würden die PK das Langlebigkeitsrisiko gerade im überobligatorischen Teil den Versicherten zurückgeben. «So wie ich in der Branche höre, wird dies Standard werden», sagt Bollier.
Im Stiftungsrat sorgfältig zu diskutieren sei die Frage, ob die Pflicht zum Kapitalbezug für alle Arten von ausser- und überobligatorischen Guthaben gelten soll. Die jetzige rechtliche Lage wäre so, dass alle getätigten Einkäufe, alle Guthaben, die durch den Ausgleich wegen Scheidung dazugekommen sind oder wieder eingekauft wurden, sowie Rückzahlungen aus Wohneigentumsvorbezug usw. betroffen wären. Bollier: «Wenn hier etwas Grundlegendes geändert werden soll, muss dies im Reglement enthalten und von der Aufsichtsbehörde bewilligt werden. Da dürfte auch das Bundesamt für Sozialversicherungen BSV noch mitreden wollen.»