Coronakrise
Preischaos auf den Rohstoffmärkten: Warum das Erdöl auch den Preis von Zucker und Mais in die Tiefe zieht

Der Ölpreis in den USA fällt auf den tiefsten Stand seit 1999. Ein grosses Überangebot besteht auch bei Aluminium oder Zucker.

Daniel Zulauf
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Allein am Montag ist der Ölpreis der Sorte West Texas Intermediate um über 30 Prozent gefallen.

Allein am Montag ist der Ölpreis der Sorte West Texas Intermediate um über 30 Prozent gefallen.

Matt Slocum / AP

Der Preis von Erdöl hat am Montag ein neues Tief erreicht. Hans Walk, ein langjähriger Marktbeobachter, der die Händler im Schweizer Markt täglich mit Analysen beliefert, schreibt in seinem Bericht von einem «gewaltigen Kurssturz bei Crude». Mit dem Begriff ist texanisches Erdöl gemeint, das dort derzeit noch aus 438 Bohrstellen hochgepumpt wird. Der Preis dieser Ölsorte ist unter die Marke von 13 Dollar pro Fass gefallen – den tiefsten Stand seit 1999. Seit Mitte März, beim Beginn des grossen Streites zwischen Saudiarabien und Russland über eine substanzielle Beschränkung der Fördermengen, hat sich der Preis etwa gedrittelt.

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Der Hauptgrund dafür ist natürlich die im Zug der Coronakrise eingebrochene internationale Nachfrage. Zwar gehen in Amerika derzeit täglich mehr als zwei Bohrlöcher zu. Aber für die angestrebte Anpassung des Überangebotes an die schwache Nachfrage ist diese Produktionsbeschränkung ebenso ungenügend wie die inzwischen bestehende Beschränkung der Förderkapazitäten in Saudiarabien und Russland von 10 Millionen Fass pro Tag.

Als Folge der Überproduktion steigt der Wert von Lagerkapazitäten. So chartern grosse Handelskonzerne derzeit jeden verfügbaren Erdöltanker, um das schwarze Gold zu lagern. «Wer noch über solche Lagerkapazität verfügt und sich die für den Mai zum aktuellen Tiefpreis lieferbare Ware andienen lässt, kann mit der Lagerhaltung und der Zwischenfinanzierung erhebliche Gewinne einstreichen», erklärt Walk. Tatsächlich verkaufen die Spekulanten das Öl auf einen späteren Liefertermin zu einem bereits feststehenden, wesentlich höheren Preis.

40 Prozent aller Aluminiumproduzenten verlieren derzeit Geld

Auch Aluminium, das volumenstärkste aller Basismetalle, leidet unter einem eindrücklichen Überangebot, weil die grössten Abnehmer wie die Autobranche, Schiffswerften oder die Bauwirtschaft ihre Bestellungen einfrieren. Gleichzeitig können die Rohstoffproduzenten ihre Produktion nicht zeitnah drosseln. Etwa 40 Prozent aller Aluminiumproduzenten verlieren derzeit Geld. Dennoch produzieren sie weiter in der Hoffnung, dass ein Konkurrent als erster in den sauren Apfel beisst und den kostspieligen Schritt unternimmt, sein Schmelzwerk stillzulegen, sagt ein Branchenkenner, der nicht genannt werden will. Auch die Aluminiumhändler lagern das Leichtmetall ein, wo auch immer Platz dafür vorhanden ist.

Ein Grund für das wenig flexibel Angebot sind wirtschaftspolitische Überlegungen in den Produzentenländern. So wird etwa viel Aluminium in China hergestellt, wo Werkschliessungen mit entsprechenden Arbeitsplatzverlusten natürlich schlecht zum Programm der Einheitspartei passen. Auch der Kupferpreis steht unter zusätzlichem Druck, weil sich hochverschuldete Produzentenländer eine Einstellung der Produktion schlicht nicht leisten können. In Sambia hat der Zuger Rohstoffkonzern Glencore auf Druck der Regierung die ursprüngliche Absicht kassiert, seine dortige Kupferproduktion vorerst auszusetzen. Sambia muss die Knebelverträge seiner chinesischen Geldgeber erfüllen, sonst droht das Land einen Teil seiner Rohstoffreserven an China abtreten zu müssen.

Der Zuckerpreis bricht ein

Anders aber nicht weniger dramatisch präsentiert sich die Situation im Handel mit wichtigen Agrargütern. Der Zuckerpreis ist seit Jahresbeginn um 75 Prozent eingebrochen. «Ein absolut beispielloses Ereignis», sagt Mark Daniels, der mit seiner Firma Scipio in Genf seit vielen Jahren den Rohstoff handelt. Der Kursverfall des Erdöls trägt eine wesentliche Mitschuld am Einbruch des Zuckerpreises. Bis zum Ausbruch der Coronakrise ging der grösste Teil der Zuckerrohrproduktion in die Herstellung von Ethanol, das als Treibstoff und Benzinersatz verwendet wird. Weil sich diese Produkte nicht mehr zu vernünftigen Preisen absetzen lassen, entsteht aus Zuckerrohr wieder vor allem Zucker. Dadurch bildet sich gerade ein massives weltweites Überangebot, erklärt Daniels den Kurseinbruch. Ein weitgehend identischer Vorgang findet übrigens auch mit der Maisproduktion statt.

Nicht minder turbulent geht es derzeit im Edelmetallhandel zu und her. Vergangene Woche hat der Goldpreis mit 1680 Franken pro Unze einen historischen Höchststand erreicht. Bei Giovanni Staunovo, dem Branchenexperten der UBS, beginnen die entsprechenden Preisaufzeichnungen im Jahr 1975. Als Käufer treten vor allem private und institutionelle Investoren auf, die goldgedeckte Fondsanteile, aber auch Goldbarren und Münzen erwerben. Ausschlaggebend für die jüngsten Preisschübe seien die aggressiven geldpolitischen Abwehrreaktionen gegen die Coronakrise, sagt Staunovo. Die im Vergleich zu Gold weit stärker von der Industrie nachgefragten Edelmetalle wie Silber und Platin sind aufgrund des Nachfrageeinbruchs preislich weit zurückgefallen.