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Psychologen haben in der Schweiz eine spezielle Stellung. Wollen Sie Patienten behandeln und dies über die Grundversicherung abrechnen, dann müssen sie dies unter Aufsicht eines Psychiaters tun. Dies soll sich ändern.
Die Psychiater waren schlicht schockiert. Wahlweise wurden sie als Zuhälter oder Abzocker tituliert. In zwei Artikeln in der NZZ und im «Tages-Anzeiger» wehrten sich Ende Juni mehrere Psychologen gegen die aus ihrer Sicht miserablen Arbeitsbedingungen. Wortwörtlich stand in der NZZ: «Das Modell grenzt an Prostitution, und der Psychiater ist der Zuhälter». Die Aussage stammt von einer Psychologin, deren Name im Artikel geändert wurde.
Worum geht es? Psychologen haben in der Schweiz eine spezielle Stellung. Wollen Sie Patienten behandeln und dies über die Grundversicherung abrechnen, dann müssen sie dies unter Aufsicht eines Psychiaters tun. Letztere müssen eine deutlich längere Weiterbildung absolvieren. Vereinfacht gesagt, beaufsichtigen sie dank ihrem grösseren Fachwissen die Psychologen. So bespricht etwa der Psychiater mit dem Psychologen die einzelnen Fälle. Ersterer kann etwa dank seinem Arzttitel Medikamente verschreiben.
Der Bundesrat will nun von diesem sogenannten Delegationsmodell wegkommen. Künftig sollen die Psychologen selbstständig arbeiten können. Einzige Voraussetzung: Ein Arzt müsste eine Therapie anordnen, so wie das heute bereits bei der Spitex oder Physiotherapie der Fall ist.
Ganz offensichtlich wollten die Psychologen nichts anbrennen lassen. Der Artikel des «Tages-Anzeigers» erschien einen Tag vor dem Bundesratsentscheid, jener der NZZ am Tag des Entscheids. Die Psychiater haben sich bisher nicht verlauten lassen – trotz des grossen Ärgers über die Wortwahl der Psychologen in den beiden Artikeln. Doch nun schalten sich einzelne Psychiater ein.
Einer, der die Systemänderung skeptisch beurteilt, ist Erich Seifritz. Er ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie und Direktor an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Er habe nichts dagegen, dass der Bundesrat das alte Modell aufgeben wolle. Doch mit seinem Vorschlag befinde sich die Landesregierung auf einem gefährlichen Weg, sagt Seifritz. Seine grösste Sorge ist die zu knapp bemessene Weiterbildung der Psychologen. «Das kann für betroffene Patienten mit schweren psychischen Störungen im schlimmsten Fall gefährlich werden.»
Als Beispiel nennt er etwa Patienten, die suizidgefährdet sind. Dies zu erkennen sei nicht immer einfach, sagt Seifritz. Das Gleiche gelte für schwere Psychosen wie etwa wahnhafte Störungen oder Schizophrenie. «Am Anfang solcher Krankheitsbilder stehen oft unspezifische Symptome», sagt Seifritz. «Diese zu diagnostizieren, ist schwierig.»
Um solch schwere Fälle zu entdecken, müssten Psychiater und Psychologen über mehrere Jahre praktische Erfahrung in psychiatrischen Kliniken oder Ambulatorien sammeln. «Bei den Psychologen ist das nicht der Fall», sagt Seifritz. Dies ändere sich mit dem neuen Modell des Bundesrats nur wenig.
Fakt ist: Wenn jemand an einer Fachhochschule oder an einer Uni einen Master-Abschluss in Psychologie erlangt, darf er sich Psychologe nennen. Will jemand jedoch Psychotherapien anbieten, muss er oder sie sich weiterbilden. Dies dauert in der Regel vier bis sechs Jahre. Davon sind zwei Jahre in einer Klinik oder in einem Ambulatorium Pflicht. Am Schluss erhalten die Absolventen den Titel «eidgenössisch anerkannter Psychotherapeut».
Künftig müssten die Psychologen drei Jahre in einer Klinik arbeiten. Doch für Seifritz reicht das nicht. Er fordert eine Gleichstellung mit den Psychiatern, die sich doppelt so lange in einer Klinik weiterbilden müssen. Für einen Psychiater dauert die Ausbildung insgesamt zwölf Jahre, da am Anfang ein sechsjähriges Medizinstudium steht. Zudem machen sie zusätzlich eine Psychotherapie-Weiterbildung.
Ein weiteres Problem des neuen Modells sieht Anouk Gehret, Präsidentin der Zürcher Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Neu kann eine ganze Reihe von Ärzten eine Psychotherapie anordnen. So zum Beispiel Hausärzte, Neurologen oder Gynäkologen. «Damit besteht die Gefahr, dass diese Ärzte mit Patienten konfrontiert sind, die dringend eine Psychotherapie benötigen, da sie ein schweres psychische Problem aufweisen», sagt Gehret. In solchen Fällen wäre eine Überweisung an einen Psychiater oder gar an eine Klinik die bessere Lösung. Doch dies sei für einen Hausarzt oder einen Gynäkologen nicht immer einfach zu erkennen.
Daher besteht die Idee, dass eine Überweisung von einem Hausarzt an einen Psychologen zeitlich limitiert werden soll. So wäre etwa eine Beschränkung auf zehn Sitzungen denkbar. Danach müsste ein Psychiater beurteilen, ob die Therapie weiter geführt werden kann.
Die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen hat wenig Freude an diesen Ideen. Sie begrüsst die Stossrichtung des Bundesrats, sagt ein Sprecher, auch wenn die Antwort auf die Vernehmlassung noch nicht fertiggestellt sei. Zur Forderung, die klinische Weiterbildung auszuweiten, will sich der Verband nicht äussern, solange er die Details dazu nicht kennt. Keinen Sinn mache die zeitliche Limitierung der Anordnung auf zehn Stunden. Der Bundesrat wolle ja den Zugang zur Psychotherapie vereinfachen. Wenn nun wieder ein Psychiater eingeschaltet werden müsse, dann bleibe das Problem bestehen, das man eigentlich lösen wolle.